Rechtsausschuss für Vorratsdatenspeicherung

Fragwürdige Empfehlung im Bundesrat, keine Stärkung der Bürgerrechte

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In der Debatte um ein neues Telekommunikationsgesetz (TKG) ist nach Veröffentlichung des endgültigen Regierungsentwurfs nun auch die Empfehlung des Rechtsausschusses des Bundesrats bekannt geworden. In dieser empfiehlt der Ausschuss dem Bundesrat, vor allem die Vorratsdatenspeicherung endgültig gesetzlich festzuschreiben (s. auch: Datenschutzbeauftragte kritisieren Entwurf des Telekommunikationsgesetzes.

Nicht das erste Mal äußerten sich Teile des Bundesrats für eine Ausweitung der Vorratsdatenspeicherung und die Einschränkung von Bürgerrechten (vgl. Kein Anfangsverdacht, keine Befristung, keine Zweckbindung). Durch diese Maßnahmen soll die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden erleichtert werden. Der Ausschuss begründet die dauerhafte Vorratsspeicherung der Verbindungsdaten damit, dass die Strafverfolger und Sicherheitsbehörden im Grunde zwar ein Recht auf Auskunft über die Verkehrsdaten hätten, sie dieses aber nicht wahrnehmen könnten, wenn die Daten bereits vorzeitig gelöscht werden.

Die Befugnis und Verpflichtung zur Übermittlung der in der Vorschrift als Verkehrsdaten bezeichneten Informationen an die Bedarfsträger im Bereich der Strafverfolgungs-, Gefahrenabwehr- und Sicherheitsbehörden wird im Wesentlichen außerhalb des TKG geregelt. Diesbezügliche Vorschriften finden sich etwa in § 8 Abs. 8 BVerfSchG, § 10 Abs. 3 MADG und § 8 Abs. 3a BNDG (jeweils in der Fassung des Terrorismusbekämpfungsgesetzes vom 9. Januar 2002, BGBl. I S. 361) oder in § 100g StPO. Die hier vorgesehenen Ermittlungsbefugnisse laufen jedoch leer, soweit die betroffenen Daten gar nicht mehr vorhanden sind.

Als Verkehrsdaten werden vor allem IP-Adressen, gewählte Telefonnummern oder Uhrzeit der Verbindung betrachtet. Bringt man diese mit den Bestandsdaten, also mit Namen, Adresse, Geburtsdatum etc. zusammen, können Strafverfolger ohne Mühe den vermeintlichen Täter ausfindig machen. Da die bisherige Rechtspraxis keine Speicherpflicht beinhaltet, sondern ein Duldung der Speicherung bis zu maximal sechs Monaten (§ 7 Abs. 3 TDSV), sieht man im Rechtsausschuss die Interessen des Staates und der Sicherheit in Gefahr.

Der Zweckbindung der Speicherung, die sich zum Beispiel aus der TDSV und dem TKG-Entwurf der Bundesregierung ergibt, würde bei einer Umsetzung der Empfehlung keine Beachtung mehr geschenkt. Die Daten, die zu Zwecken der Abrechnung oder Nutzungsbereitstellung einmal erhoben wurden, müssten sechs Monate gespeichert werden. Die Tatsache, dass viele Provider generell IP-Adressen speichern, auch wenn diese gar nicht benötigt werden, ist schon fragwürdig genug. Die Verpflichtung gegenüber allen Providern, auch temporär erhobene Verkehrsdaten sechs Monate aufzubewahren und einen Zugriff auf sie zu gestatten, verletzt nach Ansicht von Datenschützern das Verhältnismäßigkeitsprinzip.

Unschuldsvermutung ade!

Präventive Verdächtigungen von Telekommunikationsteilnehmern gehören mittlerweile zum Alltag. Angesichts tagtäglicher Schreckensmeldungen über Viren, Hacker, Kinderporno-Nutzer oder Schwerstkriminelle, die "immer mehr über das Internet kommunizieren", verwundert es auch den normalen Nutzer nicht mehr, dass Gesetzgeber und Strafverfolger von Zeit zu Zeit stärkere Einschnitte in die Bürgerrechte fordern. Das dabei auch die Unschuldsvermutung, ein Grundpfeiler unseres Rechtsstaates, in Frage gestellt wird, liegt an der Natur der Sache. Präventivmaßnahmen tasten immer im Dunkeln. Ab und zu wird ein mehr oder weniger großer Fisch gefangen, und man rühmt sich mit dem Erfolg - die große Masse der Verdächtigen ist schlichtweg unschuldig. Daher dürfen Überwachungsmaßnahmen oder Vorratsdatenspeicherung auch nicht aus Überlegungen pauschaler Vorverdächtigung entstehen, sondern erst dann, wenn ein konkreter Verdacht vorliegt.

