Ratlos in der Krise

Der wirtschaftliche Einbruch hinterließ beim WEF in Davos seine Spuren, aber auch das Weltsozialforum in Belem sucht nach einer Perspektive

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Wohin soll die Reise gehen? Diese Frage stellten sich in den vergangenen Tagen die angereisten Eliten aus Wirtschaft und Politik beim Weltwirtschaftsforum in Davos ebenso wie die vielen Tausend Globalisierungskritiker, die sich zeitgleich in der brasilianischen Stadt Belem zum Weltsozialforum trafen. Bei beiden Treffen ließen sich mehr aktive Politiker als in den vergangenen Jahren sehen. Bei beiden Treffen war auch die Frage nach der Perspektive nicht mehr zu überhören. Hier hören aber schon die Gemeinsamkeiten auf.

Bundeskanzlerin Merkel war auch da und forderte einen Weltwirtschaftsrat, während sie die deutsche soziale Marktwirtschaft als vorbildlich anpries. Foto: swiss-image.ch/Photo by Sebastian Derungs

Die Philosophie des WEF-Begründers Klaus Schwab ist, dass sich die Geschicke von Politik und Ökonomie mit etwas esoterischem Beiwerk, viel gutem Willen und dem richtigen Ambiente regeln lassen. Dass ein Großteil der Gäste in dem Treffen eher ein verlängertes Wochenende mit interessantem Beiprogramm gesehen hat, tat Schwabs Erfolg keinen Abbruch. Die führenden Politiker der Welt gaben sich in Davos ein Stelldichein.

Doch in diesem Jahr wurde gleich an mehreren Punkten deutlich, dass Schwabs Hybris mehr Schein als Sein ist. Da verließ der türkische Ministerpräsident Tayip Erdogan laut schimpfend vor laufender Kamera eine Diskussion mit dem israelischen Präsidenten Peres und reiste ab, um sich in der Türkei als Kämpfer gegen Israel feiern zu lassen (Mittagessen oder Krieg?=. Man kann darin ein Indiz für die weltweite antiisraelische Stimmung sehen, die ein sich in den letzten Jahren gemäßigt gebender islamischer Konservativer als Wahlkampfhilfe instrumentalisiert. Man kann den Vorfall aber auch als Totalversagen der WEF-Strategie interpretieren, wo man sich mehr auf den Geist von Davos als auf eine kompetente Moderation verlassen hat.

Am meisten verunsicherte die in den vergangenen Jahren so selbstbewusst auftretenden Global Players aus Politik und Wirtschaft der Einbruch der Wirtschaft. Da mochte das diesjährige Motto "Die Welt nach der Krise gestalten" den Eindruck erwecken, man habe alles in Griff. Die Realität blieb den anwesenden Medienvertretern nicht verborgen. Wenn der anwesende Asienchef der von der Krise besonders gebeutelten Investmentbank Morgan Stanley eine effektivere Aufsicht über die Finanzmärkte fordert und auf Nachfrage einräumen musste, dass er selber nicht weiß, wer diese Aufgabe übernehmen könnte, wird die Ratlosigkeit deutlich. "Diese Session war nicht lustig. Trotzdem, Folks, habt ein schönes Davos", diese Abmoderation des Diskussionsleiters hörte sich wie das berühmte Pfeifen im Walde an.

Teilnehmer am Weltwirtschaftsforum in Davos. Bild: swiss-image.ch/Christof Sonderegger

Tanzen für eine bessere Welt

Nun erinnert Ulrich Brand, der seit vielen Jahren praktisch und seit einiger Zeit als Wissenschafter auch theoretisch an einer emanzipatorischen Globalisierungskritik arbeitet, schon zu Beginn des WEF in einem Artikel daran, dass Konzepte für eine gerechtere und ökologische Weltwirtschaft nicht aus Davos, sondern auf dem Treffen der Globalisierungskritiker in Belem zu erwarten seien.

Tatsächlich war das Weltsozialforum eine direkte Antwort und ein Gegenentwurf auf das WEF. Anders als die Eliten in der Schweiz wollte das WSF nicht in abgeschiedenen Bergorten Weltrettungspläne diskutieren. Vielmehr sollten die sozialen Bewegungen der Welt, auch Zivilgesellschaft genannt, auf den Sozialforen ihre Utopien und Konzepte vorstellen. Da man natürlich mit einem zentralen Event dem basisdemokratischen Ansatz nicht gerecht würde, kamen bald kontinentale, länderübergreifende und regionale Sozialforen in Mode.

Bild: wsftv.net

Manche feierten die Sozialforumsbewegung vor ca. 10 Jahren als das Modell einer ganz neuen Politikform der Zivilgesellschaft mit flachen Hierarchien. Nicht Parteipolitiker, sondern soziale Bewegungen, Nichtregierungsorganisationen und Bürgerinitiativen sollten dort die Akteure sein. Inspiriert vom Aufstand der Zapatistas und dem Aufstieg der globalisierungskritischen Bewegung wurde die Sozialforumsbewegung zu Beginn dieses Millenniums zu einem Medienereignis und teilweise auch zu einem politischen Faktor. Einer der Höhepunkt war im Februar 2003 der weltweite Aktionstag gegen den Irakkrieg, der vom Weltsozialforum initiiert wurde und millionenfachen Anklang fand (Die erste globale oder planetare Demonstration).

