Radio Dylan

Seite 2: Dylans Stunde im Radio

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Wieder etliche Jahre später - machte Dylan auf einmal selber eine Radio Show, in Amerika. Bob Dylan’s Theme Time Radio Hour, so der komplette Titel, begann im Mai 2006, und endete zum Ende April diesen Jahres, also nach fünf Jahren, wobei die letzten beiden Jahre mit Wiederholungen von Sendungen aus den ersten drei Jahren angefüllt waren. Es war eine einstündige, wöchentlich einmal ausgestrahlte Rundfunk-Serie, bei der "Bob Dylan" verschiedene Songs, jeweils zu einem zentralen Thema, etwa "Katzen" oder "Kaffee", präsentierte und dazu allerlei Schmankerln von sich gab. Ich setze "Bob Dylan" hier in Anführungsstrichelchen, weil Dylan quasi nur den Part des Sprechers in diesem Programm mimte, also die Rolle eines Disk-Jockeys aus längst vergangenen Radio-Zeiten - spielte, nachahmte, zum Besten gab. Ungefähr so, als wäre die Zeit in ein Parallel-Universum abgerutscht, in dem es für immer 1956 ist. Eine "Show" - nur eben: nicht gefilmt, nicht im Fernsehen dargeboten, aber dennoch durch und durch gescriptet, wie ein Hörspiel, im Radio.

Ich fragte Wolfgang Kos, den Erfinder des Pop Museums, was er denn von dieser Sendung hielte. Er schrieb mir:

Hallo, ich habe 2 Folgen gehört, die erste über s Wetter und jene über Tabak. Mir hat's sehr gut gefallen, wenn auch nicht immer leicht verständlich. Aber das war ja mit den Songs auch immer so. Was mir gefällt ist, dass es zwar sehr persönlich und auch ein wenig exzentrisch ist, Dylan aber seine Hörer sehr ernst nimmt, also nicht als Star auftritt, sondern als "Dienstleister", der auch Fachinformationen gibt und etwas tut, was jeder gute Moderator tun sollte: eine suggestive Stimmung aufbauen, Hörer an einen anderen Ort führen, wo diese wohl noch niemals waren. Kurzum: ein sehr profunder Museumskurator, der nie in die Versuchung kommt, die eigene Bio in den Vordergrund zu schieben. Ziemlich seriös und penibel in der Stückauswahl, die nicht wirklich überrascht, weil sie jenes "prämoderne" Feld absteckt, mit dem sich Dylan seit Jahrzehnten "verwandt" fühlt. Ein bissl wie der Soundtrack zum Text, den er einst für eine der beiden Blues-Coverversionen-CDs geschrieben hat. Und ein weiterer Beleg dafür, dass bei Dylan Sprechen und Singen nicht wirklich voneinander zu trennen sind. Die Show hat Melodie und Rhythmus, knurrende Zwischenstücke und sehr poetische Momente. Kurzum: back to "Radio Days", aber ohne die Nostalgie eines Woody Allen. Grüße, Wolfgang Kos

Das war eine durchaus freundliche Sicht der Dinge. Aber mir schien, vielleicht, weil ich selber eine eher verspielte Herangehensweise zu den Medien pflege, dass Wolfgang Kos das Quasi-Ironische, das Theatralische dieser Radio-Show "überhört" hatte. Die Nostalgie war es ja gerade gewesen, die Woody Allens "Radio Days" so hinreißend gemacht hatte. Woody Allen dazu, in einem unlängst veröffentlichten Interview:

I loved radio. Cos that was all we had, when I was a kid. And, you know, it was a great thing to be able to come home and just >click< turn the dial, and you had your dinner or lay down in bed and listened to things - you know, things, that I have heard since, in retrospect, now - they were so awful, and so moronic, and terrible - but at the time, they just were charismatic to me, they made my life.

Der Unterschied zwischen - einerseits, Wolfgang Kos’ eigenem Pop Museum oder beispielsweise Rob Bambergers Hot Jazz Saturday Night, einer Sendung, bei der Bamberger seiner persönlichen Leidenschaft frönt und seit 30 Jahren einmal pro Woche auf VOA alte Jazz-Platten aus den 20er, 30er, 40er Jahren präsentiert, oder einer ähnlichen Sendung des als Österreichische "Radiolegende" titulierten Günther Schifter, der seine ausgedehnte Schellack-Platten-Sammlung unter dem Motto "Hauptsache, es swingt" regelmäßig im ORF zu Gehör brachte - und, andererseits, Dylans TTRH (wie die Show tatsächlich abgekürzt bezeichnet wird) - ist der, dass Dylan eben NICHT sein eigenes Programm macht.

