Revanche der Peripherie

Seite 2: Wettbewerbsföderalismus

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Derzeit verhindert allein die noch in ganz Deutschland flächendeckende Ausstattung der Regionen mit Allgemeinkrankenhäusern, dass der 2009 im Aufmerksamkeitsschatten der internationalen Finanzkrise eingerichtete "Gesundheitsfonds" die mit seiner Konstruktion zwingend verbundene Umverteilung der Krankenkassenbeitragseinnahmen von den stagnativen und krisenhaften Regionen zu den prosperierenden Regionen in voller Härte bewirkt.

Nur in Regionen mit entsprechender Ausstattung an Gesundheitswirtschaft fließen die als Beitragseinnahmen abgeschöpften Finanzmittel auch als Leistungsausgaben wieder zurück. Schwächer ausgestattete Regionen dagegen werden zu Zahlern für die besser ausgestatteten Regionen. Wenn die beabsichtigte Krankenhausrodung erfolgt sein wird, hören die Stagnations- und Krisenregionen das neoliberale Geträllere vom "Wettbewerbsföderalismus" dann nur noch als "Lied vom Tod".

Man darf nicht vergessen: Im Krankenhaussektor werden derzeit bald 100 Mrd. Euro umgesetzt und sind 1,2 Millionen Menschen beschäftigt. Über die Gesetzlichen Krankenkassen und damit den Gesundheitsfonds werden derzeit insgesamt ca. 230 Milliarden Euro p.a. bewegt. Ignorante, weil parteiopportunistische "Reform"- Eingriffe zeitigen hier ganz schnell desaströse "regionale Inzidenzen" (Horst Zimmermann).

Wenn man allerdings die konsequente Politik auch der letzten so genannten "Großen Koalition" zur Aufspaltung der EU in ein "Kern-Europa" und in ein "Rand-Europa" und dies bevorzugt mit Instrumenten der Sozialpolitik betrachtet, dann liegt dieser schon von der verflossenen Koalition intendierten weiteren Spaltung Deutschlands mittels Sozialpolitik, speziell Gesundheitspolitik, wohl kein eventuell nachsehbares Nichtwissen, sondern sicher eine verwerfliche Absicht zu Grunde.

Sozialstaatskolonialismus

Immer wieder ist am Beispiel des DDR-Anschlusses aufgezeigt worden, wie unter Instrumentalisierung des westdeutschen Sozialversicherungsstaates und unter Ausplünderung des westdeutschen Sozialbudgets die Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung des Anschlussgebietes zerstört worden ist (Peter Bofinger; Rudolf Hickel, Jan Priewe).

Längst aufgezeigt ist auch, wie die EU-Krise genutzt worden ist, um die Nachbarvolkswirtschaften Deutschlands durch erzwungene Sozialreformen als Konkurrenten auszuschalten (Albrecht Goeschel; Steffen Lehndorff). Auch bei der Vereinnahmung der südosteuropäischen und osteuropäischen Staaten als EU-Peri- pherie für den EU-Kern spielte der Transfer des westdeutschen Sozialstaatsmodells eine zentrale Rolle.

Landnahme durch Sozialpolitik scheint nach früheren, missglückten Landnahmeversionen nun das deutsche Modell der Hegemoniegewinnung zu sein. Mehr als zwei Jahrzehnte hat es gedauert, zunächst die so genannten "nicht intendierten" negativen wie positiven regionalen Effekte der deutschen Sozialversicherungsinstitutionen und ihrer Reformen überhaupt zu thematisieren (Guntram Bauer; Albrecht Goeschel; Jens Harms; Martin Koller) und über diesen Pfad dann zur makroökonomischen Funktion des Sozialbudgets als Faktor der Lohndämpfung und Gewinnsteigerung zu gelangen.

Eine wichtige Zwischenstation war der Nachweis, dass die Zentralisierung und Konzentration der vormals mehrheitlich dezentralen und autonomen Krankenkassen zu bundesweiten oder landesweiten Kassenkonzernen und der zentralen Steuerung der hunderte Milliarden Krankenkassenfinanzen durch den Gesundheitsfonds und den Gemeinsamen Bundesausschuss die schon bestehenden räumlichen Spaltungstendenzen in Prosperitätsregionen und Stagnationsregionen in Deutschland dramatisch verschärft (Albrecht Goeschel; Rudolf Martens).

Gegen eine Thematisierung der Raumaspekte des Sozialversicherungsstaates Deutschland gab es von Anbeginn an offen interessenpolitische und als solche akzeptable Gegenwehr insbesondere aus dem Lager der zentral-bundesweiten Ersatzkassen (Herbert Rebscher). Es gab und gibt gegen eine Sezierung des faktischen "Sozialstaatskolonialismus" aber auch eine gesinnungsgeprägte und entsprechend hitzige Abwehrhaltung aus dem sozialdemokratisch-linksreformistischen Bereich (Hartmut Reiners).

Garniert mit geschichtsvergessenen Faschismus-Unterstellungen kommt zuletzt aus dem verbal-linksradikalen Sektor eine grundsätzliche und unterschiedslose Verdammung alles dessen, was mit "regionaler Autonomie" in den Staaten der EU zu tun hat wie bspw. des bis in die Zeit der gegenreformatorischen Vorherrschaft Spaniens in Europa zurückreichenden Sezessionismus Kataloniens. Der Vorwurf lautet "Identitätswahn" (Tomasz Konicz). Mit diesem Alibi wird jede weitere politisch-ökonomische Analyse der deutschen, europäischen und internationalen Raumentwicklung verworfen.