"Querdenken"-Demonstrationen in Bremen und Mannheim letztinstanzlich verboten
Gegendemonstrationen sind aber erlaubt. 21 Prozent Grünen-Wähler: Laut einer Studie zur "Soziologie der Corona-Proteste" kommt die Bewegung mehr von links, geht aber stärker nach rechts
Die für heute angekündigten Querdenker-Demonstrationen in Bremen und in Mannheim wurden gerichtlich von mehreren Instanzen verboten. Im Fall der Bremer Großdemonstration wurde sogar das Bundesverfassungsgericht von den Veranstaltern eingeschaltet. Die Eilentscheidung fiel dann gegen sie aus. Bislang liegt noch keine Begründung vor. Manche erwarten davon eine "Signalwirkung". Gegendemonstrationen zur Querdenker-Demo in Bremen sind aber erlaubt. Auch das hat eine Signalwirkung.
Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) in Mannheim nimmt in seiner Demonstrationsverbots-Begründung laut n-tv Bezug auf "widersprüchliche und vage Äußerungen des Organisators in der Öffentlichkeit, ob er die zuvor festgelegten Auflagen ernsthaft durchsetzen wolle". In Bremen begründeten das Ordnungsamt, das Verwaltungs- sowie das Oberverwaltungsgericht das Verbot mit der "öffentlichen Sicherheit"
Dass die Gegendemonstrationen erlaubt sind, wird damit begründet, dass diese sich an die Hygiene-Auflagen halten, nicht aber die Querdenker-Demos. Deren Auflagentreue wird als unsicher eingestuft. Politische Entscheider vor Ort gehen offenbar davon aus, dass sie prinzipiell gegen die Auflagen - Abstandhalten und Maskenpflicht - verstoßen.
Ostentativ gegen Maßnahmen
Das bestätigte auch der bayerische Landtagsabgeordnete Florian Ritter in einem Gespräch mit Telepolis. Darin ging es um die Überprüfung der Querdenker durch Verfassungsschutz, wozu CSU-Ministerpräsident Markus Söder Mitte November angeregt hatte. Mittlerweile hat diese Anregung größere Kreis gezogen. Der Verfassungsschutz hat die Querdenker im Visier, wie aus Berichten hervorgeht.
Anhaltspunkte für den Verdacht, das Grundgesetz infrage zu stellen und es auf bizarre Weise unterlaufen zu wollen, kamen aus der Führung der Stuttgarter Querdenken-Bewegung selbst, deren Mitbegründer Michael Ballweg nach Erfahrungen von Sympathisanten oder Weggefährten sehr enge Bande mit Reichsbürgern knüpfte, allen voran mit dem selbsternannten "König von Deutschland", Peter Fitzek (Meine Erfahrungen mit Querdenken.) Zuvor schon hatte Ballweg eine Nähe zu den Reichsbürgern erkennen lassen. Dass mit diesen nicht zu spaßen ist, hatte man in Bayern schon vor einiger Zeit erfahren.
Erfahrungen auf den Demos
Nun wurden an dieser Stelle auch andere Erfahrungen - nicht zu den Reichsbürgern und deren reaktionär aggressiven Ideologie, aber zu den Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen - geäußert. So berichtete Thomas Moser von seinen Beobachtungen von Demonstrationen aus Berlin, dass sich die Polizei manchmal auf eine Weise verhält, dass Demo-Auflagen wie Abstandhalten nicht eingehalten werden können, wobei aber die Weigerung des Maskentragens als Signature-Act für eine grundsätzliche Ablehnung der Maßnahmen bleibt, ohne dass dies von Polizei-Tricks erzwungen würde.
Interessanter und wichtiger für die Anhänger/Sympathisanten der Querdenker-Demos ist die wiederholte Beobachtung Mosers, dass es ein breiteres Spektrum an Teilnehmern gebe, als es das Bild hergibt, auf das sich die Medienberichterstattung mehrheitlich konzentriert.
Auf Twitter und in Foren laufen viele Kommentare in die Richtung: "Macht es euch nicht so einfach. Man kann die Demonstrationen nicht dadurch dissen, dass man sie nur in die rechte Ecke stellt. Es gibt Reichsflaggen und dazu Esoteriker und verdrehte Hippies, ja, aber auch eine ganze Menge normaler Bürger, die mit dabei sind."
Das politische Vakuum und die Rechten
Das Vorgehen der Behörden und die Ausgrenzung der Demonstrationsteilnehmer könne unangenehme Folgen haben, befürchtete Thomas Moser im Sommer (Corona-Proteste: Polizei verhindert Umzug, muss Kundgebung aber zulassen).
