"Quadratur des Kreises": Niko Paech hält grünes Wachstum für Budenzauber
Ökonom Paech: Grünes Wachstum sei Illusion. Regierungen versprechen Unmögliches. Wie lange hält der Budenzauber? Ein Interview.
Eine Wirtschaft ohne Wachstum – für manche Ökonomen ist sie der Schlüssel für mehr Nachhaltigkeit, Klimaschutz und einem neuen sozialen Miteinander. Eine ihrer prominentesten Stimmen in Deutschland ist Niko Paech, außerplanmäßiger Professor an der Universität Siegen.
Er forscht und lehrt im Bereich der Pluralen Ökonomik mit Schwerpunkten in Umweltökonomie, Ökologischer Ökonomie und Nachhaltigkeitsforschung. Hier stellt er sich Fragen zu seinem Konzept der Postwachstumsökonomie.
▶Herr Paech, Ihr Konzept der Postwachstumsökonomie betont die Freiwilligkeit. Angesichts der aktuellen geopolitischen Spannungen und des globalen Wettbewerbs um Ressourcen: Wie realistisch ist es, dass eine Mehrheit der Bevölkerung freiwillig eine wirtschaftliche Schrumpfung akzeptiert?
Niko Paech: Das ist ein Missverständnis. Der von mir entwickelte Zukunftsentwurf namens Postwachstumsökonomie beschreibt Maßnahmen und Zustände, die dazu führen, die ökologische Überlebensfähigkeit der menschlichen Zivilisation wiederherzustellen. Damit bleibt die Frage nach der Umsetzung zunächst offen. Denkbar sind drei Transformationspfade.
Erstens, demokratisch legitimierte Regierungen, die eine Postwachstumsstrategie umsetzen.
Zweitens, ein Bottom-up-Prozess, durch den dezentrale Versorgungssysteme und genügsame Lebensstile entwickelt werden, die sich mittels Nachahmung und Vernetzung stetig ausbreiten.
Drittens, zunehmend wirkmächtige Krisen, die der Gesellschaft reduktive Anpassungen im Sinne der Postwachstumsökonomie abverlangen.
Es entspricht einer modernistischen, aber längst überkommenen Denkweise, die Gesellschaft als homogenes Gebilde zu begreifen, das für ein bestimmtes Entwicklungsmuster entweder affin ist oder eben nicht. Tatsächlich ist sie von kulturellen Ungleichzeitigkeiten geprägt, d. h. während eine Minderheit bereits willens und fähig ist, postwachstumstaugliche Praxis zu entfalten, wird der Rest spätestens dann von seiner öko-suizidalen Existenzform ablassen, wenn die Macht des Faktischen dazu zwingt.
Und erst in dieser Situation wird womöglich auch die Politik dazu übergehen, sich an den bereits autonom ausgeführten reduktiven Mustern zu orientieren und diese zu institutionalisieren.
▶ Angesichts der zögerlichen Reaktionen vieler Regierungen auf den Klimawandel: Inwiefern stößt unser derzeitiges System der repräsentativen Demokratie bei der Umsetzung einer Postwachstumsökonomie an seine Grenzen? Welche Veränderungen in den politischen Strukturen wären nötig, um die Prinzipien einer Postwachstumsökonomie langfristig zu verankern und umzusetzen?
Niko Paech: Veränderungen am parlamentarischen Regelwerk, die sich ohne Freiheitsverluste vornehmen ließen, könnten Elemente der direkten Demokratie sein, etwa angelehnt an die Schweiz.
Besondere Nachhaltigkeitsimpulse sind davon aber nicht zu erwarten. Denn die oft behauptete These, mehr Partizipation und soziale Emanzipation würden zu mehr Nachhaltigkeit führen, entpuppt sich als politisch korrekte Selbsttäuschung.
Funktionsfähige Demokratien bestehen in neutralen und freiheitlichen Entscheidungsprozessen, können also nicht ein von wem auch immer erwünschtes Ergebnis vorwegnehmen. Folglich kann das genaue Gegenteil resultieren: Mehr Demokratie verstärkt Nachhaltigkeitsdefizite, wenn sich der grassierende, von einer Mehrheit praktizierte Ökovandalismus damit nur noch prägnanter legitimiert.
