"Raubkopierer, Raubkopierer, überall lauern böse Raubkopierer!"
Leider wenig Neues auf dem Musik-Planeten: Popkomm 2004
Der Musikindustrie geht es offensichtlich noch nicht schlecht genug: Obwohl Musik-DVDs im Verkauf anziehen - als Alternative zur dank Abspielschutz unkäuflich gewordenen CD -, schimpfte man bei der Eröffnung lieber zum X-ten Mal auf Musikpiraten, statt von Musik zu reden - außer wenn es um die Frage "deutsch oder französisch" geht. Wobei es trotz des Namens der Messe um Musik geht und nicht um das, was eine Gesundheitskampagne in zahlreich verteilten Aufklebern als "Mein Popstar" bezeichnet.
Auch wenn ganz Berlin davon spricht, weil die www.popkomm.de ähnlich der Funkausstellung eifrig aus allen Radiokanälen dudelt: Bei Eintrittspreisen von 92 Euro für eine Tageskarte hält sich die Begeisterung auch des eifrigsten Musikfans in Grenzen, wenn er nicht zur Branche gehört. Man stürzt sich lieber ins Nachtprogramm, das vor und nach der Messe je eine Veranstaltung mit Branchengrößen in der Deutschlandhalle sowie während der Messe jeden Abend Clubbing in über 30 Berliner Musikkneipen bietet.
Auf der Messe treiben sich laut Aussage der Messeleitung immerhin 1.500 Journalisten herum, die sich zumindest teilweise auch zur Eröffnung bequemten, auf der dann - man konnte es wirklich nicht mehr hören - wieder einmal der "gemeine Raubkopierer" als Ursache der Branchenprobleme herhalten musste. Doch selbst Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement stieß mit Gerd Gebhardt, dem Vorsitzenden der Phonoindustrie, in ein Horn und lobte den "zweiten Korb" der Urheberrechtsreform, der das Recht auf eine Privatkopie untersagt, wenn das Original einen Kopierschutz aufweist. Damit liegt man zeitlich sogar vor den USA, die dort erst jetzt auf Tauschbörsen gemünzte Gesetze verschärfen wollen (US-Gesetzentwurf sieht härtere Strafen für Raubkopierer vor).
Wer also aus dem Laden eine CD erwirbt, die auf seinen Geräten nicht spielt, und dann auch noch so blöd ist, diese nicht zurückzubringen, sondern sie mühselig zu knacken, um die Musik hören zu können, macht sich streng genommen strafbar. In der Praxis dürfte ein solches Vorgehen allerdings nicht nachzuweisen sein, wenn die spielbare Kopie nicht das Haus verlässt und auch nicht bei einer Raubkopierer-Razzia entdeckt wird. Trotzdem sind die meisten Käufer schlau genug, CDs inzwischen generell links liegen zu lassen, auch wenn diese mitunter gar keinen Abspielschutz mehr enthalten ("Kinder, der Tod ist gar nicht so schlimm").
Wirklich kriminelle Raubkopierer werden allerdings vergleichsweise eher selten verfolgt und verklagt. Der böse Gegner der Musikindustrie ist in den meisten Fällen ihr normaler Kunde. Ja, nicht einmal alte, bespielte Musik- oder Videokassetten oder Tonbänder darf man inzwischen mehr auf Ebay verkaufen - auch wenn der Preis bei dem für Leerbänder liegt, die Tonqualität gerade noch die von Mittelwellenrundfunk erreicht und nur kein Tonbandgerät zum Löschen mehr da ist. Sammler, die historische Rundfunksendungen, auch von heute nicht mehr existenten Sendern für Hobbyfreunde kopieren, laufen nun Gefahr, sich mit der Plattenindustrie anzulegen, wenn in den alten Sendungen auch Musik gespielt wurde. Vor 20 Jahren hätte sich über so etwas niemand auch nur fünf Minuten Gedanken gemacht, doch dank "MP3" sieht die Plattenbranche heute überall nur noch Kopierverbrecher.
