Recht haben und Recht bekommen in Zeiten der Klimakrise

Bequemlichkeit kann man den Aktiven der "letzten Generation" jedenfalls nicht vorwerfen. Foto: Aufstand der letzten Generation

Aktivisten halten Autobahnblockaden für legitimes Mittel zur Durchsetzung grundgesetzlich garantierter Schutzrechte. Berlins FDP-Fraktionschef macht Druck für schnelle Verurteilungen

Die Aktiven der Gruppe "Aufstand der letzten Generation" sagen vor Haftrichtern Sätze wie: "Wenn Sie mich freilassen, werde ich mich direkt auf die nächste Autobahnabfahrt kleben und mich damit dem todbringenden System in den Weg stellen. Die Entscheidung liegt bei Ihnen: Sperren Sie mich ein oder lassen Sie mich frei, damit ich mich weiter für den Schutz unserer Verfassung einsetzen kann."

Der letzte Halbsatz bezieht sich konkret auf Artikel 20a des Grundgesetzes, den sie durch das Regierungshandeln verletzt sehen: "Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung."

Seit Anfang des Jahres berufen sie sich bei ihren Aktionen darauf. Die Beteiligten der Autobahnblockaden in Berlin und bundesweit interessiert weniger, welcher Prozentsatz der Bevölkerung ihr Vorgehen und ihr Selbstverständnis als alternativer Verfassungsschutz heute verrückt und fanatisch findet – sie interessiert vor allem, wer das in 30 Jahren noch so sehen kann, wenn die Klimakatastrophe nicht gebremst wird und Szenarien eintreten, vor denen nicht nur sie warnen.

Bevölkerungsschützer: Teile Deutschlands schon nicht mehr besiedelbar

Die Nachrichtenlage an diesem Mittwochmorgen macht es schwer, ihnen grobe Übertreibungen vorzuwerfen: Deutschlands oberster Bevölkerungsschützer rät beispielsweise dazu, bestimmte Landesteile nicht mehr zu besiedeln.

Manche Flächen seien zu sehr durch den Klimawandel und durch Unwetter bedroht, sagte der Präsident des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), Ralph Tiesler, laut einem Bericht der ARD-tagesschau. "Ob Menschen tatsächlich aus einzelnen Regionen Deutschlands in andere Landesteile fliehen müssen, lässt sich heute nicht sagen." Es gebe keinen Ort in Deutschland, bei dem man nicht genau hinschauen müsse.

In den Bereichen Verkehr und Gebäude hat Deutschland die ohnehin nicht ambitionierten nationalen Klimaziele verfehlt. Die zuständigen Ministerien sollen heute Sofortprogramme für Nachbesserungen vorlegen.

Unterdessen setzt die Bundesregierung in der Energiekrise auf Importterminals für Flüssigerdgas (LNG), das als ähnlich klimaschädlich wie Braunkohle gilt. Die "letzte Generation" fordert einen generellen Stopp von Investitionen in die fossile Infrastruktur.

Die Judikative wolle den "fossilen Alltag" störungsfrei aufrechterhalten und erkenne nicht, "dass unser aller Sicherheit und Ordnung durch das kriminelle Handeln der Regierung massiv gefährdet ist", erklärte das Presseteam der Gruppe am Dienstagabend. So sei der Gewahrsam für 25 Personen über Nacht verlängert worden.

Eine politisch heikle Prozesswelle steht bevor

Klar ist, dass sie keine Angst vor Strafprozessen haben, sondern Richterinnen und Richter zur Positionierung in dieser Frage zwingen wollen – und dass sie erstinstanzliche Verurteilungen nicht akzeptieren werden. Zeitweilige Gefangenschaft nehmen sie dabei bewusst in Kauf.

Sie selbst oder ihre Anwälte könnten vor Gericht öffentlichkeitswirksame Beweisanträge stellen – etwa anerkannte Klimaforscher oder Deutschlands obersten Bevölkerungsschützer als sachverständige Zeugen zu laden, um die Dringlichkeit ihres Anliegens zu unterstreichen, wenn sie sich auf das Widerstandsrecht in Artikel 20, Absatz 4 des Grundgesetzes berufen.

Dem Berliner FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja kann all das nicht schnell genug gehen: Nachdrücklich fordert er die Berliner Justizsenatorin Lena Kreck (Linke) zum Handeln auf und erhob erneut den Vorwurf, die Aktionen würden Menschenleben gefährden.

"Dass die Blockierer die Gesellschaft in Geiselhaft nehmen und Einsatz- und Rettungsfahrzeuge, die lebensrettende Maßnahmen durchführen, blockieren, ausbremsen und einengen, ist für uns wirklich nicht hinnehmbar", sagte Czaja Anfang der Woche der Deutschen Presse-Agentur. Die Beteiligten verweisen allerdings darauf, Rettungsgassen freizuhalten – teilweise hielten sich aber die wartenden Autofahrer nicht daran. Das Ergebnis einer Beweisaufnahme vor Gericht liegt noch nicht vor. Genau das bemängelt Czaja:

"Die Justizsenatorin ist in der Verantwortung, dafür zu sorgen, dass in diesen Fällen endlich beschleunigt ermittelt wird, damit schnell Urteile gesprochen werden können", so Czaja. Die Berliner Polizei leiste hervorragende Arbeit. "Es fehlt jedoch bei der Justizsenatorin am politischen Willen, dass in Zusammenarbeit mit der Polizei möglichst schnell ermittelt wird", meinte er. "Sie muss eine Task Force zusammenstellen, und es müssen zeitnah Anklagen durch die Staatsanwaltschaft erfolgen. Bisher gibt es kein einziges Urteil."

Die Blockade-Aktionen seien keine Einzelfälle, es zeige sich ein strukturiertes Vorgehen. "Aber wir sehen, dass nicht schnell genug gehandelt wird. Polizeilich ja. Aber wir brauchen hier eine enge Zusammenarbeit von Polizei und Justiz bei der Fallbearbeitung", sagte Czaja.

Auch Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey und Innensenatorin Iris Spranger (beide SPD) hatten die Protestaktionen mehrfach scharf kritisiert. Es handele sich zweifelsfrei um Straftaten, sagte Giffey in der Vorwoche.