Rammstein und Till Lindemann: Die Stunde der Trittbrettfahrer
Seite 2: Mit Juden zu Frauen und gegen Rammstein
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Geht es nach dem Juristen und Absolventen der Diplomatenschule des Auswärtigen Amtes, Felix Klein, der laut StudiVZ-gleicher Selbstbeschreibung "oft Konzerte und Theateraufführungen" besucht und "gerne wandert und Rad fährt", soll es so weit gar nicht erst kommen.
Klein nämlich hat ein Verbot von Rammstein-Konzerten ins Spiel gebracht, und zwar – Achtung! – "unabhängig davon, ob sich die Vorwürfe gegen Till Lindemann bewahrheiten".
Das muss man erst einmal sacken lassen. Zumal der Bundesbeamte Klein diese demokratie- und kulturfeindliche Intervention mit dem Argument rechtfertigt, die betroffenen Frauen ernst zu nehmen, was er aber gerade nicht tut, weil er ihre Situation nur ausnutzt, um sich selbst in die Schlagzeilen zu bringen.
Und haben Jüdinnen und Juden, die er als Repräsentant des Täterstaates zu schützen vorgibt, diese Position schon jemals in signifikanter Weise vertreten? War es nicht vielmehr so, dass noch Anfang 2022 tausende israelische Fans in der ausverkauften Toto Hall bei Tel Aviv begeistert Rammstein-Texte mitgegrölt haben?
Oder haben vielleicht Frauen, die Vorwürfe gegen Lindemann erheben, ein Verbot von Rammstein-Konzerten gefordert? Man weiß es nicht und Klein erklärt es auch nicht. So dient seine Wortmeldung bislang nur als besonders krasses Beispiel dafür, auf welch perfide Weise Vertreter der politischen Sphäre offenbar missbräuchlich versuchen, eigenen PR-Profit aus der Sache zu ziehen, mitunter sogar unter rhetorischen Rückgriff auf den Holocaust.
Schließlich ist eine Nuance in den bisherigen Reaktionen viel zu wenig wahrgenommen worden: Denn obwohl der Verlag Kiepenhauer & Witsch seinen Autor Lindemann nach Bekanntwerden der Vorwürfe sofort feuerte und noch am selben Freitagnachmittag rückstandslos von der Homepage tilgte, hatte der kurz "Kiwi" genannte Verleger jahrelang mit den Vergewaltigungsphantasie-Gedichten des Angeklagten Reibach gemacht. Ist vielleicht ein Teil dieses Gewinns in Empowerment-Programme für Mädchen geflossen? In den wortreichen und verquasten Kiwi-Erklärungen ist davon jedenfalls nichts zu lesen.
Der Musikkonzern Universal war da schon professioneller. Nach Bekanntwerden der Vorwürfe stellte der Kulturkonzern die Vermarktung und Promotion der Alben der Band bis auf weiteres ein. "Wir sind davon überzeugt, dass eine lückenlose Aufklärung der Vorwürfe, auch durch die Behörden, absolut notwendig ist", hieß es zur Begründung.
Universal ist damit vorerst eine schwierige Gratwanderung gelungen: maßvolle Konsequenzen zu ziehen, ohne dem moralisierenden Druck einer Vorverurteilung nachzugeben, Lindemann und die Band zur Aufklärung zu drängen und gleichzeitig auf einer rechtsstaatlichen Aufarbeitung der Affäre zu bestehen.
Ob das richtig war, wird sich zeigen und kann dann entsprechend korrigiert werden. Ehrlicher als die Reaktionen aller Kiwis und Kleins zusammen ist es allemal.