Radio Dylan

Seite 3: Dylan wird 70

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Spät, erst jetzt, im Vorfeld zu seinem 70. Geburtstag (am 24. Mai) hat sich auch in der amerikanischen Radio-Landschaft so etwas wie ein Themen-Schwerpunkt "Dylan" herausgeschält. Eine ganz ähnliche Handschrift wie jene des Teams von gut 20 Mitarbeitern, die das Format von TTRH prägten, lässt sich nun auch wieder=erkennbar an einem Vierersatz von jeweils knapp eine Stunde währenden Einzelprogrammen ausmachen, die, unter dem lapidaren Titel "Dylan", des Meisters Karriere in vier soliden Blöcken abfeiern. Präsentatorin dieser Serie ist - nein, nicht Joan Baez, wie man leicht meinen könnte - sondern Patti Smith, die New Yorker Punk-Lyrikerin und Rock-Röhre.

Was hat nun Patti Smith, was Joan Baez nicht hat? "Es nötig" - ist nicht unbedingt die richtige Antwort. Eher besitzt Patti Smith noch echte "Street Cred", Glaubwürdigkeit auf der Straße, sie ist "cool", wo Joan Baez heute wohl eher an Hildegard Knef erinnert. (Was ein Freund von mir so umschrieb: "Einerseits heiß, andererseits auch so’n bisschen wie meine Oma.") Patti Smith hat da ein anderes Timbre und Tempo, sie klingt, als ob sie einen ihrer eigenen Texte hinrotzt, fast als wäre der ganze Satz nur ein einziges Wort, wenn sie sagt: "I’m Patti Smith and you’re listening to Bob Dylan Shoulder from the Storm." So sagt sie das wirklich, "shoulder" statt "shelter", sie liest den Text ab, und wenn sie sich verliest, dann lässt sie es dabei bewenden. Das Ganze ist natürlich trotzdem eine Hagiographie, eine Heiligengeschichte. Dann treten verschiedene Leute auf, die irgendwann mal mit Dylan zusammengetroffen sind, und liefern ihre kurzen Wortspenden ab. Dazwischen fügen sich die kurzen Musikzitate ein, denn in voller Länge lässt sich in diesem Rahmen kaum ein Song von Dylan bringen. Und länger als eine Minute dürfen die Sprechbeiträge auch nicht dauern. (Wie anders würde so ein Programm ausfallen, denke ich mir dazu, wenn es von der BBC käme!) Aber hier geht alles zack-zack, das flotte Tempo täuscht ein wenig über die mangelnde Substanz hinweg. Im Grunde ist es Radio zum Weghören. Und alle paar Minuten kommt irgendeine Werbung. Die entgeht einem zum Glück, wenn man sich die Programme aus dem Internet runterlädt.

Nachdem ich vorhin Salvador Dali ins Spiel gebracht habe, finde ich es interessant, wie die Dylan-Geschichte bei Patti Smith ausklingt. Mit einem langen Rap über Pablo Picasso. Dazu John Cohen, von den New Lost City Ramblers einer frühen Folk-Gruppe, die auch den jungen Dylan beflügelt hat:

In retrospect, those of us who knew him from the very outset and then watched him over the years, it’s been quite a thrilling ride. But to watch him go through all these phases and watch his thinking change and to see him keeping on creating songs - new songs and powerful stuff - it must have been like that in Paris when Picasso hit town. You know, here’s Picasso, picking up on what everybody else was doing, and stealing from them, left and right, and then watching his star go up - but to watch Picasso’s long career of endless creativity, it kind of reminds me of what it’s been like to watch Bob’s whole career over all these years, and his moving into being a born again Christian, which he never was born into, and then, you know, going off to Israel, and then writing all these love songs. He must have been in love an awful lot of times, or maybe he just using that as a form for his songwriting. I mean, that guy must have more - I wonder if anybody’s ever counted up the number of love affairs that are in his songs [lacht]. Is it possible to have that many in life - in one person’s life? Anyhow, it’s been wonderful to watch that, knowing all the while that deep underneath it somewhere he’s got a family - and kids - and grandkids…

An dieser Stelle fiel Patti Smith dann nichts weiter ein, als sich rasch zu vertschüssen: "I’m Patti Smith and thanks for listenin’."

Ich für meinen Teil kann mit Dylans zusehends melancholischerem Alterswerk leben, aber wirklich interessant bleibt das Werk seiner jungen Jahre, das uns in diesen Tagen in einer Vielzahl von Widerspiegelungen vorliegt. So in den Filmaufnahmen aus seinen Auftritten beim Newport Folk Festival, 1963, 64, 65, deren Bildersprache, weit über die bloßen Tondokumente hinaus, aufschlussreich ist. Es gibt, auf einer DVD-Beilage zum Album Together Through Life, ein Interview mit Joe Silver, Dylans erstem Manager, einem Mann, dessen Mimik in fast jeder Sekunde an die eines Groucho Marx erinnert, bis er zuletzt den Text von Blowing in the Wind vorliest, eines Songs, dem er zum Welt-Hit verhalf, und den er immer noch, zutiefst berührt, als den besten Song betrachtet, der je geschrieben wurde. Es gibt etliche, fast schon beliebige Aufnahmen von Live-Auftritten aus Dylans Frühzeit, darunter das eben erst wiederentdeckte Konzert an der Brandeis University, 1963.

Für immer jung: Live Aufnahmen aus Dylans Frühzeit.

Und schließlich gibt es nun die Witmark Demos, 1962-64, legal zu kaufen, jene Aufnahmen, von denen auch ich einst einige im Radio zu einer trompe l’oeil-Sendung versammelte. Mittlerweile könnte man einen solchen Geburtstagskuchen nicht mehr backen, weil niemand den Siebzigjährigen von heute noch mal mit dem Zwanzigjährigen von damals verwechseln würde, und auch ich bin älter geworden. Aber es ist schön, dass diese Sachen jetzt erscheinen. Denn so klingt Dylan auch weiterhin, im fortgeschrittenen Alter ... forever young ...

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