"Raider" heißt jetzt "Twix"
... und die von der Bevölkerung abgelehnte "EU-Verfassung" soll als "Grundlagenvertrag" umgesetzt werden
Die Debatte davor wurde geführt wie ein Fußball-Länderspiel Deutschland gegen Polen: man bezichtigte die gegnerische Mannschaft der mangelnden Fairness, stritt über die Quadratwurzel wie über eine Abseitsregel und hielt die Inhalte dadurch stets im wirklichen Abseits. So verdeckte man, dass eine von der Bevölkerung abgelehnte Verfassung mit ein paar Namensänderungen durch die Hintertür eingeführt wird.
Der Ablauf der Geschehnisse war ein Musterbeispiel für ein perfektes Ablenkungsmanöver: Die Berichterstattung konzentrierte sich auf das banale, auf "Human Interest". Zeitungsartikel und Fernsehberichte wirkten wie eine Soap oder ein Fernsehspiel - mit allem was dazu gehört: von den osteuropäischen "Bösewichten" bis zum Friday-Night-Cliffhanger. Am Samstag früh, nicht um 5 Uhr 45, sondern um 4 Uhr 24, kam schließlich die "Erfolgsmeldung", dass sich die EU-Staats- und Regierungschefs auf den "Kompromissvorschlag" der Ratspräsidentin Angela Merkel geeinigt hätten, der vorsieht, eine Regierungskonferenz einzuberufen. Mit ihr soll der vom Volk abgelehnte Verfassungsvertrag doch noch oktroyiert werden.
Der „Kompromiss“ setzt auch den Rahmen für die EU-Regierungskonferenz, welche die Einzelheiten des neuen EU-„Grundlagenvertrages“ festlegen soll. Dieser "Reformvertrag" soll noch 2009 in Kraft treten – vor der Europawahl, damit nichts mehr dazwischen kommen kann, wie bei den Volksabstimmungen in Frankreich und Holland. Vor Eröffnung der Regierungskonferenz muss noch das Europäischen Parlament "angehört" werden. Eine Ablehnung gilt aber als unwahrscheinlich und hätte darüber hinaus lediglich symbolischen Wert.
Einen vergleichbaren Vorgang gab es in der europäischen Geschichte vor gut 2000 Jahren: Weil die Römer einen König, ("Rex") ablehnten, verwendete Augustus einfach den Titel "Imperator". Die Senatoren und das Volk schluckten den Betrug.
Neben Umbenennungen gab es auch Verschiebungen: So wurde der irreführend "Grundrechtscharta" genannte Teil zwar aus dem eigentlichen Vertragstext herausgenommen, dafür aber ein Verweis eingefügt, der ihn in allen Staaten außer Großbritannien für bindend erklärt. Die sogenannte "Grundrechtscharta" birgt für natürliche Personen (im Gegensatz zu juristischen) gegenüber dem derzeitigen Grundrechtsschutz fast aller europäischen Staaten deutliche Verschlechterungen. Im einzigen Land, in dem die "Grundrechtscharta" zumindest theoretisch Verbesserungen hätte bringen können, in Großbritannien (wo es keine geschriebene Verfassung gibt), soll sie aber nicht gelten. Das ist in etwa so, als wolle eine Regierung Mindestlöhne nur in den Branchen einführen, in denen die Einkommen darüber liegen – nicht jedoch für solche, wo sie darunter liegen.