Putins Krieg und Erdogans "diplomatischer Triumph"
Das türkische Regime ist seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine zum gefragten Vermittler geworden und wird von Biden wie Baerbock gelobt
Fast muss der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin dankbar sein – denn Putin hat es mit seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine geschafft, dass Erdogan und sein nicht minder autoritäres und kriegerisches Regime sich aus der Schmuddelecke der Nato befreien konnten und plötzlich international gefragte Vermittler sind.
Sogar US-Präsident Joe Biden hat am Donnerstag die Vermittlungsversuche der Türkei zwischen Moskau und Kiew im Ukraine-Krieg gelobt. "Der Präsident ist sehr dankbar für die Rolle, die die Türkei spielt", sagte die Sprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki, nach einem Telefonat zwischen Biden und Erdogan am Donnerstag.
Beide hätten "ihre nachdrückliche Unterstützung" für die Ukraine bekräftigt und die Notwendigkeit eines sofortigen Endes der russischen Aggression betont.
Mit dem türkischen Außenminister Mevlüt Cavusoglu als Vermittler hatten sich am Donnerstag in der Hafenstadt Antalya der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba und der russische Außenminister Sergej Lawrow zu Gesprächen getroffen. Konkrete Ergebnisse gab es zwar nicht, aber Erdogan nannte das Treffen gegenüber Biden trotzdem einen "diplomatischen Triumph", wie die staatliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu berichtete.
Zumindest war es das erste Treffen auf solch hoher Ebene seit Beginn des Krieges vor gut zwei Wochen. Enge Beziehungen pflegt Ankara sowohl zu Kiew und als auch zu Moskau. Das SPD-Zentralorgan Vorwärts schrieb am Mittwoch ausführlich über "Erdogans Drahtseilakt als Vermittler im Ukraine-Krieg".
Der türkische Präsident habe zwar die russische Invasion schnell verurteilt, sich klar zur Nato bekannt und der Ukraine schon vor der Invasion Bayraktar-Kampfdrohnen aus der Fabrikation seines Schwiegersohnes geliefert. Andererseits hatte Erdogan 2019 das Raketenabwehrsystem S-400 aus der Russischen Föderation gekauft und diesen Schritt gegenüber Nato-Partnern verteidigt: Er wolle schließlich, "dass sowohl Amerika als auch Russland meine Freunde sind", hatte er damals erklärt.
Die Türkei bezieht außerdem mit rund 33 Prozent einen erheblichen Teil ihrer Erdgasimporte aus Russland und exportiert dorthin vor allem Textilien, Obst und Gemüse, ist aber auch ein beliebtes Urlaubsziel für Touristen aus der Russischen Föderation.
Im Südosten des Landes, wo fernab der Touristengebiete mehrheitlich Kurdinnen und Kurden leben, betreibt das türkische Militär allerdings brutale Aufstandsbekämpfung und nimmt sich immer wieder heraus, auch in den Nachbarländern Syrien und Irak mutmaßliche Anhänger der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zu bombardieren.
Angebliche "Terrorpropaganda" für die PKK dient auch regelmäßig als Begründung für Repressalien gegen Mitglieder anderer linker Gruppen und der Demokratischen Partei der Völker (HDP) sowie gegen Medienschaffende, die kritisch über diese Zustände berichten.
Deutschlands "wertebasierte Außenpolitik"
Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags zogen 2018 bereits in Zweifel, dass die als "Operation Olivenzweig" bezeichnete türkische Invasion im nordsyrischen Kanton Afrin und dessen Besetzung mit dem Völkerrecht vereinbar sei. Dass ein solches Gutachten zum Waffengang des Nato-Partners im Bundestag von der Opposition in Auftrag gegeben wurde, lag daran, dass sich die Bundesregierung mit der Bewertung zurückgehalten hatte. Schließlich hatte die türkische Armee dort auch deutsche Leopard-Panzer eingesetzt.
Im Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung unter Olaf Scholz (SPD) wurde all das diplomatisch umschrieben. Dort heißt es auf Seite 154: "Die Türkei bleibt trotz besorgniserregender innenpolitischer Entwicklungen und außenpolitischer Spannungen ein wichtiger Nachbar der EU und Partner in der Nato".
Sevim Dagdelen, Obfrau der Fraktion Die Linke im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags, betont in diesem Zusammenhang, dass das Völkerrecht für alle gelten muss: "Gespräche zu einer Verhandlungslösung im Ukraine-Krieg sind grundsätzlich und allerorten zu begrüßen, auch in Antalya", so Dagdelen am Donnerstag gegenüber Telepolis.
"Das beharrliche Schweigen der Bundesregierung zu den Völkerrechtsbrüchen und dem Besatzungsregime des Nato-Partners Türkei in Syrien zeigt aber unverhohlen, dass das ganze Gerede um eine sogenannte wertebasierte Außenpolitik nichts als Heuchelei ist und der Verkleidung der eigenen geopolitischen Interessen dient. Das Völkerrecht wird dann hochgehalten, wenn es passt."
Erdogan hat seine Rolle als Grenzwächter vor den Toren der EU und als eine Art "Bad-Cop" der Nato in den letzten Jahren geschickt ausgespielt. Er war ein Mann fürs Grobe, der mit seiner Soldateska nebst dschihadistischen Hilfstruppen immer mal wieder aus dem Ruder zu laufen drohte, aber für den Geschmack der "Good-Cops" nie wirklich zu weit ging. Zweimal zeigten Menschenrechtsgruppen Erdogan und ranghohe türkische Militärs bei der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe wegen Kriegsverbrechen an, 2011 und 2016, allerdings beide Male erfolglos.
Erdogans islamisch-reaktionäre AKP ist aktuell Seniorpartner in einer Koalition mit der ultranationalistischen MHP, deren Anhänger auch als "Graue Wölfe" bekannt sind. Auch aggressiver Antifeminismus gehört zum Repertoire dieser Regierung, die im März 2021 den Austritt aus der Istanbul-Konvention des Europarats zum Schutz von Frauen vor häuslicher Gewalt beschlossen hat. Sie verkörpert eigentlich alles, wofür die Grünen in Deutschland nicht stehen wollen und was sie zu bekämpfen vorgeben.
Angesichts des Krieges in der Ukraine zeigte sich Deutschlands grüne Außenministerin Annalena Baerbock am 4. März 2022 aber lächelnd mit ihrem türkischen Amtskollegen Cavusoglu und schrieb dazu in einem vielbeachteten Tweet: "Nach unzähligen Telefonaten in den letzten Wochen haben wir uns am Rande des Nato-Treffens endlich persönlich sprechen können: vielen Dank, Mevlut Cavusoglu, für unsere starke deutsch-türkische Partnerschaft! In der Russland-Krise stehen wir zusammen."
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