Rennfieber am Himmelsberg
Seite 3: Fast 3.000 Höhenmeter auf nur 69 Kilometer
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Aber vor allem ist das Profil der Haute Route eben so, dass ich immer das Gefühl habe, mit einem Tennisschläger zum Badminton gekommen zu sein.
Was ich gut kann, ist neutralisiert oder kommt nicht vor. Die Haute Route ist was für Flöhe, für andere Fahrer ist jeder Tag ein Beinebrecher und Muskelmetzger. Kein Profi würde sich das Profil gefallen lassen. Ich bin trotzdem sonst immer zu Ende gefahren, auch krank oder mit Ersatzrad, an dem nichts passte.
Zu beweisen ist höchstens, dass ich das nicht machen muss. Außerdem schlafe ich schon die ganze Woche schlecht. Könnte auch Long Covid sein.
Ich bin zu sehr Radsportler, um die Signale meines Körpers zu ignorieren. In meinem Verständnis arbeitet alles in diesem Sport einem Gesamtkunstwerk aus Lust und Vernunft zu. Ich weiß, dass mir niemand eine besondere Erschöpfung ansieht, aber auf eine Gebetsmühle an den Gott der Kadenz habe ich zu wenig Lust, als ich beschließe, mir einen Nachmittag frei zu nehmen. Ich fahre rechts ran und warte und muss einen unbekannten Schmerz aushalten, als sie das Rad in den Anhänger heben.
Ich werde das nicht nochmal tun. Aber nachmittags schlafe ich stundenlang traumlos, und am nächsten Morgen zeigen die Antibiotika Wirkung. Ich kann besser atmen. Alle freuen sich, dass ich am Start bin. Diese Etappe hatte mir zurecht Angst gemacht, fast 3.000 Höhenmeter auf nur 69 Kilometern, am Ende der schwerste Berg der Pyrenäen: Col du Portet.
Letztes Jahr hat Pogacar hier auf der Tour gewonnen. Was vielleicht entscheidend ist dafür, dass ich meinen besten Tag auf einer Haute Route erlebe: Es gibt keine neutralisierten Abschnitte, kein Geplapper mit Melonenstücken an den Verpflegungsstationen, sondern bloß eines: Radrennen. Flüssiges Fahren.
Ich beginne vorsichtig, kann aber wie gewohnt zwischen dem ersten Gipfel und dem zweiten Anstieg weit in die erste Hälfte des Feldes hinein fahren. Es bleibt wirklich wieder niemand hinter mir. In der Abfahrt mache ich allerdings eine zweite neue Erfahrung: Eine Frau distanziert mich. Es sind nur ein paar Sekunden, aber ich muss alles geben, um an ihr dran zu bleiben. Später stellt sich heraus, Jennifer Sharp ist Exprofi und leitet ein Trainingszentrum in Colorado.
Am Portet kann ich zwar meinen Plan, den Bewegungsablauf stets zu kontrollieren, nicht lückenlos umsetzen und falle immer wieder mal in das was, die Briten pedaling squares nennen. Dennoch hilft mir eine Einsicht, die ich am Soulor zu machen gemeint habe: Dass mich an den Anstiegen vor allem das niedrige Tempo nervt. Das ist unnötig. Es ist besser, ab und zu zurück zu schauen, in die Tiefe, in der man eben noch war.
Auf der für mich ungünstigsten Etappe erreiche ich meine beste Platzierung und falle oben platt ins Gras. Und das Beste kommt noch: eine sehr kurvige Abfahrt erst auf Geröll, dann bestem Asphalt. Und die Hände von Solange.
Der Autor Ralf Bönt ist freier Schriftsteller und Autor unterschiedlicher Texte, Romane und Veröffentlichungen.
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