Rammstein und Co.: Was, wenn alle eine Meinung haben und das Verfahren eingestellt wird?

Strafrechtliche Ermittlungen gegen Promis erhitzen die Gemüter. Nichtsdestotrotz sind die Ergebnisse manchmal spärlich. Was eine Einstellung juristisch bedeutet.

Verfahrenseinstellungen sorgen immer wieder für Diskussionen: Kommt es einem Freispruch wegen erwiesener Unschuld gleich, oder war es nur eine Verzweiflungstat der Strafverfolger aus Mangel an Beweisen? Was wird aus den Betroffenen?

Diese und ähnliche Fragen werden meist umso drängender diskutiert, wenn es um Prominente geht. Zu Schuld oder Unschuld von Rammstein-Sänger Till Lindemann haben große Teile der Öffentlichkeit bereits eine klare Meinung. Doch es ist denkbar, dass die Berliner Staatsanwaltschaft bei Ermittlungen gegen ihn wegen mutmaßlicher sexueller Übergriffe nicht weiterkommt – und den Anfangsverdacht weder erhärten kann, noch als restlos widerlegt ansieht.

In diesem Fall würden die Ermittlungen eingestellt, die öffentliche Debatte aber womöglich nicht entschärft. Zwei Beispiele aus jüngerer Zeit belegen eindrucksvoll, wie unterschiedlich solche Verfahrenseinstellungen durch Betroffene und die Presse bewertet werden.

Von der Anzeige bis zur Verfahrenseinstellung

Die Einstellung eines Strafverfahrens setzt denklogisch bereits voraus, dass überhaupt ein Strafverfahren eingeleitet wurde. Das geschieht typischerweise über eine Strafanzeige. Alle sind berechtigt, eine Strafanzeige zu stellen. Rechtskenntnisse sind nicht erforderlich. Es kommt vielmehr auf die Anzeige eines Lebenssachverhalts, also das tatsächliche Geschehen an. Übrigens ein Fakt, den einige Onlinewachen der Polizei schlechterdings ignorieren, wenn sie – wie etwa bei der bayerischen Onlinewache – den rechtsunkundigen Anzeigeerstatter mit der Auswahl des anzuzeigenden Delikts belasten.

Die rechtliche Würdigung ist Sache der Staatsanwaltschaft. So will es die Strafprozessordnung. In Paragraf 136 Absatz 1 Strafprozessordnung, der die Beschuldigtenvernehmung betrifft, heißt es in Satz 1:

Bei Beginn der Vernehmung ist dem Beschuldigten zu eröffnen, welche Tat ihm zur Last gelegt wird und welche Strafvorschriften in Betracht kommen.

Ergänzend heißt es in Paragraf 163a Absatz 4 Strafprozessordnung:

Bei der Vernehmung des Beschuldigten durch Beamte des Polizeidienstes ist dem Beschuldigten zu eröffnen, welche Tat ihm zur Last gelegt wird.

In der Zusammenschau beider Regelungen wird deutlich: Der Gesetzgeber unterscheidet nicht nur zwischen der staatsanwaltschaftlichen und der polizeilichen Vernehmung, sondern auch insofern, als die rechtliche Würdigung eines Lebenssachverhalts ("welche Strafvorschriften in Betracht kommen") allein der Staatsanwaltschaft überantwortet ist. Kurzum: Strafverfolgung ist Kernaufgabe der Staatsanwaltschaft.

Die primäre Aufgabe von Polizistinnen und Polizisten ist die Gefahrenabwehr (vgl. nur Paragraf 1 Absatz 1 Satz 1 Polizeigesetz NRW), also präventives Handeln. Im Rahmen der Strafverfolgung werden sie unterstützend als sogenannte Ermittlungspersonen (bis 30. September 2004 Hilfsbeamte genannt) der Staatsanwaltschaft tätig.

Die Einstellung eines Strafverfahrens ist allein durch die Staatsanwaltschaft, gegebenenfalls mit Zustimmung des Gerichts, oder durch das Gericht mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft, und gegebenenfalls mit Zustimmung des Angeschuldigten, möglich. Am häufigsten erfolgt die Einstellung durch die Staatsanwaltschaft, und zwar dann, wenn es nach Paragraf 170 Absatz 2 Strafprozessordnung am sogenannten hinreichenden Tatverdacht fehlt.

Praktische Folge ist: Die Staatsanwaltschaft stellt die Ermittlungen ein, verfasst einen Einstellungsbescheid, gegebenenfalls noch eine Einstellungsnachricht, und die Verfahrensakte wird weggelegt. Das Gericht hat mit dieser Entscheidung nichts zu tun; es muss weder informiert werden noch ist es mitverantwortlich.

Der Fall Luke Mockridge

Passend dazu der erste Fall: Der Entertainer Luke Mockridge wurde von seiner Ex-Freundin beschuldigt, er habe versucht, sie zu vergewaltigen. Auf ihre Anzeige hin wurde ein Ermittlungsverfahren gegen den Entertainer eingeleitet, das später eingestellt wurde. Die zuständige Staatsanwaltschaft sah keinen hinreichenden Tatverdacht, die Generalstaatsanwaltschaft bestätigte diese Entscheidung im Beschwerdeverfahren. Insoweit nichts Ungewöhnliches. Dennoch war das Aufsehen groß. Nicht nur in den sozialen Medien, sondern auch in der Presse.

