Roger Waters warnt vor Untergang der Menschheit
Seite 3: Collateral Murder: Der Mord aus heiterem Himmel
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Aus großer Höhe schießt die Besatzung eines Hubschraubers eine Gruppe von Männern nieder, die nichtsahnend an einer Straßenecke stehen.
Rötlich und schwarz eingefärbte Szenen. Ein Hubschrauber kreist in großer Höhe über den Opfern, man kann ihre Gesichter erkennen. Aus dem Funkverkehr zwischen zwei Männern, ist krächzend und verzerrt Folgendes zu hören:
do you see all those people? (Sehen Sie all diese Leute)
Oh Yeah. (Jep)
One of them has a weapon. (Einer hat eine Waffe)
Oh yeah. (Jep)
We have five to six individuals with AK 47s. (Wir haben hier 5 bis 6 Individuen mit Kalaschnikovs)Request permission to engage (Erbitte Schießerlaubnis).
Light them all up! (Schießbefehl erteilt. Legen Sie sie alle um).
Ein Maschinengewehr knattert, die Männer auf der Straße rennen, fallen hin, suchen Deckung. Keiner hat eine Chance, alle werden umgebracht. Ein riesiger, glutroter Feuerball lässt das Bild förmlich explodieren.
Im Saal: Erst Stille. Pfiffe. Applaus brandet auf.
Mir treibt es fast die Tränen in die Augen, ich kenne das Video. Alle im Saal scheinen es zu kennen. Es ist unter der Bezeichnung "Collateral Murder" vor Jahren um die Welt gegangen und sorgte für Protest. Es ist die Dokumentation des Angriffs eines US-Kampfhubschraubers auf eine Gruppe irakischer Zivilisten im Juli 2007.
Zwei Journalistenkollegen von der Nachrichtenagentur Reuters waren unter den Opfern, Namir Noor Eldeen und Saeed Chmagh. Die anderen Opfer waren allesamt Zivilisten, keine Terroristen. Bei den insgesamt drei Angriffen starben nach Schätzungen zwischen zwölf und 18 Menschen, zwei Kinder wurden verwundet.
Bradley Manning hat es geleaked und Wikileaks hat es veröffentlicht. Das war neben den Folterbildern aus dem Gefängnis Abu Ghraib, die als private Handyvideos ins Internet gelangten, ein weiterer Beleg für US-Kriegsverbrechen im Irakkrieg.
Darauf die Schrift an der Wand:
What the fuck was that?
Fuck me, who did they kill?
Two Reuters cameramen,
Namir Noor eldeen und Saeed Chmagh
and 8 other civilians.Fuck! What happened to the killers?
Nothing! Zuschauer pfeifenWow, where did the footage come from?
It was leaked by a very courageous american soldier.
Chelsea Manning – Beifall und Jubelto an equally courageous Australian publisher,
Julian Assange.
Großer Beifall.
FREE JULIAN ASSANGE!
Der Saal ist begeistert, die Fans klatschen und johlen.
Die Pause danach tut gut.
Das Publikum hat die Botschaften verstanden – auch wenn viele von der Wucht und Opulenz der optischen Eindrücke ein wenig mitgenommen wirken –, und sucht nach Wegen, sie umzusetzen. In der Lobby steht ein kleiner Stand von "Free Assange Köln", einer Gruppe von Unterstützern von Julian Assange, die Unterschriften sammeln und Flugblätter verteilen. Der Musiker hat die Free-Assange-Gruppe eingeladen, sein Konzert zu begleiten.
Waters unterstützt Julian Assanges Kampf gegen die Auslieferung an die USA.
Die Kölner Aktiven haben in der zwanzigminütigen Pause jede Menge zu tun, viele Menschen drängt es geradezu, Julian Assange irgendwie zu unterstützen, und sie scheinen froh, dass sie bei dem Konzert eine Gelegenheit dazu bekommen.
