Putin kann jetzt länger Präsident bleiben
In Russland ist die Verfassungsreform in einer Volksabstimmung angenommen worden
In Russland sind 206 Verfassungsänderungen in einem Referendum vom Volk bestätigt worden. Den heute Vormittag bekannt gegebenen Zahlen der Wahlkommission nach stimmte eine Mehrheit von 77,92 Prozent der Teilnehmer dafür. 21,27 Prozent votierten explizit dagegen.
An der Abstimmung hatten sich 65,28 Prozent der Wahlberechtigten beteiligt. Um eine möglichst hohe Teilnahme zu erreichen, hatte die Staatsführung über Betriebsleitungen und mit Prominenten dafür geworben, zu den Urnen zu gehen. Darüber hinaus konnte man dort an Preisausschreiben teilnehmen, bei denen es unter anderem Wohnungen und Automobile zu gewinnen gab.
Dass das Referendum über sieben Tage lang lief wurde mit der Corona-Epidemie begründet: Durch die längere Öffnung der Lokale sollten Superspreading-Ereignisse mit großen Menschenansammlungen auf engem Raum vermieden werden. Die Seuche war auch der Anlass dafür, dass der Termin der Volksabstimmung vom 22. April auf den Sommer verschoben wurde.
Tugendsignale
Die am 15. Januar von Wladimir Putin angestoßene Verfassungsreform enthält unter anderem die Klarstellung, dass die russische Verfassung Vorrang vor internationalen Verträgen und anderen außerrussischen Rechtsnormen hat. Widersprechen sie der russischen Verfassung, sind sie ungültig. Das ist eine im internationalen Vergleich nicht ungewöhnliche Regelung: Auch in Deutschland prüft das Bundesverfassungsgericht regelmäßig EU-Vorschriften auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz.
Außerdem garantiert das russische Grundgesetz nach der Änderung einen Mindestlohn und eine regelmäßige Anpassung der Renten. Darüber hinaus hat man Tugendsignale wie die "wichtige Priorität" von Kindern und den "Schutz der historischen Wahrheit" in das Änderungspaket aufgenommen, mit denen sich eher emotional orientierte Bürger ansprechen lassen. Die Festlegung, dass kein russisches Territorium aufgegeben werden darf, scheint vor allem auf die Krim gemünzt gewesen zu sein, könnte aber auch den Streit um die Kurileninseln verkomplizieren (vgl. Putin bietet Japan Friedensvertrag an).
Präsident bis 2036?
Die Änderungen, die mit Abstand die meiste Medienaufmerksamkeit erzeugten, betreffen das russische Präsidentenamt. Als Putin im Januar seine Pläne für eine Verfassungsreform vorgestellt hatte, stand im Vordergrund, dass die Einschränkung "in Folge" aus der Regelung, dass "ein und dieselbe Person das Präsidentenamt nicht länger als zwei Amtszeiten in Folge innehaben" darf, entfernt werden soll. Durch diese Streichung schloss Putin scheinbar aus, dass er nach dem Ablauf seiner laufenden Amtszeit 2024 den Ämtertausch von 2008 wiederholt (vgl. Russlands Regierungsumbau).
Damals wechselte er nach zwei Amtszeiten als Staatspräsident in das Amt des Ministerpräsidenten. Die folgenden vier Jahre war dann Dmitri Medwedew Staatspräsident, bis der den Posten 2012 wieder an Putin zurückgab, wieder Ministerpräsident wurde und die Amtszeit von Staatspräsidenten von vier auf sechs Jahre ausdehnte.
Deshalb spekulierten Beobachter, ob der beim Ablauf seiner laufenden Amtszeit 71-Jährige einen anderen Posten im Auge hat - etwa einen im Staatsrat der Regionsgouverneure (dessen Rolle in der neuen Verfassung festgeschrieben wird) oder als Chef einer Union aus Russland und Weißrussland.
Während der Debatte im Parlament kristallisierte sich jedoch in einem an das EU-Parlament erinnernden Dickicht von fast 400 Änderungsanträgen heraus, dass Putin mit gewisser Wahrscheinlichkeit auch nach 2024 Präsident bleibt. Offiziell machte den Vorschlag für das Schaffen der Voraussetzung dazu nicht er selbst, sondern Walentina Tereschkowa - die erste Frau im Weltraum, die heute Abgeordnete seiner Partei Einiges Russland ist.
Sie argumentierte, da das Amt des Präsidenten in der neuen Verfassung ja neu zugeschnitten sei, dürfe man bei der Begrenzung der Amtszeiten die im alten - anders zugeschnittenen - Präsidentenamt nicht mitzählen. Damit kann sich der jetzige Staatspräsident 2024 und 2030 wiederwählen lassen. 2036, am Ende seiner zweiten gezählten Amtszeit, wäre er dann 84 Jahre alt (vgl. Putin stellt Amtszeitzähler auf Null).
Im neuen Amts- und Kompetenzzuschnitt, mit dem Tereschkowa argumentierte, ernennt der russische Staatspräsident zwar nicht mehr den Ministerpräsident und dessen Minister (die dann vom Parlament bestimmt werden sollen), aber er hat das Recht, Ministerpräsidenten und Minister zu entlassen, Prioritäten zu setzen und Aufgaben zu vergeben. Bei der Auswahl der wichtigen Staatsanwälte darf er ebenso mitentscheiden wie bei der der Verfassungsrichter und Staatsratsmitglieder. Auch für die Außen- und Verteidigungspolitik und für Militär, Geheimdienste und Polizei soll die oberste Auswahlkompetenz bei ihm liegen. Putin selbst meinte dazu, er sei "tief davon überzeugt, dass eine starke präsidiale Macht für Russland absolut notwendig ist". Sonst gebe es das "Risiko einer Doppelherrschaft". Das Präsidialsystem müsse jedoch damit kombiniert sein, dass die Bürger in transparenten Wahlen mit Wettbewerbscharakter "immer eine Alternative haben".
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