Römisch-katholische Selbstwaschanlage

Seite 2: Der richtige Mann

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Leider haben die meisten Rezensenten übersehen, dass Kertzers Arbeit schlimme Vorwürfe gegen den Nachfolger Pius XII. (Eugenio Pacelli) erhärtet. Benito Mussolini und dessen Helfer sahen in ihm den richtigen Mann, einen offenen Bruch zwischen Kirche und Faschismus zu verhindern. Alles spricht dafür, dass sie mit dieser Erwartungshaltung ganz und gar richtig lagen.

Brisante Archiv-Bestände zum Pacelli-Pontifikat ab 1939 sind der kritischen Wissenschaft noch immer nicht zugänglich. Die bislang vorliegenden Forschungsergebnisse lassen hinsichtlich der Bewertung des Versagens von Pius XII. noch manchen Spielraum. Vielleicht gibt es ja doch Argumente, dem sehr gütigen Urteil von Pius' Privatsekretär Robert Leiber SJ zu folgen: "Nein, ein Heiliger ist er nicht, aber ein großer Mann der Kirche."

Doch auf solche Feinheiten, welche mildernden Umstände etwa für den unrühmlichen Nachfolger Petri geltend gemacht werden können, lässt sich die Religion des Klerikalismus und der kirchlichen Selbstanbetung gar nicht ein. Sie tritt wie immer die Flucht nach vorne an und erklärt den Kritisierten, der "keine Kraft zum prophetischen Zeugnis" besaß (Hans Küng), einfach zum Kandidaten einer vorzüglichen Heiligkeit.

Nichts liegt den Traditionalisten in der katholischen Kirche heute mehr am Herzen

Dann hat man freilich einen ganz neuen Diskurs. David I. Kertzer schreibt im Nachwort zu seinem Werk hinsichtlich der peinlichen Erkenntnisse zur Rolle Pacellis: "Nichts liegt den Traditionalisten in der katholischen Kirche heute mehr am Herzen als die Heiligsprechung Pacellis - Papst Pius XII."

Hier haben wir es mit dem Lackmus-Test zu tun, der uns anzeigt, wie glaubwürdig die Klerikalismus-Kritik des gegenwärtigen Papstes ist. Denn eine Selig- oder Heiligsprechung von Pius XII. wäre so etwas wie ein ultimativer Sieg jenes Klerikalismus, der Akten wegschließt und sich von kritischer Forschung nicht anfechten lässt: "Eine vatikanische Farce - und eine Desavouierung der Schuldbekenntnisse von Johannes Paul II." (Hans Küng)

Unverdrossen hält ein Teil des Vatikans am Projekt "Seligwaschung" fest. Vor kurzem verbreitete Radio Vatikan die auch vom deutschen Kirchen-Portal katholisch.de übernommene Meldung, dass der Kurien-Erzbischof Marcello Bartolucci zum 60. Todestag von Eugenio Pacelli die Gläubigen der Weltkirche ermuntert hat, in Krankheit und Notlage Pius XII. um Fürbitte anzurufen.

Denn es fehle noch immer das "Wunder", ohne das eine Erhebung zur Seligkeit nicht stattfinden kann. Solche "Wunder" gibt es immer mal wieder - und sie sollen jeden Schaden heilen.

Kirchengeschichtsschreibung und Heiligsprechungen haben immer auch eine kirchenpolitische Dimension. Der Priester Prof. Hubert Wolf, ein überzeugender Vertreter der Kirchenhistoriker-Zunft, hat unlängst kritisiert , dass reihenweise Päpste durch ihre Nachfolger heiliggesprochen werden und hierbei ein peinliches Bild der ausufernden päpstlichen Selbstbeweihräucherung entsteht.

Über die Ehrung von Johannes XXIII. und Paul VI. freuen sich auch offene Christenmenschen. Mit einer Kanonisation von Pius XII. wäre freilich ein wirklich neues Stadium erreicht, das viele kirchlich gesonnene Katholiken - wie den Verfasser dieses Beitrags - in Gewissennöte bringt.

Ein um Rat befragter emeritierter Theologieprofessor schreibt mir, er teile meine Kümmernis voll und ganz, doch es müssten sich jetzt die jüngeren katholischen Lehrstuhlinhaber im Rahmen eines gemeinschaftlichen Vorgehens zu Wort melden.

Falls der Shoa-Verschweiger Eugenio Pacelli als Seliger oder Heiliger auf den Altar gestellt wird, ist die Grenze meiner "Leidensbereitschaft" erreicht. Es sei hier angekündigt, dass auch ich dann die römische Kirchenkörperschaft verlasse - trotz Papa Francesco.