Dabei ist unser Interesse als Zuhörer (bei Kos oder Bamberger) in erster Linie auf die Dinge gerichtet, die wir über die Musik und die Musiker erfahren. Selbst wenn die Moderatoren persönlich dem einen oder anderen großen Namen begegnet sind, unser Interesse richtet sich immer auf die Dienstleistung, die Informationsvermittlung. Wenn Kos oder Bamberger einen Text verlesen würden, der von einem Team von Mitarbeitern statt von ihnen selbst geschrieben worden wäre - es wäre okay. Die Nachrichtensprecher verlesen auch nicht ihre eigenen Texte. Aber bei Bob Dylan richtet sich das Interesse primär auf den Menschen und Künstler Dylan selbst. Wie bei, sagen wir - Salvador Dali. Nur dass in diesem Fall "Dali" gewissermaßen seinen Schnurrbart abrasiert hat und in die Rolle eines Ernst Gombrich schlüpft.

Etwa so, als hätte Dali im Fernsehen eine Kunst-Sendung mit 100 Folgen gemacht, bei der er kein einziges Mal über seine eigenen schmelzenden Uhren spricht. Wenn ein Mann wie Bob Dylan, der als einer der größten Künstler des 20. Jahrhunderts gilt, mehrere Jahre lang einen wöchentlichen Radio-Termin wahrnimmt (immerhin, insgesamt 100 mal) fragt man sich: Welche Auskunft wird er über sich und sein Werk erteilen? Dylan hat hunderte andere namhafte Sänger und Musiker in aller Welt nur durch die Kraft seiner Songs dazu bewegt, ihrerseits eine ganze Scheibe mit Dylan-Songs aufzunehmen, und etliche Tausend andere haben (wenigstens einmal) einen Song von ihm gecovert. Man könnte sich also leicht vorstellen, dass Dylan in jeder Sendung wenigstens einen Song vorstellt, den er geschrieben hat, und der von einem anderen Künstler gecovert wurde - All Along the Watchtower von Jimi Hendrix, It’s All Over Now, Baby Blue von Van Morrison, oder Tomorrow Is A Long Time von Elvis Presley.

Zahllose andere Formate wären ebenso gut vorstellbar gewesen. Stattdessen entschloss man sich, Dylan jeweils eine Reihe (meistens: alter) Songs zu fast beliebigen Themen

vorstellen zu lassen. Themen, die sich mehr oder weniger jeweils mit einem einzigen Wort umschreiben ließen, "Geld", "Blut", "Kälte", "Hitze", "Party", "Träume", "Cadillac", "Hallo", "Haare", "Weihnachten", "Mond", "Hunde", "Augen", "Teufel", "Autos", "Blumen", "Sommer", "Scheidung", und so weiter. Ich frage mich dabei: Bin nur ich es, dem dieses Konzept als irgendwie nach "Bild", "Zeitung" schmeckt? Ich betrachte es als eine Art amerikanisches Dumm-Radio, eine Serienproduktion mit einem in jeder Folge fast identischen Mix aus Country und Blues, angereichert mit ein paar weiteren ollen Kamellen aus den Bereichen Jazz, Bluegrass, Folk und Pop. Diese Musik hat mit dem, was Dylan selber geschrieben hat und was von ihm in über Tausend Studio-und Bootleg-Alben verbreitet ist, so gut wie gar keine Berührungspunkte, finde ich.

Aus kaum einer dieser Aufnahmen erschließt sich mir irgendeine Einsicht in Dylans Vorlieben oder musikalische Einflüsse. Gewiss, es gibt eine Vier-CD Box mit alten Blues und Folk-Songs, die Dylan sich angeeignet, nachgespielt oder abgewandelt hat, erhältlich u.a. bei Amazon. Aber in Dylans themengebundener Sendung sind gerade diese Songs nicht zu hören. Tatsächlich stammen die Platten, die auf TTRH gespielt werden, nicht einmal aus Dylans eigenen Beständen, sondern aus der Sammlung des TTRH-Produzenten, Eddie Gorodetsky.

