Rasantes Insektensterben auch im Regenwaldschutzgebieten
Für den dramatischen Rückgang von Arthropoden und deren Fressfeinden in Regenwäldern machen Biologen die Klimaerwärmung verantwortlich
Seit Jahrzehnten kann erneut ein Massenaussterben beobachtet werden. Das erste Massenaussterben wurde bereits von Lebewesen im Präkambrium verursacht. Cyanobakterien reicherten erstmals die Atmosphäre mit Sauerstoff an, was zum Aussterben des Großteils des anaeroben Lebens, aber durch den Abbau von Methan auch zu einer Eiszeit führte. Man könnte auch von einer ersten kreativen Zerstörung sprechen, denn dadurch konnten sich neue Lebensformen entwickeln. Durch Eis- und Warmzeiten kam es immer wieder zu Massenaussterben, verursacht oft durch Vulkanismus oder auch einen Asteroideneinschlag, wie dies für das Massenaussterben an der Kreide-Paläogen-Grenze vor 66 Millionen Jahren vermutet wird. Das Massenaussterben jetzt geht jedoch völlig auf den Menschen zurück, der mit großer Geschwindigkeit und einem explosiven Bevölkerungswachstum die Erdoberfläche umgestaltet.
Die Bestände vieler Tier- und Pflanzenarten sind in den letzten Jahrzehnten drastisch zurückgeganen, Zehntausende von Arten verschwinden jährlich von der Erde. Besonders wahrgenommen werden die größeren Tiere, insbesondere von Säugetieren und den Primaten, unseren nächsten Verwandten. Lange wurde übersehen, dass auch kleinere Tierarten rasant schrumpfen und aussterben. Bis vor kurzem machte man sich mitunter noch darüber lustig, wenn ein massiver Rückgang der Insektenpopulationen und das Aussterben von Insektenarten gemeldet wurde, obgleich dieser jedem kenntlich sein musste, der mit offenen Auge durch die Welt geht. Besorgt war man oft nur über den Schwund an Bienen, weltweit wurde das Bienensterben beobachtet, während man andere, nicht direkt nützliche oder mithin sogar lästige Arten oder "Schädlinge" nicht beachtete.
Daher schlug die Untersuchung letztes Jahr deutlich ein, als in Deutschland festgestellt wurde, dass die Biomasse an Insekten an 63 Orten mit unterschiedlichen Ökosystemen durchschnittlich um 77 Prozent von 1989 bis 2016 zurückgegangen ist. Besonders beunruhigend war, dass der Rückgang in Naturschutzgebieten gemessen wurde, wo man meinen sollte, diese würden Rettungsinseln darstellen ("Vogel- und Insektensterben": Die industrielle Landwirtschaft als Quelle des Übels?). Das Schrumpfen und Aussterben von Insekten hat drastische Folgen für andere Tierarten und Pflanzen und damit für die Erde, auf der die Menschen leben und von der sie sich ernähren.
Eine neue Studie, die gerade in den Proceedings of the National Academy of Sciences erschienen ist, weist darauf hin, dass der Massenschwund an Insekten noch dramatischer und verbreiteter sein kann, als bislang angenommen wurde. Die Biologen Bradford C. Listera und Andres Garcia haben die Artenvielfalt von Insekten in dem Regenwaldreservat El Yunque in Puerto Rico untersucht und festgestellt, dass auch hier ein Massenaussterben stattfindet, in dessen Folge die Tiere, die sich von Insekten ernähren, verschwinden. El Yunque ist über 115 Quadratkilometer groß und bereits seit 1876 geschützt. Verwaltet wird er vom US Forest Service.
Lister hatte bereits 1976/1977 die Gliederfüßer (Arthropoden) und die Tiere, die sich von Insekten ernähren wie Vögel, Frösche oder Eidechsen, in dem Regenwald systematisch gezählt. Zu den Arthropoden gehören Insekten, aber auch Spinnen und Tausendfüßer. 2011-2013 führte er zusammen mit Garcia eine erneute Zählung durch. Gliederfüßer wurden am Boden und in einer Höhe von einem Meter mit Behältern mit einer klebrigen Flüssigkeiten gesammelt. Mit Netzen wurden die Tiere gefangen, die sich in Büschen aufhalten.
Als die Biologen die Biomassen an Gliederfüßern, die 1976 gefangen wurden, mit der von 2011-2013 verglichen, stellten sie fest, dass sie in den Fallen am Boden um das 60-Fache von 470 mg Trockengewicht auf nur noch 8 mg pro Falle täglich abgenommen hat - in 35 Jahren. Der Fang in der Höhe fiel von 37 mg 1976 auf 5 in 2011/2012 und von 21 mg 1977 auf 8 mg in 2012/2013 pro Falle täglich. Daraus muss man schließen, dass es seitdem noch einmal weiter bergab gegangen ist, auch wenn der Unterschied zwischen 1976 und 1977 erheblich ist.
Die Zahl der Eidechsen ist um 30 Prozent zurückgegangen, manche Arten sind bereits verschwunden. Motten, Schmetterlinge, Heuschrecken, Spinnen etc. gibt es deutlich weniger, was auch kein Wunder ist, wenn die Insekten derart drastisch abgenommen haben. Tiere, die sich von Früchten oder Samen ernähren, haben sich in etwa stabil gehalten, aber Vögel, die sich wie der Gelbflankentodi von Insekten ernähren, sind bis zu 90 Prozent weniger geworden. In einer anderen Untersuchung über Vögel wurde festgestellt, dass diese zwischen 1990 und 2005 um 53 Prozent zurückgegangen waren. Ähnliche Ergebnisse ergaben sich bei eine früheren Untersuchung im mexikanischen Chamela-Cuixmala Biosphärenreservat. Zwischen 1987/1988 und 2014 ging hier die Biomasse der täglich gefangenen Arthropoden um das Achtfache zurück.
Garcia und Lister Machen für den Einbruch bei den Arthropoden im Regenwaldreservat nicht Pestizide oder die Veränderung der Landnutzung, sondern vor allem die Klimaerwärmung verantwortlich. Die Pestizidnutzung sei in Puerto Rico seit den 1990er Jahren um 90 Prozent zurückgegangen, aber die Durchschnittstemperatur ist in dem Zeitraum um 2,2 Grad angestiegen. Da Arthropoden die Körperwärme nicht regulieren können, sind sie in tropischen Gebieten an ein enges Temperaturspektrum angepasst, in Gebieten mit gemäßigtem Klima ist die Toleranzschwelle höher. Mit Blick auf die Studie aus Deutschland sagen die Autoren, dass hier möglicherweise auch andere Faktoren als die Klimaerwärmung hereinspielen können.
Dass die Klimaerwärmung die Ursache ist, dafür sprechen für die beiden Biologen mehrere Hinweise. So seien die langfristigen Rückgänge parallel zu steigenden Temperaturen erfolgt. Die Durchschnittstemperatur sei ein wichtiger Faktor für Veränderungen von Wirbellosen über dem Erdboden. Zudem deute der gleichzeitige Rückgang von Arthropoden auf einen umfassenden Umweltfaktor, "der negative Folgen auf Arthropoden im Wald unabhängig von der Taxonomie, der Fundschicht und der betroffenen Ökonische besitzt". Dazu komme, dass der Rückgang bei den Arthropoden trotz des großen Schwunds ihrer Jäger erfolgt sei.
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