Eine politische Opposition in den Parlamenten findet seit einem halben Jahr nicht mehr statt. Den Parteien fällt zu der Krise nichts Intelligentes ein. Sie wirken wie paralysiert. Dass sie gleichzeitig die Corona-Proteste wie verbissen bekämpfen, verwundert allerdings. Es wirkt, als dürfe nicht an einem Tabu gerüttelt werden. Tatsächlich schaffen sie fortwährend ein politisches Vakuum, in das alle möglichen Kräfte strömen können.
Thomas Moser
Das politische Vakuum nützt vor allem den Rechten, so der Eindruck. Bestätigt wird er von ersten Ergebnissen einer "politischen Soziologie der Corona-Proteste", einem Forschungsprojekt am Institut für Soziologie an der Universität Basel unter der Leitung von Oliver Nachtwey (siehe: Abstiegsgesellschaft?), Robert Schäfer und Nadine Frei.
Empirie der Soziologen: "Enorm widersprüchlich"...
Der Soziologe Nachtweih hat der FAZ einige Ergebnisse mitgeteilt. Daraus zitiert Die Welt mit einigem Genuss, dass sich viele Grünen-Wähler und Linksparteiwähler in der Querdenker-Bewegung finden. Die Auswertung von 1150 Fragebögen, die an "Querdenker"-Telegram-Gruppen geschickt wurden (also keine repräsentative Auswahl), ergänzt mit Interviews von Demonstrationsteilnehmer und "ethnographischen Beobachtungen", habe ergeben, dass, so Nachtweih, bei der letzten Bundestagswahl "21 Prozent die Grünen und 17 Prozent die Linke gewählt haben. Der AfD haben 14 Prozent ihre Stimme gegeben".
Erwartet wird ein Wechsel: "Bei der nächsten Bundestagswahl wollen nun aber 30 Prozent der AfD ihre Stimme geben."
Die Querdenker-Bewegung komme mehr von links, gehe aber stärker nach rechts, erklärt Oliver Nachtwey der FAZ gegenüber, wo er hinzufügt, dass die Bewegung "enorm widersprüchlich" sei.
"Sozialstrukturell" handele es sich "um eine relativ alte und relativ akademische Bewegung" mit einem Durchschnittsalter von 47 Jahren. 31 Prozent hätten Abitur und 34 Prozent einen Studienabschuss. Auffallend sei der Anteil Selbständiger, der deutlich höher sei als in der Gesamtbevölkerung.
Nachtwey charakterisiert die Anhänger der Bewegung als entfremdet von den "Institutionen des politischen Systems, den etablierten Medien und den alten Volksparteien", was eine Nähe zu AfD-Wählern nahelegt. Allerdings und da zeigt sich ein Widerspruch:
Eine Mehrheit der Befragten bestreitet, dass auf Minderheiten zu viel Rücksicht genommen wird in Deutschland. Fremden- und Islamfeindlichkeit sind schwach ausgeprägt.
Oliver Nachtwey gegenüber der FAZ
Religion und die Kirchen würden bei den Querdenkern nur eine geringe Rolle spielen.
Aber die Querdenker betrachten sich selbst als erwacht gegenüber den ungläubigen sogenannten Schlafschafen. Man will der verwalteten und der als technokratisch empfundenen Welt einen Sinn geben, es gibt eine Skepsis gegenüber dem hypermodernen Industrialismus.
Oliver Nachtwey gegenüber der FAZ
Aus den ausgewerteten Fragebögen würden sich aber - "zumindest verdeckt" - antisemitische Stereotype zeigen. Anderen "klassisch rechtsautoritären oder rechtpopulistischen Einstellungen" würde weniger zugestimmt: "64 Prozent der Befragten sagen sogar, man müsse Kindern nicht beibringen, auf Autoritäten zu hören; der Nationalsozialismus wird seltener verharmlost als in der Gesamtbevölkerung."
Problem für die Grünen?
Was den Umgang mit Wissenschaft betrifft, so beobachten die Soziologen, dass bei den Querdenkern unsystematische Herangehensweisen kennzeichnend seien. Die Querdenker näherten sich den Fragen der Pandemie mit einer "Hermeneutik des Verdachts" und subversivem Gegenwissen: "Sie warnen vor einer globalen Zwangsimpfung, halten aber Studien über den Klimawandel nicht für manipuliert. Weil Basel der Sitz vieler Pharmakonzerne ist, es hier eine Reihe von Stiftungsprofessuren gibt, ziehen sie die Objektivität aller Forscher in Zweifel."
Dafür gebe einen Hang zur Naturromantik. Einerseits wird die Gefahr des Virus geleugnet, anderseits werden Selbstheilungskräfte und Spirituelles betont. Da es hier Verbindungen zum Milieu der Grünen-Wähler gibt, sieht Nachtweih hier ein Problem für die Partei aufkommen, ähnlich wie es die Hartz-IV-Reformen für die SPD und die Flüchtlingskrise für die CDU war.