Wenn Dylans Radio Show also so gut wie gar nichts mit ihm selber zu tun hat, und sogar seinen Namen eigentlich nur zum Schein im Schilde führt, ist dann das Ganze - ein Theaterstück? Ein Verwirrspiel?

Aber wozu das alles? Nur um den Maskenball mit Dylans aufgesetzten Identitäten um eine weitere Nuance zu bereichern? In der Tat könnte ich in jedem größeren Musik-Geschäft in jeder Stadt der Welt in direkter Linie in die Oldies-Abteilung wandern und praktisch das gesamte Programm der TTRH-Show auf verschiedenen problemlos erhältlichen CDs erwerben, ohne die Herren Dylan oder Gorodetsky eigens zu bemühen. Die Show ist daher, wie ich meine, nichts weiter als ein sorgfältig arrangiertes Audio-Theater, vorgeführt vom "Host" ("Gastgeber", d. h., Moderator) Bob Dylan. Es ist klar, dass ein Programm mit dem Titel Eddie Gorodetskys Theme Time Radio Hour kaum Chancen gehabt hätte, den Äther Amerikas zu erobern, oder bestenfalls die Chancen eines Garrison Keillor, Amerikas bekanntester "Radio Personality". Und Keillor hat auch schon fast 40 Jahre an seiner Karriere gebastelt.

So erfüllte Bob Dylan hier eine klare Funktion. Er ist der "Star" der Show, der Verkäufer, der Verkaufsmagnet, auch wenn er sich im Gestus nüchtern, informativ, bescheiden gibt. Ob die DJs damals, in den "Radio Days", wie sie von Woody Allen in seinem gleichnamigen Film nostalgisch beschworen wurden, wirklich so leise mit Abblendlicht durch die Nacht fuhren, wie Dylan es hier tut, bezweifele ich. Alle Radiosprecher Amerikas, die ich aus historischen Aufnahmen kenne, kamen eher vollmundig, großsprecherisch, um nicht zu sagen, marktschreierisch daher, und keiner von ihnen hätte seine Zuhörer mit irgendwelchen Details aus dem Erdkundeunterricht belämmert, wie Dylan es tut, wenn er beispielsweise sehr ernsthaft erklärt, dass es ein Land in Südamerika gäbe, in dem nicht Spanisch gesprochen wird. Und das wäre Brasilien, dessen Sprache Portugiesisch sei.

Die Show ist also eine leise Publikumsverarschung, mit mildem Humor, wenn man dafür ein Ohr hat, und zugleich auch - (wenngleich im engen Korsett aller amerikanischen Radio- und TV-Sender, die sich unter den Zwängen von Kommerz und Ideologie kaum einmal einen kleinen unabhängigen Schnaufer leisten können) - eine Geste gegen die Lieblosigkeit, die Geist-und Herzlosigkeit der Top-40-Radio-Formate, die selbst das bescheidenste Bewusstsein amerikanischer Musik/Geschichte niedertreten, auslöschen. Sehnsucht nach den Radio Days früherer Zeiten? Ja, aber nach jenen der nostalgischen Verklärung. Genauer gesagt, ist die romantische Verklärung natürlich auch nur eine Augenauswischerei, wenn man sich die 530-Millionen-Dollar Anleihen der Firma betrachtet, bei der Dylan hier in Lohn und Brot stand.

Heute, ohne Dylan, stellt sich Sirius (= "serious" = "ernsthaft") als ziemlich normaler Kommerz-Sender dar. Aber pfui, wer da meint, "seine Bobheit" hätte dies alles nur um des schnöden Mammons willen gemacht. Amerika, dessen gesellschaftliches Gedächtnis bereits durch eine Abart der Warholschen 15-Minuten-Berühmtheit geprägt ist, der 15-Minuten-Instant-Amnesie, bedarf solcher Shows, um sich ein wenig historisches Profil zu erhalten und ein wenig neuen Tiefgang zu erschürfen. Kein Wunder, dass jedes Bob-Wort der TTRH in ausführlichen Internet-Diskussionen hin-und-her gedreht und auf seinen tieferen Gehalt abgeklopft wurde.

Dylan wandelt sich demnach, auf seine alten Tage, zu einer Art nationalem Guru, einem Noam Chomsky fürs einfache Volk, oder einem Weisen aus "Springfield", jenem "Entenhausen" der Simpsons, das viele Amerikaner heute bereits als ihr "mythologisches Zuhause" betrachten.

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