Viele waren außer sich, empört und die Öffentlichkeit spaltete sich tief in zwei Lager: "Team Mockridge" auf der einen Seite sprach von böswilliger Verdächtigung, auf der anderen Seite solidarisierten sich Menschen unter dem Hashtag #KonsequenzenfürLuke mit dem vermeintlichen Opfer. Dass man einen solchen Fall kontrovers diskutiert, ist nachvollziehbar und nicht ungewöhnlich.

Wenig nachvollziehbar ist hingegen, wie die spätere Verfahrenseinstellung teilweise durch die Presse bewertet wurde. So fiel es insbesondere dem "Spiegel" schwer, die Verfahrenseinstellung überhaupt anzuerkennen; stattdessen folgte ein Bericht mit weiteren Vorwürfen sowie Zitaten aus der Ermittlungsakte.

Eine Verfahrenseinstellung nach Paragraf 170 Absatz 2 der Strafprozessordnung ist kein Freispruch, sondern eine Entscheidung der Staatsanwaltschaft basierend auf ihrer Überzeugung und auf den Ermittlungsergebnissen.

Diese Entscheidung entfaltet weder Rechtskraft wie ein Urteil oder Beschluss noch führt sie zu einem sogenannten Strafklageverbrauch. Das heißt: Die Staatsanwaltschaft kann die Ermittlungen jederzeit wieder aufnehmen. Dennoch wirkt die Verfahrenseinstellung zugunsten des Beschuldigten, denn er verliert seine Beschuldigteneigenschaft.

Verfahrenseinstellung aus Opportunitätsgründen

Eine Verfahrenseinstellung kann auch aus anderen Gründen, namentlich aus Opportunitätsgründen erfolgen. Im Fokus stehen dabei die Paragrafen 153 und 153a Strafprozessordnung. Sie sind von fast mythologischer Bedeutung gerade im Rahmen von Wirtschaftsstrafverfahren, denn sie gelten der Staatsanwaltschaft auch als Mittel der Arbeitserleichterung.

Sie sind eine ressourcenschonende Maßnahme, um ein Strafverfahren zu beenden. Zugegeben: Man kann darüber streiten, ob der Gedanke der Ressourcenschonung im Bereich der Strafverfolgung etwas zu suchen hat. Ist das überhaupt mit dem Rechtsstaatsprinzip aus Artikel 20 Absatz 3 Grundgesetz vereinbar?

Diese grundsätzliche Frage soll hier jedoch nicht erörtert werden. Wesentlich ist: Eine Einstellung aus Opportunitätsgründen, etwa "wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht" (Paragraf 153 Absatz 1 Strafprozessordnung), ist weder ein Freispruch noch eine Willkürtat. Im Gegenteil: Es geht um eine Ermessensentscheidung, die die Unschuldsvermutung unangetastet lässt.

Der Fall Fynn Kliemann

Dazu der zweite Fall: Gegen den Entertainer und Unternehmer Fynn Kliemann hatte die Staatsanwaltschaft wegen Betrugs im Zusammenhang mit dem Vertrieb von Corona-Mmasken ermittelt. Das Verfahren wurde schließlich gegen Zahlung einer Geldauflage nach Paragraf 153a der Strafprozessordnung eingestellt. Kliemann wirkte sichtlich erleichtert über diese Entscheidung und sah sich veranlasst, in einem Post öffentlich Stellung zu nehmen. Am 3. März 2023 schrieb er via Instagram:

Das Verfahren gegen mich wurde eingestellt. Die Staatsanwaltschaft hat festgestellt, dass die Betrugsvorwürfe, die gegen mich erhoben wurden, nicht stimmen. Ich bin echt erleichtert, dass nun offiziell bestätigt wurde, dass ich weder Masken aus Bangladesch verkauft habe noch an der Spende von minderwertigen Masken beteiligt war.


Fynn Kliemann

So weit, so erleichternd. Einen kleinen Schönheitsfehler hat dieser Post jedoch. Denn die Staatsanwaltschaft hat – entgegen Kliemanns Behauptung – mit ihrer Einstellungsentscheidung weder festgestellt, dass die Betrugsvorwürfe nicht stimmen, noch offiziell bestätigt, dass Kliemann an bestimmten Maskendeals nicht beteiligt war.

Mehr noch: Wäre sie von der Straflosigkeit seines Verhaltens ausgegangen, hätte die Staatsanwaltschaft das Verfahren nach Paragraf 170 Absatz 2 Strafprozessordnung eingestellt. Immerhin: Die Unschuldsvermutung gilt für Kliemann so oder so.

Fazit

Verfahrenseinstellungen sind kein Gottesurteil. Die Einstellung eines Strafverfahrens kann und darf man unterschiedlich bewerten. Eine Grenze wird jedoch weiterhin dort zu ziehen sein, wo die Bewertung mit dem Gesetz, insbesondere der Strafprozessordnung, in Konflikt gerät. Und das geht schneller, als man denkt.