RKI-Protokolle: ZDF & Spiegel vs. Multipolar, Kampf der Etiketten

Bleistift, der Figuren wegradiert

Bild: Shuterstock.com

Ein Außenseitermedium sticht die Leitmedien aus. Es folgen Praktiken, die es mit journalistischer Moral nicht genau nehmen: Wer entlarvt hier wen?

Die öffentliche Einschätzung über die Erkenntnisse, die aus der Veröffentlichung der RKI-Files gewonnen wurden, fällt unterschiedlich aus, das ist Meinungsvielfalt. Eine, die politischen Lager übergreifende Einigkeit bestand darin, die Veröffentlichung wichtig zu nehmen.

Auch Leitmedien wie das ZDF und der Spiegel berichteten davon, obwohl die Veröffentlichung einen Stachel hatte. Sie wurde nicht von Investigativ-Teams ihrer Journalisten zutage gefördert, sondern von einem Außenseitermedium. Da gab es ein Versäumnis, wie manche Journalisten einräumten.

Veröffentlichungen vom sogenannten Alternativmedium Multipolar werden üblicherweise ignoriert und bestenfalls mit spitzen Fingern (siehe etwa Stern) angefasst. Die Webseite gilt im Selbstverständnis der großen Referenz-Medien als ein Medium, das Verschwörungstheorien befördert.

Zwei Vorwürfe

Multipolar und die Herausgeber, namentlich Paul Schreyer, gelten als sowas wie "persona non grata" der guten journalistischen Gesellschaft. Die Gründe dafür und wie man sie bewerten kann, ist ein eigenes Diskussionsfeld und keine einfache Sache.

An dieser Stelle soll es um den journalistischen Umgang mit der Veröffentlichung der Behörden-Protokolle durch ein "anrüchiges" Medium gehen. Es gibt, wie in diesen turbulenten Zeiten, in denen die Affekte kreischen wie kaputte Bremsen, jeden Tag aufs Neue die Ermahnung zu lesen, auf sauberen Journalismus zu achten. Wie steht es damit bei denen, die sich auf der richtigen Seite sehen?

Da gäbe es zwei Vorwürfe anzuschauen, die mit Glaubwürdigkeit zu tun haben, dem Kapital, mit dem die großen Medien in moralischer und professioneller Hinsicht wuchern und sich dabei fragen müssen, wie es denn kommt, dass sie immerfort neu angezweifelt wird.

"Ein rechter Publizist"

Der erste Vorwurf betrifft die Einordnung, die Klassifizierung. Welchen Dienst erweist man einer Leserschaft, die in einem Beitrag auf die Veröffentlichung der RKI-Files aufmerksam gemacht wird, und mit den ersten Sätzen darauf hingewiesen wird, dass es sich bei Paul Schreyer um einen "rechten Publizisten" handelt?

Die Etikettierung war, wie Paul Schreyer diese Woche auf X mitteilte, zu Anfang eines Beitrages der NZZ über die Entschwärzung der RKI-Protokolle zu lesen. "Auf Nachfrage", so Schreyer, hätten die NZZ-Autoren erklärt, dass er ein Buch veröffentlicht habe, bei dem Jürgen Elsässer als Herausgeber fungiere.

Meinen Hinweis, dass das 13 Jahre (!!) her ist und Elsässer zu der Zeit noch eher links als rechts stand, ließen die NZZ-Autoren unbeantwortet.

Paul Schreyer

Das Problem mit solchen Platzanweisungen ist, dass damit ausgerichtet wird, unter welchen Aspekten die Veröffentlichung gesehen wird. Solche Etikettierungen müssen allerdings begründet werden. Dies ersparte man sich bei Paul Schreyer. Es reicht also, ihm ein gegnerisches Trikot überzuziehen?

Begründungen?

Eigentlich müssten die Journalisten und Journalistinnen den Lesern zumindest Anhaltspunkte und Begründungen für die Vorab-Etikettierung, wie das etwa im erwähnten Bericht des Stern zumindest im Ansatz gemacht wird.

Bei der taz deutet man die Gründe der Einordnung oberflächlich an: "verschwörungsideologische Deutungsmustern der 9/11-Anschläge, (…) sehr russlandfreundlichen Lesart des Ukraine-Kriegs seit 2014 und eine 2020 erschienene Publikation zur Coronapandemie". Und zeigt damit ziemlich inhaltsleer eine Lagerordnung auf.

Bei der NZZ wird dagen einfach nur das Etikett "rechts" verwendet, wie auch beim Spiegel, wie weiter unten im Beitrag klar wird.

Kein kleiner Klebezettel

Es ist ja kein kleiner Klebezettel. In einem Mediendiskurs, der angesichts einer Bedrohung der Demokratie, immer schärfer darauf drängt, dass Information von Desinfo abgegrenzt wird, sind "Rechter" und "Verschwörungstheoretiker" Platzhalter für allerhöchste Gefahr der Demokratie.

