Putin preist "Soldaten der Freiheit"

Für den neuen russischen Präsidenten Wladimir Putin war die Militärparade auf dem Roten Platz Anlass, der Welt mitzuteilen, dass man mit Russland weiterhin rechnen muss. Die Anti-Putin-Bewegung demonstrierte parallel auf sogenannten "Volks-Spaziergängen"

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In vielen größeren russischen Städten fanden am 9. Mai Militärparaden statt. Das ganze Land feierte den Sieg über Hitler-Deutschland vor 67 Jahren. Erstaunlich: Obwohl am 9. Mai im russischen Fernsehen von morgens bis abends alte sowjetische und neue Filme über die Verbrechen der "deutschen Faschisten" liefen, gibt es in der Bevölkerung keine anti-deutsche Stimmung.

Bei seiner Rede machte der neu-alte Präsident deutlich, dass man mit Russland rechnen müsse. Bild: Kreml

Militärparaden fanden in u.a. in Moskau , St. Peterburg, Wladiwostok und Grosny statt. In Moskau marschierten in diesem Jahr 14.000 Soldaten verschiedener Waffengattungen im Stechschritt über den Roten Platz. Es waren weniger Soldaten als im letzten Jahr, als 20.000 Soldaten marschierten (Der Kreml will weiter Militärparaden abhalten) .

Im Gegensatz zum letzten Jahr trugen die Marschierenden diesmal Paradeuniformen statt der modernen Fleckenuniformen. Diese Änderung im Outfit geht nach einem Bericht der Komsomolskaja Prawda auf Wünsche der Kriegs-Veteranen zurück. Ihnen war die Fleckenuniform, mit der die Armee-Führung Modernität demonstrieren wollte, offenbar zu nüchtern.

"Kleiner gepanzerter Wagen mit italienischem Motor"

Wie schon in den Vorjahren rollte über das graue Kopfsteinpflaster des Roten Platzes das modernste Militärgerät, was die russische Armee zu bieten hat: T-90-Panzer , Iskander-Mittelstreckenraketen, S-400-Luftabwehrraketen und die 1997 in Dienst gestellten Langstreckenrakete Topol-M.

Der Chef der KPRF, Gennadij Sjuganow, der wie auch der Ex-Präsident der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, der Parade beiwohnte, lästerte später auf einer eigenen Kundgebung der Kommunistischen Partei, bis auf einen kleinen gepanzerten Mannschaftswagen "mit italienischem Motor" seien alle auf dem Roten Platz gezeigten Waffen schon in der Sowjetunion entwickelt worden.

Für Stimmung auf dem Roten Platz sorgte ein 1.000 Mann starkes Militärorchester. Die mehreren hundert Kriegsveteranen, die auf der Ehrentribüne Platz genommen hatten, waren sichtlich gerührt, obwohl ihnen einiges abverlangt wurde. Zwar dauerte die Militärparade nur eine Stunde, aber die schon über 80-Jährigen mussten aus Sicherheitsgründen zwei Stunden auf ihren Plätzen sitzen bleiben.

Militärparade auf dem Roten Platz. Bild: Kreml

Scharfe Sicherheitsvorkehrungen

Die Sicherheitsvorkehrungen waren äußerst streng. Reporter der Zeitung Komsomolskaja Prawda berichteten von acht Scharfschützen, die auf den Zinnen der Kreml-Mauer und dem GUM-Warenhaus postiert waren. Die alljährliche Vertreibung der Wolken in Moskau hatte dieses Jahr nicht geklappt. Es regnete zwar nicht, aber der Himmel war bedeckt. Mehrere Test-Paraden in den letzten Tagen, die ebenfalls mit Straßenabsperrungen verbunden waren, hatten die Moskauer Autofahrer wegen der Straßenabsperrungen fast zur Verzweiflung getrieben.

