Reisende Russen: Vergraulen statt Aussperren?
Seite 2: Das überholte Bild von russischen Massenurlaubern
- Reisende Russen: Vergraulen statt Aussperren?
- Das überholte Bild von russischen Massenurlaubern
- Auf einer Seite lesen
Die gesamte Diskussion auf EU-Ebene hat dabei ohnehin schon nicht mehr viel mit der Realität der Reisenden zu tun. Russenverbanner beschwören das Bild unangenehmer russischer Massentouristen herauf, die luxuriös Urlaub machen, während ihre Landsleute Ukrainer umbringen.
Wie der erfahrene Russland-Korrespondent Karsten Packeiser sehr richtig feststellt, handelt es sich hier um ein absolut unzutreffendes Framing, um kollektiv Stimmung gegen russische Reisende zu machen – während die absolute Mehrzahl der aktuellen Schengen-Visa durch private Besuche bei Verwandten und Freunden motiviert ist.
Denn Westeuropa steht angesichts fehlender Flugverbindungen bei keinem russischen touristischen Reiseveranstalter mehr auf dem Programm, was man in Kreisen der Visumsverbanner geflissentlich verschweigt.
Im Gegensatz dazu ist der Anteil liberal gesinnter Regimegegner unter den Russen, die jetzt noch in den Westen reisen, außerordentlich hoch – viele wollen unter anderem auch aus politischen Gründen ihre Kontakte nach Europa aufrechterhalten.
Manch eine Reise dient zur Vorbereitung oder Sicherstellung einer später ins Auge gefassten Flucht oder Auswanderung – aber daraus lässt sich von denjenigen, die eine pauschal antirussische Stimmung anstreben, wenig Kapital schlagen.
Zwischenmenschliche Kontakte werden zerstört
Dass Massentourismus bei keinem Volk ein angenehmes Gesicht hat und Russisch sprechende Urlauber an europäischen Stränden aktuell meistens Spätaussiedler aus Berlin oder Bottrop sind, wird ebenfalls gerne ausgeblendet.
Groß postuliert wird dafür die Zahl von knapp einer Million Russen, die seit Beginn des Krieges über die EU-Grenzen gereist seien.
Bei dieser scheinbar großen Zahl sind jedoch vor allem Doppelstaatler und Inhaber eines unbefristeten EU-Aufenthaltstitels mit Wohnort in der EU eingerechnet, die in Russland – ebenfalls bei Verwandten und Freunden – waren und nur sehr wenige reisende klassische Touristen.
Politisches Ziel vieler im Westen ist, wie auch Packeiser feststellt, "die letzten zwischenmenschlichen Beziehungen zwischen Ost und West zu zerreißen", was eine "moralische Bankrotterklärung" darstellt, die die Falken im Kreml erfreuen dürfte.
Denn ihnen liegt an fortgesetzten privaten Kontakten ihrer Staatsbürger in den Westen ebenfalls nichts – die Falken auf beiden Seiten zerschlagen gemeinsam alle Verbindungen in einem grauenvollen Krieg.