Riesenstreit im Zwergenland

Könnten Monster wie sich selbst replizierende mechanische Nanobots zu einer realen Bedrohung werden oder gehören sie in eine Traumwelt?

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Nanotechnologie gilt als einer der wichtigsten Innovationsmotoren. Die Forschung in diesem Bereich wird mit großen Beträgen aus staatlicher Hand gefördert. Es mehren sich aber die kritischen Stimmen, die Zweifel anmelden, ob nicht viele der projizierten Nano-Szenarien unrealistisch sind. Jetzt streiten sich zwei renommierte Wissenschaftler öffentlich darüber, ob es je Nano-Assembler geben wird.

Sphärischer, sich selbst organisierender Nano-Komplex, Bild: Foresight Institute

Nanotechnologie boomt. Marktprognosen sehen langfristig ein Umsatzvolumen von 700 bis 800 Milliarden jährlich. Das ist noch Zukunftsmusik, aber es werden bereits große Summen an Fördergeldern in diesen Bereich gesteckt. Das deutsche Bundesforschungsministerium fördert Nanoelektronik-Projekte mit 149 Millionen Euro, der zuständige Staatssekretär Wolf-Dieter Dudenhausen äußerte sich erst kürzlich enthusiastisch:

Die Mikro- und Nanoelektronik-Branche in Deutschland hat sich gemeinsam mit den europäischen Partnern von einer scheinbar abgeschlagenen Position Anfang der neunziger Jahre zu einer weltweit wettbewerbsfähigen Industrie entwickelt. Bereits heute gibt es unter den Chipherstellern und Zulieferern 70 000 Arbeitsplätze in Deutschland, die von der Nanoelektronik abhängen. Der Markt für elektronische Bauteile hat allein in Deutschland einen Wert von rund 20 Milliarden Euro. Die Nanoelektronik ist einer der wichtigsten Schlüssel, um Deutschland und Europa noch stärker in den Hochtechnologien zu positionieren.

Für die gesamte Nanotechnologie stehen im kommenden Jahr in der Bundesrepublik Fördermittel von rund 250 Millionen Euro zur Verfügung. Auch in den USA sind die Fördermittel durch den neuen 21st Century Nanotechnology Research and Development Act"(pdf! gerade erhöht worden. In den nächsten vier Jahren werden zusätzlich 3,7 Milliarden Dollar zur Verfügung gestellt. Das positive Potenzial der Nanotechnologie wird allgemein als sehr hoch betrachtet, auf die Risiken aber auch zunehmend hingewiesen (vgl. Nanopartikel sind Gestaltwandler).

In der Ausgabe vom Dezember der Zeitschrift Chemical & Engineering News der "American Chemical Society" veröffentlichen jetzt K. Eric Drexler, Mitbegründer des Foresight Institutes in Palo Alto und der Nobelpreisträger Richard E. Smalley von der Rice University in Houston ihre Debatte in Briefform über molekulare "Assembler" (sinngemäß übersetzt: Zusammenbringer).

Sie streiten über die Frage, ob diese winzigen Maschinen, die Atome und Moleküle durch präzise gesteuerte Reaktionen zu einem gewünschten Endprodukt zusammensetzen, überhaupt jemals realisiert werden können, oder ob sie reine Science-Fiction sind. Nano-Assembler haben in der Theorie die Fähigkeit, viele Materialien aus den winzigsten Bausteinen der Natur in fast jeder Umgebung zusammen zu bauen und sich außerdem selbst reproduzieren zu können. Diese kleinen Roboter sind die Krönung des "Bottom Up"-Ansatzes der Nanotechnologie, der sozusagen von unten nach oben versucht, Methoden der Selbstorganisation auf molekularer oder nanokristalliner Ebene auszunutzen.

Bisher meist genutzt wird dagegen der "Top Down"-Ansatz, dabei werden aus größeren Formaten nanostrukturierte Elemente z.B. mithilfe optischer Lithografie herausgetrennt, also von oben nach unten, vom Größeren zum Kleineren gearbeitet. Die biologische Zelle ist ein Nano-Assembler, den es tatsächlich gibt, aber wird es je möglich sein, derartige künstliche, sich selbst replizierenden Nano-Roboter, die Produkte fertigen, zu bauen? Der hochkarätige Streit der beiden Wissenschaftler schwelt seit längerem. Drexler beschreibt 1986 in seinem Buch "Engines of Creation: The Coming Era of Nanotechnology" (Online-Version) die Zukunftsversion einer Welt, in der Nano-Assembler alles verändern, im Positiven wie im Negativen. Die winzigen Produktionsmaschinen wären fähig, aus beinahe jedem Grundstoff Neues zusammenzubauen, präzise und ohne Abfall. Mit ihrer Hilfe könnte sich die Menschheit andere Planeten erschließen, Krankheiten ausrotten und das Altern zumindest verzögern. Die Vorstellung, dass diese Nanoroboter andererseits auch fähig sein würden, Teile unser Welt in grauen schmierigen Brei zu verwandeln, ist nur ein Unterkapitel in Drexlers Buch, aber ein grausiges, das Schriftsteller zu erschreckenden Science-Fiction-Romanen inspirierte.

