Riskanter Gen-Mix

Was passiert, wenn gentechnisch veränderte Pflanzen in größerem Stil auf europäischen Äckern kultiviert werden

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Wenn auf nur 10 Prozent der europäischen Felder gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut würden, wäre es künftig unmöglich, auf den restlichen Flächen gentechnik-freie Erzeugnisse zu ernten. Zu diesem Schluss kommt eine aktuelle Studie der EU.

Bislang sind die europäischen Felder noch weitgehend "gentechnikfrei". Doch die Industrie drängt darauf, den Anbau genetisch modifizierter Nutzpflanzen, so genannter GVOs (gentechnisch veränderter Organismen, engl.: genetically modified organisms, GMO) auch in Europa zuzulassen. Dies wirft die Frage auf, was passiert, wenn gentechnisch veränderte Pflanzen in größerem Stil auf europäischen Äckern kultiviert werden. Eine von der Europäischen Umweltagentur in Auftrag gegebene Studie ist bereits zu dem Ergebnis gekommen, dass Wind und Bienen Pollen von GVOs auch über weite Strecken übertragen können. Bei Nutzpflanzen wie Raps und Zuckerrüben kann es dann zur unbeabsichtigten Kreuzung mit deren verwandten Wildarten kommen, wobei die veränderten Gene auf diese übertragen werden.

Jetzt liegt eine weiteren Studie vor, die die EU-Kommission beim Institute für Prospective Technological Studies des EU Joint Research Center (JRC) in Auftrag gegeben hat. Die Untersuchung Scenarios for co-existence of genetically modified, conventional and organic crops in European agriculture beschäftigt sich mit den Auswirkungen, die der parallele Anbau von konventionellen und gentechnisch veränderten Pflanzen auf Ebene einer Region bzw. eines Einzelbetriebs hat und wie die Verunreinigung von Saatgut und Lebens- bzw. Futtermitteln mit DNA-Anteilen gentechnisch veränderter Pflanzen begrenzt werden kann.

Das JRC stützt sich bei seiner Untersuchung auf Computersimulationen und Expertenmeinung. Die entworfenen Szenarios konzentrieren sich auf Ölraps, Mais und Kartoffel - Nutzpflanzen, von denen bereits gentechnisch veränderte Varianten zur Verfügung stehen. Die Studie orientiert sich außerdem an den Schwellenwerten für unbeabsichtigte Einstäubungen und Beimischungen aus gentechnisch veränderten Pflanzen, die die EU-Kommission schon bald in einer Verordnung festschreiben möchte: Für Lebens- und Futtermittel steht ein Grenzwert von 1% zur Diskussion, bei Saatgut sollen es je nach Kulturart 0,3% bis 0,7% sein.

Die Ergebnisse der JRC-Studie sind allerdings heikel: Die EU-Forscher stellen fest, dass sich das Saatgut nicht mehr rein halten ließe, wenn auch nur auf 10 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen GVOs wachsen würden. Wenn die Verunreinigung von Lebens- und Futtermitteln auf konventionellen Feldern mit transgener DNA von Gentech-Pflanzen nicht mehr als ein Prozent betragen soll, erfordert dies Maßnahmen, die aufwändig und kostspielig sind und eine erhebliche Veränderung der Anbau- und Erntegewohnheiten der Landwirte bedeuten. Dazu gehört beispielsweise das Einhalten von Sicherheitsabständen bei der Kultivierung oder der Anbau von Sorten, die zu anderen Zeiten blühen, als die genmanipulierten Pflanzen. Einen Problemfall bildet auch dann immer noch der Raps, bei dem die Koexistenz von konventionellem und Gentech-Raps in derselben Region zwar als "technisch möglich", jedoch "wirtschaftlich schwierig" beschrieben wird. Der Parallel-Anbau von Gentech- und konventionellen Nutzpflanzen innerhalb eines Betriebs gilt laut der Studie sogar bei Großbetrieben als "unrealistic".

Das Nachsehen haben vor allem kleine Agrarbetriebe und Bio-Bauern: Die Richtlinien des biologischen Landbaus, die keinen GVO-Anteil über 0,1 Prozent zulassen, wären kaum einzuhalten, konventionelle Kleinbetriebe wären mit dem Aufwand für Schutzmaßnahmen finanziell überfordert. Überhaupt die Kosten: Der Anbau von Mais und Kartoffeln würde sich um bis zu 9 Prozent verteuern, bei Ölraps wären es sogar bis zu 41 Prozent. Sowohl konventionell arbeitende Landwirte als auch Bio-Bauern könnten, wegen möglicher DNA-Verunreinigungen, ihr Saatgut künftig nicht mehr selber erzeugen, sondern müssten es ankaufen.

Die Einhaltung der Schwellenwerte setzt einen enormen Kooperationswillen der Landwirte einer Region voraus: Sie müssten künftig womöglich absprechen, was sie wann anbauen. Und so manche Schutzvorkehrung könnte (gerade in Deutschland) die Witterung zunichte machen. Das gesamte ausgeklügelte System von Maßnahmen funktioniert nur, wenn sich alle Beteiligten hundertprozentig daran halten, doch wer kann das kontrollieren?

Ist der Anbau von GVO-Pflanzen ein Glücksspiel mit ungewissem Ausgang? Die JRC-Studie jedenfalls wirft mehr Fragen auf als sie beantwortet. Doch Forschung und Industrie machen Druck, und die Neigung der EU-Kommission ist klar, sie hat ihre Mitgliedsländer bereits mehrfach aufgefordert, den Zulassungsstopp für gentechnisch veränderte Organismen aufzuheben. Die Zeit scheint zu drängen: Weltweit sind gentechnisch veränderte Nutzpflanzen (vor allem Sojabohnen, Mais und Baumwolle) auf dem Vormarsch. Allein von 2000 bis 2001 hat sich die kommerzielle Anbaufläche um 20% auf 52,6 Mio. Hektar erhöht. Die EU-Kommission will ihre Entscheidung in den nächsten Wochen treffen.