Oder ist das schon ein Argument, das mit zwei Worten auskommt, und genügt? Dann sind wir im Reich der Polemik. Das ist ein wichtiges und schönes Genre, wo solche Etikettierungen selbstverständlich erlaubt sind wie auch Karikaturen von Journalisten, die es vor allem gut meinen. Sowas macht aufgrund eines lässigen Sprachgebrauchs viel gute Laune, jedenfalls mehr als ideologische Pedanterie, die beweisen will, was man eh schon weiß. Polemik hat seinen eigenen, großen Erkenntniswert.

Nur: Das müsste man aber nach den Regeln des Journalismus kennzeichnen und von Nachrichten trennen.

Der Umgang mit Nachrichten

Der Umgang mit Nachrichten betrifft den zweiten Kritikpunkt zum Umgang der Referenzmedien mit der Veröffentlichung der RKI-Files. Wie von Multipolar vorgebracht wird, haben sowohl der Spiegel wie auch das ZDF Berichte dazu nach der Erstveröffentlichung, in der eine falsche Aussage stand, verändert, ohne dies der Leserschaft deutlich zu machen, so der Vorwurf.

So sei zunächst beim ZDF ein "sachlich formulierter Artikel" von Britta Spiekermann mit eigener Recherche erschienen, der viel gelesen worden sei, bei dem später laut Vorwurf von Multipolar ein "Schlüsselsatz" entfernt worden sei.

Er lautet "Auf welcher wissenschaftlichen Grundlage die Hochstufung (der Risikobewertung, Einf. d. A.) erfolgt, bleibt unklar." Zu lesen ist der Satz noch im archivierten ZDF-Bericht.

Der Text sei dann mit vorher nicht enthaltenen Sätze ergänzt worden. Multipolar zitiert dazu aus dem veränderten, bzw. upgedateten Bericht den Satz: "Die Passage in den Protokollen legt allerdings nahe, dass das RKI die Risikobewertung selbst gemacht und nach dieser das Risiko als 'hoch' einstuft hat. Einzig die Veröffentlichung der Risikobewertung hing demnach von der Freigabe der nicht namentlich genannten Person ab."

Erklärungen der Redaktionen

In einer Mail an die Redaktion Telepolis auf die Frage, warum die inhaltlichen Änderungen nicht kenntlich gemacht worden sind, teile das ZDF lapidar mit:

Das ZDF verfügt seit vielen Jahren über eine Seite, auf der Korrekturen und Richtigstellungen veröffentlicht werden. Grundsätzlich werden wesentliche Überarbeitungen, wenn es inhaltlich geboten ist, auch in den Beiträgen selbst kenntlich gemacht.

Statement des ZDF

Und der "Allmächtige verschwand ohne irgend eine Erklärung" (Jean-Paul Sartre, Die Wörter)?

Auch dem Spiegel wirft Multipolar vor, dass man dort einen Artikel nachträglich und nicht transparent verändert habe:

Der am Sonntagnachmittag erschienene SPIEGEL-Artikel, ursprünglich verfasst von Henning Jauernig, wurde ebenfalls nachträglich frisiert. Stand dort zunächst neutral:

"Das Online-Magazin 'Multipolar', das auf diesen Schritt geklagt hatte, veröffentlichte die Unterlagen."

So hieß es nach einer heimlichen Überarbeitung später:

"Das rechte (!) Onlinemagazin 'Multipolar', das auf diesen Schritt geklagt hatte, veröffentlichte die Unterlagen."

Multipolar, RKI-Protokolle: ZDF und SPIEGEL verfälschen nachträglich ihre Berichte

Auf die Nachfrage von Telepolis antwortete ein Vertreter der Unternehmenskommunikation des Spiegel:

Gemäß unseren redaktionellen Standards machen wir Korrekturen an unseren Texten durch einen Hinweis am Ende transparent. Im vorliegenden Fall handelt es sich jedoch um eine inhaltliche Ergänzung und Präzisierung, die den Kern der Berichterstattung nicht berührt.

Der Eindruck ist, dass sich die beiden großen Medien bei einer entsprechenden Kritik, die aus einem Lager kommt, das sie selbst anders gewichten, anders reagiert hätten, anders verfahren wären.

Es ist nur eine Mutmaßung und angesichts der großen Wellen, die die Veröffentlichung der RKI-Papers verursacht haben, die politische Wucht haben, vielleicht nur eine kleine Randbeobachtung.

Allerdings sind die moralischen Ansprüche im Kreis der selbstgewissen Medienvertreter, die die Codes für richtigen Journalismus ausgeben und wie im Traumland Körbe fürs Gute und Schlechte aufstellen, so groß und auftrumpfend, dass schon solche Körnchen reichlich grob auffallen. Vor allem, wenn es doch um Debattenkultur geht.