Reiche "Ernte" für Lokführer

Seite 3: Die DGB-Polemik gegen die GDL

Umso fataler ist dann, dass ausgerechnet der führende DGB-Mann im aktuellen GDL-Arbeitskampf diese GDL frontal und demagogisch angriff. Im 14-Tages-Rhythmus hatte sich der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Reiner Hoffmann, mit seiner GDL-Kritik geäußert. Entsprechende Interviews erschienen im Tagesspiegel (12. 8.), im Spiegel (21.8.) und in der Rheinischen Post (4.9.2021). Sie fanden breite Resonanz, u.a. in der ARD-Tagesschau (4.9.) und im Handelsblatt (6.9.).

Eine wesentliche Aussage Hoffmanns lautete: "In der aktuellen Auseinandersetzung geht es der GDL (…) weniger um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen." Der Arbeitskampf werde durch sie "instrumentalisiert".

Tatsächlich entsprachen die GDL-Ausgangsforderungen eins zu eins denjenigen, die die DGB-Gewerkschaft ver.di im Frühjahr 2021 für die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst durchgesetzt hatte. Das Arbeitsgericht in Frankfurt am Main und das Landesarbeitsgericht Hessen werteten - nachdem sie von der Deutschen Bahn eingeschaltet wurden - die GDL-Forderungen als grundsätzlich gerechtfertigt.

Die Behauptung, der Arbeitskampf werde "instrumentalisiert", entspricht eher dem Vokabular der Neoliberalen. Abgesehen davon, dass ein Arbeitskampf immer auch ein "Instrument" ist, um etwas zu erreichen, appelliert damit der Hoffmann an die in der gewerkschaftsfeindlichen Öffentlichkeit vertretene Auffassung, dass ein Streik eher etwas Ungutes sei. Er lieferte im Vorfeld der juristischen Auseinandersetzung Argumente für die Richter an Arbeitsgerichten, mit denen ein Verbot der GDL-Streiks hätte begründet werden können.

Hoffmann präzisierte seine GDL-Kritik am 4. September im Gespräch mit der Rheinischen Post mit der Behauptung: "Was wir kritisch sehen, ist, dass hier eine Berufsgruppe wie die Lokführer ihre partikularen Interessen gegen das Gesamtinteresse aller anderen Bahn-Beschäftigten durchsetzt (…). Die Beschäftigungsgruppen in einem Unternehmen dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden".

Auch das ist eine für einen Gewerkschaftsfunktionär problematische Aussage, die erneut dem neoliberalen Vokabular entstammt. Grundsätzlich kämpfen Gewerkschaften immer für ihre jeweilige Klientel - und die ist immer "partikular". Dass damit "Beschäftigungsgruppen gegeneinander ausgespielt" werden, ist doppelt falsch. Zum einen, weil der DGB-Chef hier so tut, als würden allein die Lokführer streiken. Tatsächlich vertritt die GDL, wie beschrieben und wie dem DGB-Chef natürlich sehr gut bekannt, längst auch das übrige Personal in den Zügen und hat darüber hinaus Mitglieder in anderen Bereichen des Bahnkonzerns.

Es ist zum anderen falsch, weil die EVG in ihrem Ende 2020 abgeschlossenen Tarifvertrag eine pfiffige Öffnungsklausel eingebaut hat. Danach kann die EVG dann, wenn der Bahnkonzern mit einer anderen Gewerkschaft, sprich mit der GDL, einen Tarifvertrag mit höheren Entgelten abschließt, nachverhandeln. Diese Huckepack-Klausel heißt: Schließt die GDL einen deutlich besseren Vertrag als die EVG ab, wird die EVG de facto nachziehen.

Das dürfte auch nach dem aktuellen GDL-Tarifvertrag, der im Vergleich zum Ende 2020 abgeschlossenen EVG-DB-Tarifvertrag rund doppelt so hohe Entgelterhöhungen mit sich bringt, stattfinden. Womit das "Auseinanderspielen von Berufsgruppen" sich erübrigt haben sollte. Es sind tatsächliche alle Bahn-Beschäftigte, die von dem GDL-Erfolg profitieren.

Eigentor in Sachen "Schoßhündchen"

Schließlich verstieg sich Reiner Hoffmann in seiner GDL-Kritik auf die Ebene der politischen Positionierung: "Der Bundesvorsitzende des Beamtenbundes dbb, zu dem die GDL gehört, verunglimpft die EVG als 'Schoßhündchen des Bahn-Vorstandes'. Das ist unerträglich." Das ist dann ein eindeutiges Eigentor, das Kollege Hoffmann schoss. Die EVG, damals mit Namen Transnet, hat in den Jahren 2006 bis 2008 den Börsengang-Kurs des Bahn-Chefs Hartmut Mehdorn mitgetragen. Als Belohnung wechselte im Mai 2008 der Transnet-Vorsitzende Norbert Hansen in den DB-Vorstand. Die beiden Nachfolger im Amt des EVG-Chefs, Alexander Kirchner und Dieter Hommel (letzterer ist der aktuelle EVG-Chef), trugen in den Jahren 2005 bis 2008 in führenden Positionen ihrer Gewerkschaft den Kurs zur Bahn-Privatisierung engagiert mit.

Dass sich nun ausgerechnet der DGB-Chef beim Thema "Schoßhündchen" aus dem Fenster lehnt, ist pikant. Beschloss doch der DGB im März 2007 mehrheitlich, die Bahn-Privatisierung abzulehnen - wobei Transnet damals im DGB-Bundesvorstand für den Bahnbörsengang optierte. Das veranlasste damals die FAZ zur Schlagzeile "Eklat im Bundesvorstand des DGB" Ach ja, das sei lange her? Doch wie war das jüngst? Im Mai 2020 stimmte die EVG dem bereits erwähnten "Bündnis für unsere Bahn" zu, das vom Arbeitgeber DB und dem Bundesverkehrsminister aufs (abschüssige) Gleis gesetzt wurde.

In dem von der EVG mitunterzeichneten Text heißt es: "Einsparpotenziale werden durch kostensenkende Maßnahmen beim Personal- und Sachaufwand gehoben." Damit unterzeichnete der EVG-Vorstand ohne Zwang einen Text, der explizit Einkommenseinschnitte bei den Bahn-Beschäftigten vorsah - was eine Vorwegnahme des späteren EVG-Tarifabschlusses mit Reallohnabbau war - dann noch ergänzt um Einschnitte bei der Betriebsrente. Natürlich sind nicht alle EVG-Mitglieder Schoßhündchen-Gewerkschafter. Doch ihre Führer agieren wie Arbeitgeber-Schoßhündchen.

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