Regierungen, die sich einer Mehrheit gegenüber sehen, die zugleich reich und nachhaltig sein will, kann sich nur behaupten, indem sie glaubwürdig eine Quadratur des Kreises verspricht, nämlich grünes Wachstum, insbesondere eine Energiewende, aus der sich die Komfortzone zukünftig ohne ökologische Gewissensbisse speisen lässt.
Wenn sich dies jedoch als Budenzauber herausstellt, bleibt einer wirksamen Nachhaltigkeitspolitik nur noch, Einschränkungen zu oktroyieren. Dies widerspräche allem, womit sich parlamentarische Instanzen seit jeher der Wählermehrheit angedient haben, käme somit politischem Selbstmord gleich.
Wer daraus folgert, die Demokratie sei abzuschaffen, läuft lediglich von der einen Unvereinbarkeit in eine andere. Denn eine politische Elite, die mit autoritären Mitteln eine Postwachstumsstrategie umzusetzen trachtet, existiert nicht. Und selbst wenn, dürfte es ihr kaum gelingen, die Macht an sich zur reißen.
Folglich gilt es, den Blick von der vertikalen, also nach oben gerichteten, zur horizontalen Nachhaltigkeitskommunikation zu richten. Was zwingt Wissenschaftler und Nachhaltigkeitsakteure überhaupt dazu, ausschließlich Forderungen an politische Entscheidungsträger zu richten, statt auf eine transformationsaffine Minderheit zu fokussieren, damit diese das Erfahrungswissen für einen Plan B hervorbringen kann?
Damit bliebe wenigstens die bescheidene Chance gewahrt, aus dezentralen Übungsräumen heraus das vorhandene Durchdringungspotenzial zukunftsbeständiger Daseinsformen auszuschöpfen, bevor absehbare Zusammenbrüche derartige Praktiken erzwingen. Real existente Gegenkulturen bilden ein lebendiges Archiv, auf das notfalls auch jene zurückgreifen können, die jetzt noch von einer Zukunft als Optimierung der prosperierenden Gegenwart träumen.
Möglicherweise ließe sich so der Aufprall dämpfen. Wenn es zuweilen hieß, der Wandel ereigne sich "by design or by disaster", ließe sich dem "by decentralized design and desaster" entgegenhalten. Zu mehr Hoffnung besteht derzeit kein Anlass.
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▶ Aus einer weltpolitischen Perspektive betrachtet, drängen sich die jetzt folgenden Punkte auf: Wenn einige Länder eine Postwachstumsökonomie einführen, während andere am klassischen Wachstumsmodell festhalten, könnte dies zu neuen geopolitischen Ungleichgewichten führen. Wie lässt sich verhindern, dass Länder, die eine Postwachstumsökonomie umsetzen, im globalen Wettbewerb benachteiligt werden?
Niko Paech: Es wäre sogar wünschenswert, sich vom globalen Wettbewerb abzuwenden, um unabhängiger von externer Versorgung, also krisenfester zu werden. Welchem anderen Zweck könnte der Kult um internationale Wettbewerbsfähigkeit geschuldet sein, wenn nicht dem Streben nach Wohlstandwachstum?
In einer Postwachstumsökonomie wird der Außenhandel deswegen aber keineswegs eingestellt, sondern erstens quantitativ auf ein ökologisch verantwortbares und resilientes Maß gesenkt und zweitens auf jene Güter konzentriert, deren Fehlen im Krisenfall die Befriedigung wichtiger Grundbedürfnisse nicht ernsthaft gefährdet.
Jene Länder, die ihrem Wachstumsdrang mittels globalisierter Produktionsketten über Gebühr folgen, vernachlässigen den Zielkonflikt zwischen Effizienz, vermittelt durch raumgreifende Arbeitsteilung, und Resilienz, vermittelt durch Autonomie.