Das Publikum ist schon älter
Das Publikum ist ja schon älter, im Durchschnitt wohl über 50, und kennt die Wikileaks-Enthüllungen zu den Kriegsverbrechen der USA und der Nato. Viel Sympathie und Interesse wird den Aktivisten spontan entgegengebracht. Jüngeren muss man die Geschichte von Wikileaks oft noch erläutern.
Die Pause ist vorbei, es geht in die zweite Runde. Ja, da sind auch die Schweine wieder, ohne Davidstern dieses Mal, dafür mit der Aufschrift "Fuck the Poor". Daneben Dollarnoten und die Embleme von Rüstungsfirmen. "Us and them" thematisiert in den Bildern und im Text Menschenschicksale, das Los von Obdachlosen, Armut, der Flucht vor Hunger und Krieg. Wohnungslose schieben ihre Habseligkeiten vor sich her, Menschen werden in den Krieg geschickt. Dazu der Liedtext.
The first verse is about going to war, how on the front line we don't get much chance to communicate with one another, because someone else has decided that we shouldn't. The second verse is about civil liberties, racism and colour prejudice. The last verse is about passing a tramp in the street and not helping,
schreibt die englische Wikipedia.
"Any Colour You Like" ist ein wunderbarer Film über die Vielfalt der Menschheit, der menschlichen Kulturen und Lebensweisen. Sehr optimistisch.
"Brain Damage" und "Eclipse" folgen. Aber die Apokalypse kommt in "Two Suns In The Sunset" in der Form einer Graphic Novel in Zeitlupe. Ein Autofahrer fährt auf einer Landstraße in den Sonnenuntergang. Die entspannte Szene kippt allmählich ins Unheimliche, der Wald wird seltsam blau und die Straße gelb. Plötzlich steigt am Horizont eine rote Wolke auf, ein Atompilz. Eine Feuerwalze rast auf den Autofahrer zu.
Der Mann steigt aus und steht da wie angewurzelt, seine Augen aufgerissen vor Unglauben und Entsetzen, er kann nicht fliehen, nirgends ist Rettung in Aussicht. Überlebende der ersten Angriffswelle steigen aus den Trümmern, sie verglühen in der Feuersbrunst zu Asche.
Das muss man erst mal verarbeiten. Schwerer Stoff.
Aber es ist erst zu Ende, wenn es gut wird, nicht wahr?
Jedenfalls gibt es zum guten Schluss, nach all den Schrecken, die uns vielleicht noch bevorstehen, ein wunderbares neues Waters-Stück, "The Bar". Eine Ode an – nein, nicht an Stammtische und ihre Parolen –, sondern an einen Ort, an dem man sich treffen kann, Geschichten erzählen, zuhören, debattieren, lachen, weinen, gemeinsam feiern, sich gegenseitig helfen und stützen, erinnern und Hoffnung schöpfen.
Waters sagt, die Bar sein ein Ort in seinem Kopf. Dorthin verwies er zu Beginn des Konzertes die Leute, die zwar seine Musik mögen, aber mit seiner Politik nichts anfangen können. Nur, das haben die wenigsten der Kritiker begriffen.
Begleitung zu diesem Lied werden Fotos aus dem Leben von Waters' Familie eingeblendet, von seinem Vater, der als Soldat im Zweiten Weltkrieg fiel; seiner Mutter, seinem jüngeren Bruder, der im vergangenen Jahr verstorben ist.
Waters' greift in die Tasten, und singt dazu wie in einer Pianobar, auf dem Klavier stehen zwei Flaschen, von denen er gelegentlich einen Schluck nimmt. Er hat den Song für Julian Assange geschrieben, erfahre ich später. Es ist ein ruhiges und langes Stück.
Das könnte dann doch noch ein Taschenlampen- und Feuerzeug-Moment werden. Aber nein, die dazu nötigen Smartphones werden leider nur zum Filmen genutzt und viele haben das Rauchen offenbar aufgegeben.
Und eine Art Zugabe gibt es in dem galanten Abgang der Band. Roger Waters stellt sie alle sehr ausgiebig vor.
Die Künstler:innen gehen singend und spielend von der Bühne.