Dieses Datum zeigte aber auch die Grenzen der Sozialforumsbewegung. Denn die Koalition der Willigen unter Führung der USA ignorierte den Protest einfach. Mit dem Anwachsen der Sozialforumsbewegung wurden zudem Bruchlinien und Widersprüche deutlich, die sich auch in Belem zeigten. Wenn gleich fünf lateinamerikanische Präsidenten dort ihre Aufwartung machten, kann von einer politikerfreien Zone natürlich nicht mehr die Rede sein. Noch vor einigen Jahren musste der venezolanische Präsident Chavez ein Gelände neben dem WSF für seinen Auftritt mieten, weil damals das Politikerverbot noch galt. Eine Ausnahme gab es schon damals für Brasiliens Staatschef Lula aus dem Gastgeberland des WSF. Der hatte in den vergangenen Jahren den Anspruch, eine Brücke zum WEF zu bauen und jettete vom WSF- Porto Alegre nach Davos. In diesem Jahr verzichtete er erstmals auf die Stippvisite in die Schweiz. Auch das könnte man also einen Punktsieg der Globalisierungskritiker interpretieren.

Bild: wsftv.net

Doch im WSF stellt sich die Perspektivdebatte. Dass heute selbst auf dem WEF in Davos Forderungen nach einer Regulierung der Finanzmärkte erhoben werden und damit den Globalisierungskritikern die Themen ausgehen könnten, ist dabei das geringste Problem. Tatsächlich waren in Belem nicht nur globalisierungskritische, sondern auch antikapitalistische Töne zu hören.

Doch wie fließend die Übergänge manchmal sein, kann man den Texten der Publizistin Daniela Dahn feststellen, die sich als wortgewaltige Streiterin gegen Ungerechtigkeit auf verschiedenen Weltsozialforen hervortat, um dann vor einigen Wochen als Teilnehmerin eines deutsch-arabischen Dialogs in Dubai fast schwärmerisch von diesen Elitenmeeting im 7-Sterne-Hotel im Wüstensand zu berichten.

Haben wirklich alle Platz in diese Welt?

Das Problem ist eher eine Unverbindlichkeit, die dazu führt, dass an einem Ort Indigenas gegen den Bau eines Staudammes agieren und wenige Meter weiter einige Gewerkschaftler exakt diesen Staudamm als besonderen Beweis des Fortschritts präsentieren. Das kann man mit der zapatistischen Losung „In dieser Welt haben viele Welten Platz“ verteidigen. Die indigenen Gruppen würden darauf hinweisen, dass sie in der Praxis durch die Staudämme von ihren Plätzen verdrängt werden.

Hinter diesen Problemen stehen ungeklärte Fragen, die die Sozialforumsbewegung seit ihrer Gründung begleiteten. Soll es weiterhin nur ein Forum für alle Initiativen und Nichtregierungsorganisationen sein, die im Zweifel sich auch widersprechende Ziele vertreten können? Welche Rolle spielen dort die Politiker? Manche plädieren auch für einen Gegenentwurf zu Davos. Während sich in der Schweiz Politiker mit führenden Unternehmen beraten, soll es beim WSF einen gleichberechtigten Austausch zwischen linken Politikern und sozialen Bewegungen geben. Ein solches Selbstverständnis würden zweifellos die anwesenden Politiker gerne annehmen, haben sie doch schon betont, dass die Linksregierungen in Lateinamerika ohne das WSF nicht denkbar wären. Andererseits warnen auch andere Initiativen vor einen Schulterschluss mit der Politik und wollen das WSF als Forum der Zivilgesellschaft stärken.

Bild: wsftv.net

Außerhalb von Lateinamerika ist das Verhältnis zwischen Sozialforumsbewegung und Regierungen auch viel spannungsreicher. Wahrscheinlich wird es im nächsten Jahr kein WSF geben. Kritiker bemängeln, dass durch die jährlichen Treffen, so viel Zeit und Energie in deren Vorbereitungen fließt und zu wenige Kapazitäten für die konkrete politische Arbeit bleiben.

Wie mobilisierungsfähig das WEF ist, wird sich schon am 28. März 2009 zeigen Dieser Tag wurde in Belem als internationaler Aktionstag für eine soziale Bewältigung der Wirtschafts- und Finanzkrise ausgerufen und zielt auf den G-20 Gipfel in London. In Deutschland wird dieser Aktionstag größere Beachtung finden. Denn seit einigen Wochen mobilisieren soziale Gruppen, Gewerkschaften und die Linkspartei unter dem Motto Wir zahlen nicht für Eure Krise zu zwei bundesweiten Demonstrationen in Berlin und Frankfurt/Main. "Die Vorbereitungen haben schon Mitte Dezember begonnen. Von der Ausrufung des Aktionstages erhoben wir uns natürlich Rückenwind bei der Mobilisierung", erklärte ein Mitglied des Vorbereitungsbündnisses gegenüber Telepolis.