Spätestens wenn der Thriller "Beute" des Bestseller-Autoren Michael Crichton als Film in die Kinos kommt, werden weite Kreise der Bevölkerung die Möglichkeit sich verselbstständigender Nano-Maschinen diskutieren (vgl. Die Angst des Lesers vor der Nanotechnologie). Und das ist durchaus in Drexlers Sinn, der er ist überzeugt, dass die Entwicklung der Nanotechnologie die Welt verändern wird und eine breite gesellschaftliche Debatte über alle Aspekte - auch der negativen - nötig ist. Er schrieb dazu:

Viele Menschen, mich eingeschlossen, haben ein ungutes Gefühl, wenn sie an die Folgen dieser Technologie denken. Das Ausmaß der möglichen Veränderungen ist gewaltig, und es besteht die große Gefahr, dass die Gesellschaft ohne ausreichende Vorbereitung nur sehr schlecht damit umgehen wird.

Das Foresight Institute hat es sich zum Ziel gesetzt, die Gesellschaft auf die Umwälzungen durch neue Technologien vorzubereiten.

Verständlich, dass andere Forscher die Warnungen vor den negativen Aspekten der Nanotechnologie unnötig finden, wenn sie die entworfenen Zukunftsszenarien für grundsätzlich nicht machbar halten. Zumal diese angsterregenden Perspektiven dazu führen könnten, die Forschung nicht mehr in bisherigem Umfang zu fördern oder sogar zu beschränken. Richard Smalley, der Entdecker der Fullerene (dafür gab es 1996 den Nobelpreis), der über Nanoröhrchen forscht (vgl. Der exotische Beat der Nanoröhrchen), hält die ganze Panikmache für absurd. Smalley ist selbst ein begeisterter Erforscher der Nanotechnologie, aber Nano-Assembler hält er für Humbug, da Atome und Moleküle nicht beliebig verbindbar sind.

Ein Roboter, der die Bausteine dreidimensional zusammensetzen würde, könnte nicht in der nötigen Präzision und Schnelligkeit arbeiten, weil seine "Finger" zu dick wären (sie müssten ja aus einem Verbund von Atomen bestehen), sich gegenseitig in die Quere kommen würden und zudem mit chemischen Grundgesetzen wie Klebrigkeit durch automatisch entstehende Bindungen zu kämpfen hätten. Alles in allem ist die Vision von Nano-Assemblern für Smalley vollkommen unrealistisch und das verkündete er bereits 2001 in einem Artikel im Scientific American und wiederholte es seither mehrfach.

Drexler ließ sich ein bisschen Zeit und forderte ihn dann in einem offenen Brief auf, diese Ablehnung aufzugeben, weil ein Missverständnis zugrunde liege:

Speziell haben Sie molekulare Assembler so beschrieben, dass sie mehrere 'Finger' haben, die die individuellen Atome manipulieren und dabei dem so genannten Fettfinger- (fat finger) und Klebrigerfinger-Problem (sticky finger) ausgesetzt sind, und unter diesen Umständen haben sie ihre Realisierbarkeit verworfen. Ich finde das verwirrend, weil die vorgestellten Assembler, wie Enzyme und Ribosomen, keine 'Smalley-Finger' haben oder brauchen. Die Aufgabe, reaktive Moleküle in die richtige Position zu bringen, erfordert sie schlicht nicht.

Drexler verweist darauf, dass er immer beschrieben hat, dass es um die mechanische Positionierung von reaktiven Molekülen ging und nicht um die Manipulation einzelner Atome, um die chemische Synthese in Ganz zu bringen. Er verweist auf die Konzeption von Nanotechnologie, die Richard Feynman 1959 entworden hat und die komplett mechanisch ist (vgl. There's plenty of Room at the Bottom).

Smalleys begrüßt es zuerst, dass Drexler einsieht, dass 'Smally-Finger' ein Ding der Unmöglichkeit sind. Er hält fest, dass damit zumindest die Diskussion über computerkontrollierte Assembler mit Robotergreiffingern vom Tisch ist, da sie unter keinen Umständen die nötige Feinheit und Präzision erreichen könnten. Für Präzisionschemie auf der Ebene der Nanowelt wäre aber eine Flüssigkeit innerhalb des Systems nötig, wie bei der biologischen Zelle das Wasser. Er verweist darauf, dass die Materialien, die im Hightech-Bereich verwenden werden, so nicht verarbeitet können und fragt etwas ironisch, ob es angedacht sei, dass ein Nanobot elektronische Bauelemente aus Holz oder Knochen zusammenbauen solle.

Er vergleicht die Idee, Präzisionschemie zwischen zwei molekularen Objekten durch das Schaffen mechanischer Bewegung in einer Rahmenbedingung zustande zu bringen, mit dem Zusammenschubsen einer Frau und eines Mannes, um sie dazu zu bringen, sich zu verlieben. "Chemie," so meint er, "ist wie Liebe eine subtilere Angelegenheit." Eine Reaktion würde sicherlich entstehen, wenn ein Roboter die Moleküle zusammentreiben würde, aber wohl eher selten die gewünschte. Und er verweist die Idee der Nano-Assembler damit endgültig ins Reich der Schattengruselgespenster:

Sie und die Leute um sie herum haben unsere Kinder erschreckt. Ich erwarte nicht, dass Sie damit aufhören, aber ich hoffe andere aus der Gemeinde der Chemiker werden an meine Seite treten, um das Licht anzuschalten und unseren Kindern zu zeigen, dass unsere Zukunft in der realen Welt eine Herausforderung mit echten Risiken bedeutet, während es keine solchen Monster wie sich selbst replizierende mechanische Nanobots aus der Traumwelt geben wird.

Die Debatte geht weiter und alle können sich in einem Forum unter More on Smalley-Drexler debate beteiligen.