Recht, Moral und Gewalt gegen Frauen
Wann steht ein Femizid "auf unterster sittlicher Stufe"? - Richterliche Ansichten dazu und patriarchales Besitzdenken waren Themen einer Panel-Diskussion vor dem heutigen Frauentag.
Wenn erfahrene Anwältinnen wie Christina Clemm den Umgang mit Vergewaltigungsopfern vor Gericht kritisieren, geht es nicht darum, den Grundsatz "Im Zweifel für den Angeklagten" auszuhebeln. Mandantinnen, die sie in solchen Fällen in der Nebenklage vertritt, kann sie erklären, dass ein Freispruch rein rechtlich völlig in Ordnung sein kann, wenn Aussage gegen Aussage steht und die kriminaltechnischen Beweise nicht für eine Verurteilung reichen. Nur eines, sagt Clemm, kann sie ihnen nicht erklären: "Warum sie so schlecht behandelt werden."
Damit meint sie zum Beispiel, dass manche Richter den betroffenen Frauen bereits dann nicht glauben, wenn sie nicht das vermeintlich typische Opferverhalten an den Tag legen. Oder dass eine solche Straftat als weniger schlimm bewertet wird, "wenn es im sozialen Nahraum passiert" ist.
Es sei sogar schon vorgekommen, dass ihr eine Richterin gesagt habe: "Ich würde ja lieber von meinem Mann vergewaltigt werden als von einem Fremden", berichtete Clemm am Freitagabend in einer Online-Podiumsdiskussion unter dem Motto "Tatort Zuhause - Gewalt gegen Frauen". Mit dabei waren die Sozialwissenschaftlerin und Politologin Monika Schröttle sowie Andreas Schmiedel, Leiter der Fachstelle des Münchner Informationszentrums für Männer (MIM) für Gewaltprävention, Täterarbeit und Elternberatung bei häuslicher Gewalt.
Anlass war der bevorstehende Frauentag; moderiert wurde das Fachgespräch von der Theaterregisseurin Christiane Mudra, deren Stück "The Holy Bitch Project" eigentlich am 5. März in München uraufgeführt werden sollte, was aber wegen der Corona-Pandemie auf den 20. Juni verschoben werden musste.
Dass es häusliche Gewalt auch "umgekehrt" gibt, bestritt kein Diskutant und keine Diskutantin. Gewalt von Männern gegen Frauen habe aber gesellschaftlich eine andere Dimension, sagte Schmiedel. "Was definitiv der Fall ist: Es bringen wesentlich weniger Frauen ihre Männer um", betonte er. Wenn sie es doch täten, dann "in der Regel nach jahrelanger vorheriger Gewalt durch den Mann".
Moralische Bewertungen
Von der in Deutschland erst seit 1997 strafbaren Vergewaltigung in der Ehe über Schläge, Tritte und andere Misshandlungen bis zum versuchten Mord oder Totschlag kann dies alles sein. Jeden Tag versucht in Deutschland ein Mann seine Noch- oder Ex-Ehefrau, Partnerin oder Ex-Partnerin umzubringen, etwa jeden dritten Tag gelingt es einem. Ob dies juristisch als Mord oder als Totschlag beurteilt wird, hängt letztendlich oft von moralischen Bewertungen ab. Genauer gesagt davon, was Gerichte als "niedrigen Beweggrund" betrachten, der im Sinne des Mordparagraphen "auf unterster sittlicher Stufe" stehen muss.
"Das ist natürlich dann auch die Sicht der Richtenden", so die Anwältin Clemm - und die deutsche die Justiz sei nicht gerade als "Speerspitze der feministischen Revolution" bekannt, sondern eher konservativ geprägt. So wird auch das Verhalten der Frau moralisch bewertet - ob etwa die Eifersucht des Täters "völlig grundlos" war oder nicht; ob sie ihn tatsächlich verlassen wollte und wenn ja, ob die Richter ihre Gründe nachvollziehen können. Patriarchales Besitzdenken ist jedenfalls laut einem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) von 2008 nicht zwangsläufig ein niedriger Beweggrund.
Vielmehr ist darin die Rede von Gefühlen "der Verzweiflung und inneren Ausweglosigkeit", wenn "die Trennung von dem Tatopfer ausgeht und der Angeklagte durch die Tat sich dessen beraubt, was er eigentlich nicht verlieren will". Erfolgt die Verurteilung dann nur wegen Totschlags, kann er nach wenigen Jahren frei sein, während für Mord lebenslange Haft vorgesehen ist - frühestens nach 15 Jahren kann eine vorzeitige Haftentlassung beantragt werden.