Für den alt-neuen russischen Präsidenten Wladimir Putin war die Militärparade Anlass, der Welt mitzuteilen, dass man mit Russland weiterhin rechnen muss. Russland habe das "moralische Recht prinzipiell und nachdrücklich" seine Position in der Welt zu vertreten, weil "unser Land" den "Hauptschlag gegen den Nazismus" ausführte, erklärte Putin in seiner Rede auf dem Roten Platz. Die junge Generation solle sich erinnern, dass sie "Nachkommen von Siegern", von "wahren Soldaten der Freiheit" seien. Der Lehre des Zweiten Weltkrieges sei, dass die "staatliche Souveränität beachtet" und "die eigenständige Wahl jedes Volkes" respektiert werden müssten. Damit spielte Putin darauf an, dass der Kreml dem Westen empfohlen hatte, sich in die Bürgerkriege in Libyen und Syrien militärisch nicht einzumischen.

Anonymous-Attacke

Das russische Auslandsfernsehen Russia Today berichtete gestern, dass ausgerechnet am "Siegestag" die offizielle Website des russischen Präsidenten kremlin.ru für eine Stunde lahmgelegt wurde. Die russische Anonymus-Gruppe habe bereits letzte Woche eine Solidaritätsaktion mit der Protestbewegung im Land angekündigt, meldete Russia Today.

Die Aktionen der Protestbewegung für "ehrliche Wahlen", die inzwischen zu einer Anti-Putin-Bewegung geworden ist, gingen auch am Djen Pobeda ("Siegestag") weiter. Während Millionen Russen aus Anlass des arbeitsfreien Feiertages an Jacken und Taschen das orange-schwarze Georgi-Bändchen trugen, demonstrierten 500 Menschen mit weißen Schleifen – dem Erkennungszeichen der Protestbewegung - auf dem Moskauer Gartenring, einer Parkanlage, und anderen belebten Plätzen der Stadt. Die neue Protestform, die bereits seit Montag ununterbrochen anhält, nennt sich "Volks-Spaziergänge".

Polit-Happening

Obwohl die Polizei immer wieder Teilnehmer festnimmt und dann wieder freilässt, hat die Aktion etwas von einem Polit-Happening. Zu den "Spaziergängen" bringen die Teilnehmer Iso-Matten, Schlafsäcke, Gitarren und Trommeln mit. Man schießt Erinnerungsfotos, spielt Federball und singt Lieder. Viele Autofahrer begrüßen die Aktion mit Hupen.

Die "Spaziergänger" tragen keine Plakate, rufen aber laut und deutlich "Nieder mit dem Zaren", "Wir sind hier die Macht", "Dies ist unsere Stadt" und "Russland wird frei sein". Auch Provokateure tauchen hin und wieder auf. Am Mittwochabend nahm die Polizei solche Störer fest, die riefen: "Israel wird frei sein!"

Obwohl die Aktion nicht groß ist, findet sie erhebliche Beachtung in den Medien. Sogar die staatlichen Fernseh-Kanäle berichten regelmäßig. Auch die beiden bekanntesten Teilnehmer der Aktion, der Blogger Aleksej Nawalny und der Leiter der Linken Front, Sergej Udalzow, wurden bei den "Spaziergängen" schon mehrmals festgenommen, am Mittwoch aber dann nicht wieder freigelassen, sondern von einem Gericht wegen "Nichtausführung von Anordnungen der Polizei" zu Haftstrafen von jeweils 15 Tagen verurteilt.

Szene-Lokal Jean Jaques gestürmt

Massive Einschüchterungsversuche der Polizei blieben bisher erfolglos. Am Montag hatten Omon-Polizisten das unter kritischen Intellektuellen beliebte Szene-Lokal Jean Jaques im Zentrum von Moskau gestürmt . Dort hatten die Protestler eine Verschnaufpause eingelegt. Tische fielen um und Geschirr ging zu Bruch. Protestler wurden in Gefängniswagen geschleppt.

Eine Strategie, wie es mit der Protestbewegung unter dem neuen-alten Präsidenten weitergehen soll, gibt es nicht. Die Fernseh-Moderatorin Ksenia Sobtschak warnte in einem Offenen Brief , wenn die Macht jetzt nicht den Dialog mit der Protestbewegung suche, könnten bald "Flaschen mit brennbarer Flüssigkeit" fliegen. Tatsächlich steigt die Gewaltbereitschaft. Bereits am vergangenen Sonntag war es am Ende der Demonstration mit mehreren zehntausend Teilnehmern zu einer regelrechten Straßenschlacht mit der Polizei und über 400 Verhaftungen gekommen (Anti-Putin-Demo in Moskau endet mit 400 Festnahmen).