Der Berliner Discjockey Paul van Dyk will mit seiner virtuellen Radiostation wiederum ein Hör- und Downloadportal für elektronische Musik starten, das gleichzeitig der Marktforschung dienen soll, weil dort noch unbekannte Musiker präsentiert werden. Diese Idee hatten auch schon andere, auch MP3.com und zuletzt die Soundgarage von Antenne Bayern (Garagensound in Bayern) - in beiden Fällen im Gegensatz zu van Dyk kostenlos. Allerdings will van Dyk auch einige Klassiker des Elektronik-Musicgenres anbieten. Zu Beginn will er die Musik seines Labels Vandit verwenden und konstatiert: "Nicht alle Downloader sind von krimineller Energie getrieben". Was man aber auch als "Manche Downloader tun dies aus rein kriminellen Motiven" interpretieren kann. Hoppla, da ist er ja wieder, nun haltet doch endlich den Gewohnheitsverbrecher, den Musikdieb!
Damit dies gelingt, sind viele Anwälte gleich auch auf der Popkomm - und zwar nicht nur als Vortragende im Kongressprogramm, sondern auch als Aussteller. Eitel Freude herrscht dafür über den eifrigen Download von Handy-Klingeltönen: Oft um ein Mehrfaches teurer als ein richtiges Musikstück und mit nicht knackbarem Kopierschutz, da nicht mehr weiter verschickbar. Doch beim Konsument "klingelts" einfach nicht, er kauft ohne Murren und so klingelt es dafür in der Kasse der Anbieter...
Ein weiteres Thema der Popkomm ist die Deutsch-Quote (Marschmusik-Quote für Zwischennetz-Stehsegler?), wobei zumindest auf der Popkomm 2004 auch Frankreich und Finnland stark vertreten sind, da die Messe mit dem Umzug aus der Kölner Provinz in die Bundeshauptstadt nicht nur neue Kundenkreise wie Werbung, Film, Mode und Consumer-Elektronik erschließen will - und so zudem der Internationalen Funkausstellung am gleichen Standort Konkurrenz macht -, sondern auch international werden will.
Ein anderer Labelchef, Tim Renner, hat es nicht nur geschafft, seinen nicht ganz freiwilligen Ausstieg als Geschäftsführer von Universal Music als Gewinn zu verkaufen ("Kinder, der Tod ist gar nicht so schlimm") und sein Label Motor zu behalten, er startet nun mit "Motor FM" - in Berlin während der Popkomm ganztägig auf UKW 104,1 MHz zu hören - eine Welle mit Musik seiner Künstler, die zwar nicht nur deutsch singen, doch alle aus Deutschland kommen. Der Sender leidet allerdings noch unter einer etwas geringen Auswahl: unter einmal "2raumwohnung" pro Stunde läuft gar nichts. Dafür allerdings keine einzige Coverversion.
Dr. Karlheinz Brandenburg vom Fraunhofer-Institut und Dirk Hoffmann vom Handy-Bereich bei Siemens diskutierten wiederum über die Zukunft der Musikwiedergabegeräte. Dass diese sprachgesteuert sein und auf Zurufe wie "Bitte entspannende Abendmusik" das Richtige raussuchen sollen, ist für Dr. Brandenburg klar. Unklar ist dagegen, ob das Gerät auf den Zuruf "Mach sofort diese Scheißmucke aus, ist ja grässlich" auch richtig reagieren wird.
Der MP3-Erfinder erwartet im Jahr 2010 Festplatten-Kapazitäten von 1,6 Terabyte (1.600 Gigabyte) bei mobilen MP3-Spielern und gar 0,5 Petabyte (500 Terabyte) beim stationären Player, also dem PC. Dr. Brandenburg geht daher davon aus, dass die Geräte bei Auslieferung bereits alle käuflich erwerbbare Musik enthalten - offen ist nur noch, wie diese dann beim Abspielen gekauft und bezahlt werden soll...
Die Online-Firmen des Labelcamps, die Telepolis auf der Popkomm 2004 vertritt (Musik – alternativ und online), arbeiten derweil an einem eigenen Berufsverband als Gegengewicht zu IFPI, um das jetzige Vor-sich-hin-Wurschteln zu koordinieren und weil die vorhandenen Verbände ihnen nichts zu bieten haben.