Rentenreformen und Babyboomer-Renten sind finanzierbar

Seite 2: Die Rentenschwindsucht als deutsche Krankheit

Ein weitaus größeres Problem als die geburtenstarken Jahrgänge stellt die seit 30 Jahren durch Gesetze betriebene systematische Altersverarmung in Deutschland dar. Man muss den Prozess mit Rentenschwindsucht beschreiben. Seit 1990 wird die Schwindsucht durch eine Unzahl von Gesetzen betrieben. Sie wird frühestens zwischen 2040 und 2060 zum Stillstand kommen. Es ist eine deutsche Krankheit, weil sie in keinem anderen europäischen Land so drastisch vorkommt (siehe auch: "Deutsche Krankheit" – Die Rentenschwindsucht).

Das Rentenniveau befindet sich seit 1990 auf einer Talfahrt, deren vorläufiges Ende durch die OECD für das Jahr 2061 vorausberechnet wurde. Das Nettorentenniveau wird dann von 73 Prozent auf 50 Prozent, also um 33 Prozent, gesunken sein.

In Netto-Rentenbeträgen ausgedrückt sieht die Entwicklung der Altersversorgung so aus: Wer in einem 45-jährigen Arbeitsleben im Durchschnitt 2.000 € Nettoeinkommen (das war 2018 ziemlich genau das durchschnittliche Nettoeinkommen) hatte, der würde dafür nach dem Rentenrecht 1977 eine Monatsrente von 1.460 € erhalten. Für das Jahr 1998 wären es immerhin noch 1.406 € gewesen. 2018 sank die Rente dann auf 1.216 € und sie wird 2061 (wahrscheinlich aber schon kurz nach 2040) auf 1.010 € gefallen sein.

Die verfügbare Rente wird also glatt auf die Hälfte des vorherigen Arbeitseinkommens zusammengestrichen sein. Wenn heute schon über 4 Millionen Rentnerinnen und Rentner unter der Armutsgefährdungsschwelle leben müssen, werden es in 20 Jahren über 10 Millionen sein – wenn sich nichts ändert.

Es muss sich dringend etwas ändern, denn sonst spaltet sich die Gesellschaft dramatisch weiter. Nicht nur in "unten" und "oben". Sondern auch in Jung und Alt. Das ist dann nicht nur eine Generationenspaltung, sondern jede:r erfährt diese Spaltung sehr persönlich am eigenen Leib: Mit dem Übergang in die Rente ändern sich die materiellen Lebensumstände schlagartig. Der dritte Lebensabschnitt, immerhin 20 bis 30 Jahre lang, ist dann voller Entbehrungen und Armut.

"Die Würde des Menschen ist unantastbar" – auch die Würde der Älteren

… dazu muss der Sozialstaat auch ein Alterseinkommen gewährleisten, das den Lebensstandard im Alter sichert und Altersarmut verhindert. Das kann erreicht werden, indem ein Nettorentenniveau garantiert wird, dass mindestens 75 Prozent des im Arbeitsleben erzielten Nettoeinkommens beträgt. Konkret zu erreichen ist dieses Ziel mit einer Rentenanwartschaft, die jährlich um 1,5 Prozent des Bruttoeinkommens gesteigert wird.

Gegen Armut schützen kann dann zusätzlich eine Mindestrente, die stets über der Armutsgefährdungsschwelle liegt. Das wären gegenwärtig 1.200 € netto. Der Betrag müsste fortlaufend angepasst werden.

Für die Lösung der beiden Probleme sind erhebliche Mittel erforderlich. Die Babyboom-Jahrgänge werden die Rentenausgaben um ca. 20 Prozent erhöhen, die oben skizzierte Rentenreform für lebensstandarderhaltende Renten noch einmal um ca. 50 Prozent.