Regierungskrise in Irland bringt weitere Unsicherheit in Brexit-Verhandlungen
Phil Hogan hat angekündigt, die Ausstiegsverhandlungen zu blockieren, wenn nicht garantiert ist, dass es weiterhin keine Grenzkontrollen zwischen Nordirland und der Republik gibt
In Irland entscheidet sich morgen wahrscheinlich, ob es knappe zwei Jahre nach der Parlamentswahl im Februar 2016 Neuwahlen geben wird. Die liberalkonservative Partei Fianna Fáil, die zusammen mit sieben unabhängigen Abgeordneten die christdemokratische Fine-Gael-Regierung von Ministerpräsident Leo Varadkar stützt, hat für diesen Dienstag nämlich ein Misstrauensvotum gegen dessen Stellvertreterin angesetzt, das die gesamtirische Wiedervereinigungspartei Sinn Féin unterstützen will.
Anlass für die Misstrauensabstimmung ist die bislang nicht erfüllte Forderung der Fianna Fáil an Varadkar, seine Stellvertreterin Frances Fitzgerald zu entlassen. Sie war zwischen 2014 und 2016 Justizministerin und soll damals von einer Mobbing-Kampagne gewusst haben, mit der der Polizeiwhistleblower Maurice McCabe mundtot gemacht und als unglaubwürdig dargestellt werden sollte. Die Affäre führte zum Abtreten von zwei Polizeichefs und trug maßgeblich zum Sturz von Varadkars Vorgänger Enda Kenny bei. Der Taoiseach (Ministerpräsident) zeigte sich bislang trotz der neuen Vorwürfe der Ansicht, dass sich Fitzgerald in der Affäre nicht falsch verhalten hat.
Fianna Fáil fürchtet, Wähler an Sinn Féin abzugeben
Mit ihren Positionen zu Fitzgerald haben sich Varadkar und der Fianna-Fáil-Vorsitzende Micheál Martin dem emeritierten Politologen David Farrell vom University College in Dublin nach in eine Ecke manövriert, aus der sie nur schwer wieder herauskommen. Sein Kollege Michael Marsh vom Trinity College in Dublin vermutet zudem, dass Martins Partei fürchtet, Wähler an die Sinn Féin zu verlieren, wenn sie sich in dieser Frage nachgiebig zeigt.
Aktuell ist die Sinn Féin im insgesamt 158 Sitze fassenden Dáil Éireann, dem irischen Unterhaus, mit 23 Abgeordneten die größte Oppositionspartei. Die Fine Gael verfügt über 50 Sitze, die Fianna Fáil über 44. 18 Abgeordnete (von denen sieben die Regierung stützen) gehören keiner Partei an; der Rest verteilt sich auf Labour (7), die ebenfalls sozialdemokratische Daonlathaigh Shóisialta (2), die Labour-Abspaltung Workers and Unemployed Action (1), die trotzkistische Dlúthphartíocht-Pobal Roimh Bhrabús (6), die mit den deutschen Freien Wählern vergleichbaren Independents 4 Change (4) und die Grünen (2). Um auf die nötigen 80 Mandate zu kommen, müssen sich dem Misstrauensantrag der Fianna Fáil außer der Sinn Féin also noch 13 weitere Abgeordnete anschließen.
EU-Gipfel soll im Dezember über Fortsetzung der Austrittsverhandlungen entscheiden
Ein Sturz der irischen Regierung hätte nicht nur Auswirkungen auf die Republik, sondern auf die gesamte EU. Die veranstaltet in drei Wochen ein Gipfeltreffen zum Ausstieg des Vereinigten Königreichs, zu dem auch Nordirland gehört. Irlands EU-Kommissar Phil Hogan hat angekündigt, dass sein Land ein Veto für weitere Austrittsregelungsverhandlungen einlegen wird, wenn die bisher offene Binnengrenze zwischen der Republik Irland und Nordirland künftig wieder kontrolliert werden soll.
Hogan plädiert dafür, dass das Vereinigte Königreich auch nach einem politischen EU-Austritt Teil des Binnenmarktes bleibt. Neue Abkommen über Zollfreiheit wären seiner Ansicht nach nicht ausreichend, weil die größten Handelshemmnisse heute unterschiedliche Standards und Vorschriften sind. Gegen eine andere von der Republik Irland vorgeschlagene Lösung - die Verlagerung der Zollgrenze in die Irische See - sträubt sich die nordirische Protestantenpartei DUP, die der britischen Premierministerin seit Juni eine knappe Mehrheit im Westminsterparlament sichert (vgl. Tories und DUP in den "Grundlinien" einig).
Paradoxe Position
Die am Samstag in einer DUP-Klausurtagung erneut bekräftigte paradoxe Position der Partei in dieser Frage hat Hans Schmid im Oktober wie folgt zusammengefasst (vgl. Vergebung für einen Terroristen):
Die DUP will die Wiedervereinigung Nordirlands mit der Republik Irland unbedingt verhindern. Darum wünscht sie sich einen harten Brexit, der Ulster rechtlich und politisch vom EU-Mitglied Irland entfernen würde. Einen weichen Brexit wünscht sie sich aber auch, weil eine Grenze mit strikten Personen- und Warenkontrollen zu schweren Verwerfungen führen sowie die wirtschaftlich schwache und auf Subventionen angewiesene Provinz weiter isolieren und dadurch beschädigen würde. […] Theresa May muss jetzt also eine Unionistenpartei zufrieden stellen, die sich einen harten und einen weichen Brexit wünscht und außerdem eine "poröse" Grenze zwischen Nord und Süd, was bisher mehr eine rhetorische Figur zum Verbergen der allgemeinen Ratlosigkeit ist als eine konkrete politische Idee.
(Hans Schmid)