Reformbedarf für einen zukunftsfähigen Strommarkt
Seite 2: Regionale Fehlanreize
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Besonders hoch sind die Netzentgelte oft in den Regionen, in denen schon viele Wind- und Solarparks gebaut worden sind. Um sie anschließen und den erzeugten Strom aufnehmen zu können, müssen die regionalen Netzbetreiber ihre Leitungen ausbauen. Das dafür notwendige Geld holen sie sich ebenfalls über die Netzentgelte von den Endkunden zurück.
In Nord- und Ostdeutschland mussten die Netze besonders stark ausgebaut werden, damit sie den vielen Strom aus erneuerbaren Energien aufnehmen und transportieren können. Gleichzeitig gibt es hier vergleichsweise wenige Unternehmen und Haushalte, die dazu auch noch keinen besonders großen Stromverbrauch haben. Wo Netzbetreiber ihre hohen Netzkosten auf wenige Kunden und kleine Strommengen umlegen müssen, entstehen hohe Netzentgelte. Diese hohen Netzentgelte gehen in die Strompreise ein und machen sie teuer.
So sind die durchschnittlichen Netzentgelte für Haushalts-, Gewerbe- und Industriekunden in den nördlichen und östlichen Solar- und Windstromländern Schleswig-Holstein, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern im bundesweiten Vergleich besonders hoch1.
In Regionen, in denen die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien besonders zügig ausgebaut worden ist, gibt es deshalb oft hohe Netzentgelte und damit hohe Strompreise. Der Strompreis bietet damit keinen Anreiz, den regional erzeugten Strom auch regional zu verbrauchen.
Skandinavische Alternative
Solche regionalen Ungleichgewichte bei Stromverbrauch und Stromproduktion, die mit Netzengpässen verbunden sind, gibt es auch in anderen Ländern. In Skandinavien sind deshalb schon vor vielen Jahren regionale Strompreis-Zonen eingeführt worden.
In Preiszonen, in denen ein hoher Stromverbrauch einem geringen Stromangebot gegenübersteht, ermittelt die skandinavische Strombörse Nord Pool eher hohe Großhandelspreise. Im Fall von Preiszonen, in denen viel Strom produziert, aber wenig verbraucht wird, gibt es tendenziell niedrige Großhandelspreise.
Das Preiszonen-System ist dabei so angelegt, dass es sich an die aktuelle Situation des Stromtransports anpassen kann: Gibt es in einem Land viele große Leitungsengpässe, werden mehr Preiszonen festgelegt. Bei wenigen Engpässen sind weniger Preiszonen notwendig. So gibt es in Dänemark derzeit zwei Preiszonen, fünf in Norwegen und vier in Schweden. Finnland, Estland, Litauen und Lettland kommen jeweils mit einer Preiszone aus.
In diesen Ländern hat sich dieses Strommarkt-Design bewährt. Auch in Italien ist es inzwischen eingeführt worden. Die Europäische Kommission sieht regionale Preiszonen ebenfalls als geeignetes Mittel, mit Engpässen im Übertragungsnetz umzugehen. Damit stand sie allerdings zumindest noch bis vor einem Jahr in einem Gegensatz zur offiziellen Position der damaligen Bundesregierung aus CDU/CSU und SPD.
Um die einheitliche Preiszone zu erhalten, hatte sie dieses Ziel sogar in ihren Koalitionsvertrag von 2017 aufgenommen. Dafür hatte sich damals besonders die bayerische CSU eingesetzt, die höhere Strompreise für ihre Heimatregion vermeiden wollte.
Nordländer für regionale Preiszonen
In der aktuellen Energiepreis-Krise verstärken sich nun allerdings die Widersprüche des einheitlichen Strom-Großhandelsmarktes. Im September haben sich die norddeutschen Flächenländer Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen deshalb dafür ausgesprochen, mehrere deutsche Strompreis-Zonen einzurichten. Hier wird besonders viel Solar- und Windstrom produziert, der sich in einer regionalen Preiszone dämpfend auf den Strompreis auswirken könnte.
Mit ihrem Vorschlag stießen die Nordländer erwartungsgemäß auf Ablehnung in Bayern. Darüber berichtete die Tagesschau, die sich wiederum auf einen Bericht der Zeitung Welt am Sonntag bezog.
Inzwischen gibt es allerdings auch eine neue Bundesregierung aus SPD, Bündnis90/Grünen und FDP. Das zuständige, nun bündnisgrün geführte Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz lehnt die Einrichtung von mehreren Preiszonen im Strombörsen-Handel nicht mehr grundsätzlich ab. Das ließ Staatssekretär Patrick Graichen im September beim Ostdeutschen Energieforum in Leipzig durchblicken:
Das Thema komme seit zehn Jahren immer wieder mal hoch – und nicht zu Unrecht.
Graichen wies auch darauf hin, dass dieses Thema weiter von der Regulierungsbehörde der Europäischen Union bearbeitet wird. Das sei ein längerer Prozess. Er rechnet damit, dass im Laufe der 2020er Jahre die Frage gestellt werden muss, wie Markt und Netz zusammenwirken, und ob es mehrere Strom-Preiszonen geben sollte. Der Staatssekretär sprach sich für eine nüchterne Sichtweise auf mögliche Preiszonen aus:
Damit kann man leben, ohne dass die Welt zusammenbricht.
Netzentgelt-Reform angekündigt
Das Thema der hohen Netzentgelte in den Schnellausbau-Ländern will Graichen allerdings schon bald angehen. Die aktuelle Situation bezeichnete er als "absoluten Fehlanreiz". Die Logik müsse genau umgekehrt sein: Da, wo viel Strom aus erneuerbaren Energien produziert werde, müsse der Strom günstig sein. Eine entsprechende Netzentgelt-Reform hätten sich die Regierungsparteien in ihrem Koalitionsvertrag vorgenommen.
Darin heißt es2:
Wir treiben eine Reform der Netzentgelte voran, die die Transparenz stärkt, die Transformation zur Klimaneutralität fördert und die Kosten der Integration der Erneuerbaren Energien fair verteilt.
In Leipzig kündigte Graichen nun an, dass diese Netzentgelt-Reform in dieser Legislaturperiode erfolgreich abgeschlossen werde.
Zuletzt hatte es weitere Reformvorschläge für den Strommarkt gegeben. So schlug der Präsident der Energy Watch Group, Hans-Josef Fell, im September auf Telepolis vor, getrennte Strommärkte für Ökostrom einerseits und andererseits für fossile und atomare Energien zu schaffen.
Auch die Deutsche Umwelthilfe forderte kürzlich eine Reform des Strommarktes, bei der die erneuerbaren Energien in den Mittelpunkt gestellt werden. Die bisher gültigen Regeln und Anreize seien für große statische fossile und nukleare Kraftwerke gedacht. Sie müssten durch ein Marktdesign für Erneuerbare abgelöst werden.
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