"Putin und Lawrow hätten vor die UNO gehen müssen"

Bild: Holger John / Viadata

Daniela Dahn über die schlimmste denkbare Variante der Scholz’schen Zeitenwende. Über Fakenews einer Osteuropa-Korrespondentin. Und über Notwendigkeit, Frieden zum besseren Geschäft zu machen als Krieg. (Teil 2 und Schluss)

Frau Dahn, im ersten Teil dieses Gesprächs haben Sie eine grundsätzliche Medienkritik geäußert und diese gleichermaßen auf private wie auf öffentlich-rechtliche Medien bezogen. Können Sie das, um nicht wieder zu generalisieren, am konkreten Beispiel veranschaulichen?

Daniela Dahn: Ich las gerade das Buch "Die Ukraine und wir" der Osteuropa-Korrespondentin des Deutschlandfunks Sabine Adler. An einem einzigen Absatz lässt sich die tendenziöse Art auch ihrer gleichgesinnten Berichterstattung veranschaulichen:

Auf Seite 40 will sie ihre Leser davon überzeugen, dass der russische Entwurfsvorschlag für Sicherheitsgarantien zwischen den USA und der Russischen Föderation vom Dezember 2021, also die wohl letzte Chance, den geostrategischen Konflikt friedlich zu lösen, das Papier nicht wert war, auf dem es steht. Offensichtlich verlässt sie sich darauf, dass kaum jemand den Wortlaut des Vertragsangebotes kennt.

Der steht zwar seit Dezember nicht nur auf der Seite des russischen Außenministeriums, sondern auch auf der Seite der russischen Botschaft in Berlin. Aber wer macht sich schon die Mühe, so etwas herauszufinden? Adler: "Noch im Dezember 2021 besteht Wladimir Putin auf seinem Forderungskatalog, dass sich die Nato hinter die Grenzen von 1997 zurückziehen müsse."

Das ist falsch. Hier wird suggeriert, der Kreml habe gefordert, die gesamte Nato-Osterweiterung rückgängig zu machen. Wie anders solle man ein "Zurückziehen hinter die Grenzen von 1997" verstehen, also auf einen Status quo, zu dem all die Länder des einstigen Ostblocks noch nicht Nato-Mitglied war: Tschechien, Ungarn, Polen, Estland, Lettland, Litauen, Bulgarien, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Kroatien, Montenegro und Nordmazedonien. Das wäre in der Tat ein absurder Anspruch.

Zumal die Vorschläge ausdrücklich als Entwurf und nicht als ultimative Forderung ausgewiesen sind. Was dazu in dem Vertragsangebot wirklich steht, ist in Art. 4 der vorgeschlagenen Maßnahmen nachzulesen: Russland und alle Staaten der Nato-Osterweiterung stationieren auf deren Hoheitsgebiet keine Streitkräfte und Waffen, zusätzlich zu den vor 1997 dort befindlichen.

Das heißt, die Nato sollte ihre Aufrüstung dieser Länder rückgängig machen. Diese würden mit den militärischen Kräften, die sie aus sowjetischem Erbe in die Nato eingebracht haben, Mitglieder bleiben. Das Bedrohungspotential Russlands durch westliche Waffen in unmittelbarer Nähe wäre verringert.


Daniela Dahn
Im Krieg verlieren auch die Sieger: Nur der Frieden kann gewonnen werden
Rowohlt Verlag, 224 Seiten, 16 Euro
ISBN: ‎ 978-3499011740

Der Stichtag Mai 1997 war nicht willkürlich gewählt, es war die Unterzeichnung der Nato-Russland-Akte. Liegt in diesem Dokument ein Anlass für solche Forderungen?

Daniela Dahn: Durchaus. Darin wurde festgehalten, dass sich beide Seiten nicht mehr als Gegner betrachten und daher die dauerhafte Stationierung von zusätzlichen Nato-Kampftruppen in diesen neuen Bündnisländern eingeschränkt ist. Erlaubt wurde sie nur im Verteidigungsfall oder in akuten Bedrohungslagen. Der Kreml knüpfte also mit seinem Vorschlag an einst gültige Verträge an.

Im nächsten Satz behauptet Sabine Adler, Putin verlange ein Ende der Stationierung atomarer Kurz- und Mittelstreckenraketen der USA in Europa. Das ist zumindest irreführend formuliert.

Der Kreml hat vorgeschlagen, dass alle Atommächte ihre Nuklearwaffen nur noch auf ihrem nationalen Hoheitsgebiet stationieren. Da ist Russland mit dem Abzug von Nuklearsprengköpfen aus Ostdeutschland und anderen Warschauer-Pakt-Staaten vor Jahren mit gutem Beispiel vorangegangen.

Das ist ein vernünftiger Ansatz. Die Bewegung der Blockfreien fordert das seit Jahren, man kann es nicht einfach als russische Maximalforderung abtun. Angesichts des generellen UN-Atomwaffenverbots, dem die Mehrheit der Uno-Mitglieder zugestimmt haben, wäre es ein erster Schritt der Beschränkung.

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