Doch unabhängig von der Strafandrohung wollen viele Männer, die einmal zugeschlagen haben, es nicht so weit kommen lassen. In die Fachstelle des MIM kämen ab und zu "echte Selbstmelder", sagt Schmiedel - also Männer, die ihre Partnerin geschlagen und gespürt haben, dass sie "so" nicht sein wollen. Viele kämen aber erst, nachdem die betroffene Frau gedroht habe, sie zu verlassen oder anzuzeigen, wenn sie nichts unternähmen und sich notfalls auch professionelle Hilfe suchten, um ihr Verhalten zu ändern. Die Täterarbeit koste zwar Energie, sagt er. "Aber es wirkt." Auch wenn das Patriarchat ein "stabiles System" sei. "Damit sich da was ändert, muss ich unter Umständen gegen eine lebenslange Sozialisation anstinken."
Frei von patriarchaler Sozialisation sind aber oft nicht einmal diejenigen, die über den Teil der Täter richten sollen, die tatsächlich angezeigt werden. Sei es, weil sie im "sozialen Nahraum" zugeschlagen oder weil sie dort vergewaltigt haben.
Typisches Opferverhalten gibt es nicht
In Fortbildungen, die leider nicht Standard seien, könnten Richterinnen und Richter beispielsweise mehr über die psychischen Folgen eines solchen Vertrauensbruchs lernen - und warum diese Folgen sogar schlimmer sein könnten als nach der Tat eines Fremden, sagt Monika Schröttle. In Fortbildungen könnte außerdem vermittelt werden, dass es kein typisches Opferverhalten vor Gericht gibt, das als einzig glaubwürdiges Opferverhalten gelten kann, betont Christina Clemm. Auch die Einstellung der Frau zum Sex müsse sich nicht zwangsläufig dauerhaft ändern, wenn sie tatsächlich vergewaltigt worden sei. Richter hätten aber oft ein bestimmtes Bild im Kopf, wie sich Opfer noch viele Monate nach der Tat verhalten müssten.
Demnach riskiert eine betroffene Frau vor Gericht schon ihre Glaubwürdigkeit, wenn sie bei der Wiederbegegnung mit dem Täter nicht gebrochen wirken und möglichst keine Schwäche zeigen will, weil sie ein triumphierendes Grinsen von ihm nicht ertragen könnte.
Leider gebe es ein "antiquiertes Rechtsverständnis", wonach es gegen die richterliche Unabhängigkeit verstoße, den Richterinnen und Richtern Fortbildungen aufzuerlegen, so Clemm. Die Polizei sei diesbezüglich "inzwischen schon recht weit geschult", auch wenn das nicht heiße, dass alle Beamten sich entsprechend sensibel verhielten.
Mit ihrem Buch "AktenEinsicht - Geschichten von Frauen und Gewalt" beschreibt die Anwältin auch, wie schwer solche Verfahren oft für die Betroffenen durchzuhalten sind. Ungewollt habe sie damit wohl auch manche Frau davon abgehalten, Anzeige zu erstatten, sagt sie. "Ich habe leider viele Mandantinnen, die sagen, diesen Weg würden sie nicht noch mal gehen - und das darf nicht sein in einem Rechtsstaat."
Aus ihrer Sicht müssten Richterinnen, Richter und "wir alle" in solchen Fällen der Anzeigeerstatterin dankbar sein. Sie habe es zwar schon erlebt, es sei aber selten, dass Richterinnen oder Richter am Ende tatsächlich Worte der Dankbarkeit und des Respekts für die Betroffenen fänden, wenn ein Täter verurteilt werden könne.
Das 2016 eingeführte Prinzip "Nein heißt nein" im Sexualstrafrecht stellt zwar klar, dass eine Frau nicht versucht haben muss, sich unter Lebensgefahr gegen einen körperlich überlegenen Täter zu wehren, damit die Tat überhaupt juristisch als Vergewaltigung gilt. Es reicht, dass sie gegen ihren erkennbaren Willen geschehen ist. Allerdings hat dies nicht dazu geführt, dass Vergewaltigungen objektiv leichter bewiesen werden können, wenn der Täter nicht zugibt, dass er das "Nein" gehört und trotzdem weitergemacht hat.
Dass Vergewaltiger für ihre Taten verurteilt werden, kommt immer noch in den seltensten Fällen vor. Der Kriminologe Christian Pfeiffer, der sich mit Dunkelfeldforschung befasst, ging bis dato nach einer Studie von 2011 davon aus, dass von 100 vergewaltigten Frauen nur eine die Verurteilung des Täters erlebt - etwa 15 Prozent erstatteten demnach Anzeige. Das Bundeskriminalamt wertet zur Zeit eine größere Dunkelfeldstudie aus, um aktuellere Zahlen zu liefern.
Damit Betroffene mehr Zeit für eine solche Entscheidung haben, ohne dass Beweismittel verloren gehen, gibt es in der Gewaltschutzambulanz der Berliner Charité die Möglichkeit, Spuren sichern und Verletzungen rechtsmedizinisch dokumentieren zu lassen, ohne sofort oder innerhalb einer bestimmten Frist Anzeige erstatten zu müssen.
Im "Corona-Jahr" 2020 haben sich 1.661 Betroffene an diese Gewaltschutzambulanz gewandt - acht Prozent mehr als im Jahr zuvor.
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