Früher oder später werden Krisen ohnehin zum Regulator, der ein unkontrollierbar gewordenes Weltwirtschaftssystem in seine Schranken weist. Und jene, die sich schon vorsorglich auf die post-globale Ära eingestellt haben, werden klar im Vorteil sein.
▶ In einer Postwachstumsökonomie würden sicherlich auch die Ressourcen für Militärausgaben schrumpfen. Das Konzept der "'Zeitenwende"der amtierenden Regierung deutet auf eine Verschiebung des Schwerpunkts von diplomatischen zu militärischen Strategien hin, wir müssen von einer Remilitarisierung Deutschlands sprechen.
Kritiker könnten nun argumentieren, dass eine Reduzierung des materiellen Wohlstands in Ländern, die eine Postwachstumsökonomie verfolgen, letztlich nur imperialistische Akteure wie die USA begünstigt, die ihr Wachstumsmodell beibehalten und dann ungehemmt ihre Interessen global durch ökonomischen Druck und letztlich durch militärische Gewalt durchsetzen könnten. In diesem Zusammenhang wäre die Stichworte Ressourcenkonkurrenz und Emissionsrechte wichtig.
Wie würden Sie auf diesen letzten Einwand reagieren, und wie kann eine Postwachstumsökonomie in einem solchen internationalen Umfeld erfolgreich sein?
Und ganz konkret: Wie können sich Nationen, die eine Postwachstumsökonomie verfolgen, vor ökonomisch und militärisch aggressiven Ländern behaupten? Also welche Alternativen zur militärischen Abschreckung siehst du, um Frieden und Sicherheit in einer Welt zu gewährleisten, in der nicht alle Nationen dem Postwachstumsgedanken folgen?
Niko Paech: Ernsthafte Versuche zu unternehmen, die berechtigten Sicherheitsinteressen anderer Staaten zu respektieren und im Ernstfall Waffenstillstandsverhandlungen mit einem Aggressor zu führen, könnte viel Geld und Rüstungsproduktion sparen. Von Menschenleben ganz zu schweigen.
Ansonsten gilt: Ob ein Staat sich wehren kann und einem Verteidigungsbündnis angehört, hängt nicht davon ab, ob seine Wirtschaftsform einer Postwachstumsökonomie entspricht. Weiterhin wäre es ratsam, die Debatte über passive Formen eines zivilen Widerstands wiederaufzunehmen.
Langfristig lässt sich Frieden nur sichern, wenn Bedürfnisse, deren Befriedigung nicht mit eigenen Mitteln und Ressourcen möglich sind, reduktiv angepasst werden. Eine postwachstumskompatible Daseinsform trägt also nicht nur dazu bei, den Krieg gegen die Ökosphäre zu beenden, sondern auch den gegen Menschen.
▶ Abschließend zusammengefasst: Wie könnte die Postwachstumsökonomie zu einem friedlichen und gerechten Zusammenleben der Menschen auf unserem Planeten beitragen?
Niko Paech: Zu den Merkmalen einer Postwachstumsökonomie würde unter anderem zählen, Kapital, Technologie und globale Produktionsketten durch kooperative Versorgungsaktivitäten und eigene produktive Beiträge graduell zu ersetzen. Somit werden Zeit, handwerkliches Improvisationsgeschick und soziale Beziehungen zur Basis einer nicht-kommerziellen Nebenökonomie.
Wenn Menschen eine maßvolle Reduktion ihres Einkommens kompensieren, indem sie vieles von dem, was andernfalls industriell erzeugt und finanziert werden müsste, mit anderen gemeinschaftlich nutzen, erhalten, reparieren, tauschen, ausleihen, anbauen oder produzieren, wird Maschinenarbeit wieder in unmittelbare Zusammenarbeit zwischen Menschen zurückverwandelt.
Damit wird soziale Stabilität reaktiviert, weil Menschen sich wieder aufeinander verlassen müssen und Gemeinsinn entwickeln. Wer nur noch 20 Stunden für Geld arbeitet und die freigewordene Stunden für nicht entfremdetes Schaffen in kooperativen Versorgungsnetzen verausgabt, hat im Übrigen etwas Besseres zu tun, als in einen Krieg zu ziehen.