Regenerativer Gemüseanbau

Landwirtschaft birgt ungenutztes Potenzial, gerade im Hinblick auf Klimaschutz und Ertragssichertheit. Im Gemüse- und Obstanbau lassen sich diverse Methoden kombinieren und Synergieeffekte nutze

Jahrzehntelang sicherte die konventionelle Landwirtschaft unsere Ernährung. Inzwischen stößt das System an seine Grenzen und gerät immer mehr in eine Sackgasse: Landwirtschaft gilt als wesentlicher Treiber globaler Umweltprobleme: Treibhausgase belasten das Klima. Großflächige Monokulturen mit massiven Pestizideinsatz beschleunigen den Artenverlust und laugen die Böden aus.

In Regionen mit einer hohen Zahl an Tiermastanlagen gelangt zu viel Nitrat ins Grundwasser. Die Vielfalt an Insekten, aber auch Wildvogel- und Säugetierarten geht rasant zurück.

Dabei könnte die Landwirtschaft ein Teil der Lösung sein. Dafür aber müssen Landwirte die ausgetretenen Pfade verlassen und neue Wege beschreiten. In der Schweiz nehmen immer mehr Bauern die Herausforderung an: Sie produzieren nicht einfach nur Lebensmittel, sondern schützen mit ihrer Arbeit das Klima und erhalten die Vielfalt.

Häufig sind es junge Menschen, zumeist Quereinsteiger, die "neue" alte Methoden auf Feldern und in Gemüsegärten ausprobieren. Auf diese Weise gelingt vielen der Spagat zwischen ökologischer Nachhaltigkeit und ökonomischem Mehrwert.

Die Schweizer Klima-Allianz zeichnete in diesem Jahr sechs Landwirtschaftsbetriebe mit dem Prix Climat 2022 aus – darunter zwei Gemüsebaubetriebe, die mit ihren Anbausystemen nicht nur synergetische Effekte nutzen, sondern gleichzeitig Böden und Erträge verbessern.

Slow Grow: Artenvielfalt mit Mosiaklandwirtschaft

Gemeinsam mit Petrissa Eckle und Samuel Bähler betreibt Matthias Hollenstein seit 2014 Gemüse- und Ackerbau auf diversen Parzellen im Züricher Oberland. Auf insgesamt 20 Hektar bepflanzen die drei Gärtner 50 Gemüsebeete mit diversen Spezialkulturen wie Zwiebeln oder Sellerie in ausgeklügelten Fruchtfolgen.

Mit "intuitiven Wissen" pflegen sie einen nachhaltigen Umgang mit ihren Ackerböden. So wird jede Parzelle mit ihrer speziellen Gemüseart einzeln behandelt und beerntet. Die Feinwurzeln der Kulturen lockern den Boden bis in 20 Zentimeter Tiefe. Nach der Ernte der Kulturen ist der Boden besser als vor der Saat, erklärt Matthias Hollenstein stolz. Mitten auf dem Feld entstehe ein lockerer, humoser Gartenboden.

Der Gärtner will das Besten aus alten und neuen Anbaumethoden herausfiltern und daraus ein neues Anbausystem entwickeln. Mit intelligentem Management werden im Mosaikanbau diesselben oder sogar bessere Erträge erreicht als mit Hilfe von künstlichen Mitteln, ist sich der Gründer von SlowGrow sicher.

Mit Mulchen die Humusschicht aufbauen

Eine wichtige Methode der Bodenverbesserung ist Mulch: Mit dem Ladewagen wird gemähtes Gras aufgesammelt und direkt in den Gemüsebeeten verteilt. Über Fotosynthese, Biodiversität und pilzlichen Aktivitäten wird der Kohlenstoff optimal verstoffwechselt, zu Huminstoffen umgewandelt, von den Bodenlebewesen transferiert und oft bis zu zwei Meter tief im Boden eingelagert.

Während das Gemüse oder Getreide wächst, werde gleichzeitig Humus aufgebaut und Kohlendioxid gespeichert, freut sich der Gärtner. Nach der Ernte, etwa der Zwiebeln, wird das Beet mit einer üppig wachsenden Sommer-Zwischenfrucht begrünt, bei wechselnden Kulturen je Saison.

Produktions- und Diversitätsförderflächen sind miteinander vereint. Sie müssen nicht voneinander getrennt werden, erklärt Hollenstein. Auf dem Selleriefeld von SlowGrow finde sich ein reicheres und längeres Blühangebot für Insekten als etwa auf der ausgewiesenen Ökowiese des Nachbarn, ist er überzeugt.

Die Selleriepflanzen übrigens werden mitsamt den Wurzeln geerntet, denn so sind sie besser lagerfähig. Darüber hinaus werden die Wurzeln in die Gastronomie vermarktet: Wie Pommes frittiert, werden sie als Beilage auf dem Teller serviert. Außer über Restaurants und Bäckereien liefern die Gärtner ihre Produkte an den Einzelhandel, an Privatkunden oder vermarkten sie über Solidarische Landwirtschaft.

Essbare Paradisgärten

Bei SlowGrow gehen Gemüse- und Getreidefelder ineinander über und verschmelzen miteinander. Ob Roter Weizen oder Schwarze Gerste – auf einem Feld werden ganze "Backmischungen" angebaut. Im 180 Parzellen umfassenden Versuchsgarten werden diverse Techniken ausprobiert, Maschinen und Methoden weiterentwickelt, bevor sie auf den großen Flächen angewendet werden, erklärt Petrissa Eckle.

In einem eigens gegründeten Hoflabor soll die Mosaiklandwirtschaft soweit entwickelt werden, dass sie auf vielen Betrieben angewendet werden kann. Angedacht ist unter anderem eine "Mosaik Management App", die dem Landwirt Hilfestellung bietet – von der Anbauplanung bis hin zur Direktvermarktung.

Neben der Entwicklung diverser High Carbon- Anbaumethoden sind dies Landmaschinen, die mit viel Biomasse klarkommen. Ein digitales Management-Tool soll das komplexe System unterstützen. Ziel der drei Gärtner ist es, die angewandten Methoden so optimal zu verbessern, dass man sie auch woanders anwenden kann.

"Wir entwickeln neue und skalierbare Anbaumethoden, regenerieren den Boden und produzieren auf diese Weise gesunde Lebensmittel", erklärt Matthias Hollenstein.

Ginge es nach ihm, so sollten die Felder zwanzig "Funktionalitäten" haben: Die Äcker mit den diversen Kulturen sollen das Trinkwasser schützen, Humus aufbauen, Kohlendioxid einlagern, Biodiversität fördern, Lebensraum für Insekten bieten, Nährstoffkreisläufe schließen, das Landschaftsbild ästhetisch aufwerten und vieles mehr.

Die Bauern sollten sich wieder trauen, innovativ zu sein und selbst nach Lösungen suchen, wünscht sich der Betriebsleiter. Die Ideen tragen sie bereits in sich, nun müssten sie sich nur noch trauen.