Bislang hat der Gesetzgeber nicht glaubhaft belegt, in wie weit die gültige Rechtslage die Arbeit der Strafverfolger behindern würde. Im Gegensatz dazu zeigt aber unter anderem eine Studie des Max-Planck-Instituts, dass die Rechtspraxis bereits jetzt weitgehend erfolglos verläuft. So sind "nur in 17 % der Fälle Ermittlungserfolge gegeben, die sich direkt auf den die Telefonüberwachung begründenden Verdacht bezogen", wie die Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder Ende September diesen Jahres in Leipzig feststellte. Schon jetzt zeichnet sich nach Auffassung der Datenschützer ab, dass in den wenigsten Fällen tatsächlich eine substanzielle Begründung vorlag.

Da derzeit vor allem weitgehende Zugeständnisse an die Polizei durch Novellierungen der Polizeigesetze einiger Länder festgeschrieben werden, entsteht ein direkter Zusammenhang zwischen der Vorverdächtigung von Kommunikationsteilnehmern und präventiven Überwachungsmaßnahmen. Die Speicherverpflichtung der Provider ist die Voraussetzung für die präventive Überwachung der Inhalte Unschuldiger.

Wer die Wahl hat, hatte die Qual

Eine weitere fragwürdige Empfehlung stellt die zur Streichung der Sätze 1, 2 und 4 im § 95 Abs. 4 dar, welche sich indirekt schon aus der Speicherverpflichtung ergibt. Im TKG-Entwurf wird darin festgeschrieben, dass der Kommunikationsteilnehmer die Wahl hat, ob die Zielnummern vollständig oder um die letzten drei Ziffern gekürzt zu speichern sind oder nach Rechnungsversand komplett gelöscht werden müssen. Eine Abschaffung dieser Regelung bedeutet die Streichung eines der letzten Zugeständnisse, die das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wahrt.

Bereits im ursprünglichen Gesetzentwurf hat die Bundesregierung eine kleine Änderung im zum TDSV-Paragraphen 7 äquivalenten § 95 TKG-E vorgenommen, nämlich dass die Zielnummern nicht mehr von Anfang an unter Kürzung gespeichert werden und es die Erlaubnis des Teilnehmers benötigt, sie vollständig zu speichern. Der Gesetzentwurf sieht zwar noch die Wahlmöglichkeit vor, welche nach dem Willen des Rechtsausschusses gestrichen werden soll, von vornherein sollen die Nummern aber vollständig gespeichert werden.

Prepaid-Karten nur mit Ausweis

Der Rechtsausschuss empfiehlt des Weiteren, dass durch normenklare, d.h. für den Bürger in Umfang und Voraussetzung einsichtige Regelung die Speicherung personenbezogener Daten beim Kauf einer Prepaid-Karte gesetzlich festgeschrieben wird.

Dieses Vorhaben wurde in der Vergangenheit scharf von Datenschützern oder Mobilfunkbetreibern kritisiert.

Der geplante Grundrechtseingriff ist nicht erforderlich, um die Ermittlungstätigkeit der Sicherheitsbehörden zu erleichtern. Seine Eignung ist zweifelhaft: Auch die Gesetzesänderung wird nicht verhindern, dass Straftäterinnen und Straftäter bewusst und gezielt in kurzen Zeitabständen neue Prepaid-Karten erwerben, Strohleute zum Erwerb einsetzen, die Karten häufig - teilweise nach jedem Telefonat - wechseln oder die Karten untereinander tauschen. In der Begründung wird nicht plausibel dargelegt, dass mit dem geltenden Recht die Ermittlungstätigkeit tatsächlich behindert und durch die geplante Änderung erleichtert wird. Derzeit laufende Forschungsvorhaben beziehen diese Frage nicht mit ein.

Die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder

Betrachtet man den gesamten Gesetzesentwurf, so beinhaltet dieser ein enormes Überwachungspotenzial. Durch "automatisierte Auskunftsverfahren" können Strafverfolger oder Fahnder gegen Schwarzarbeit online auf vorhandene Verkehrs- und Bestandsdaten zugreifen. Der dazu noch notwendige richterliche Beschluss ist, wie auch aus der Studie des Max-Planck-Instituts hervorgeht, mittlerweile nur noch reine Formalität. Wenn an einigen Stellen noch keine präventive Telekommunikationsüberwachung gesetzlich genehmigt ist, so ist zumindest das Fundament für diese bereits im Gesetzentwurf enthalten.

Am 19. Dezember diesen Jahres wird sich der Bundesrat im Plenum auf eine erste Stellungnahme einigen. Nachdem die Bundesregierung gegebenenfalls. mit einer eigenen Stellungnahme darauf reagiert hat, wird die Diskussion Anfang 2004 im Bundestag weitergeführt.