Rojava - Auf der Suche nach Erdogans Terroristen
Seite 2: Schweigen der Mächtigen
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Vielleicht hat ja der Simultan-Übersetzer beim Vierergipfel im Oktober damals Putin, Merkel und Macron anderes ins Ohr geflüstert, jedenfalls zeigten alle drei keinerlei Reaktion auf die erneuten Drohungen Erdogans, einen Teil Syriens anzugreifen, der zu weiteren Flüchtlingsströmen führen wird. Stattdessen nochmals die Bekräftigung der "gemeinsamen Interessen im Kampf gegen den Terror", ohne den Verursacher des Terrors zu definieren. Besser man hält sich alles offen. Je nach politischem Kalkül kann man dann "Terroristen" definieren.
Wie es scheint, übernimmt die Bundesregierung den "Erdogan-Sprech" in Bezug auf Nordsyrien. Am 25.10.2018 bezeichnete die Tagesschau die kurdische Miliz der demokratischen Föderation Nordsyrien als "Terrororganisation". Nach Zuschauerprotesten änderte sie dies in "...syrisch-kurdische Miliz YPG, eine Schwesterorganisation der auch in Deutschland als Terrorvereinigung eingestuften PKK, ...".
Eine elegante Umschreibung die genau das Gleiche bedeutet. Ein Jugendblog nahm das auf und karikierte den Sender mit "ARD - das erste türkische Fernsehen?"
Als die Türkei am Sonntag, einen Tag nach dem Gipfel zum Friedensprozess für Syrien in Istanbul, die Dörfer in der Umgebung von Kobane in Nordsyrien grundlos bombardiert, spricht die FAZ davon, die YPG versuche "in Kobane einen selbstverwalteten Staat aufzubauen".
In diesem Halbsatz stecken gleich 3 Falschmeldungen, die typisch für unsere Medien sind, die unhinterfragt die Meldungen der gleichgeschalteten türkischen Presse übernehmen.
- 1. Fehler: Die YPG ist die kurdische Militäreinheit der ‚Syrian Democratic Forces‘ (SDF), dem Militär der demokratischen Förderation Nordsyrien, das aus der YPG, YPJ, christlichen, arabischen und ezidischen Einheiten besteht und gemeinsam mit den USA gegen den IS kämpft. Eine Staatsgründung liegt nicht in ihrer Macht und ihrem Interesse.
- 2. Fehler: Kobane ist nur einer von vier Kantonen der Föderation Nordsyrien und hat nicht vor, sich von den anderen abzuspalten.
- 3. Fehler: es wird auch nicht richtiger, wenn immer wieder behauptet wird, die Kurden würden in Nordsyrien einen eigenen Staat errichten wollen. Tatsache ist, dass die demokratische Föderation Nordsyrien explizit für einen Verbleib im syrischen Staat eintritt. Was sie fordern, ist eine kulturelle und politische Anerkennung als autonome Region mit eigener Verwaltung - wie das zum Beispiel in Südtirol der Fall ist.
Bei der Häufigkeit, mit der solche Falschaussagen in den hiesigen Medien lanciert werden, könnte man Absicht unterstellen, denn sie passen zur Politik der Bundesregierung in Bezug auf die Türkei und den angeblich gewollten Friedensprozess in Syrien.
Kein Schmusekurs mit Erdogan
Es ist schon verständlich, dass sich die Bundesregierung Sorgen um die Nach-Erdogan-Ära macht. Keiner weiß, wie es mit oder ohne Erdogan in der Türkei weitergeht. Ehrlicherweise sollte die Bundesregierung sich aber eingestehen, dass sie einen Teil dieser Situation mit zu verantworten hat.
Noch immer lässt sie sich von ihm durch die politische Agenda ziehen, anstatt diesem Despoten Einhalt zu gebieten und den demokratischen Teil der türkischen Bevölkerung zu unterstützen. Die Politik der Bundesregierung stößt bei der Bevölkerung in Nordsyrien auf Unverständnis.
Ein alter Bauer in einem aramäischen Dorf erzählt mir, wie sein Großvater ihm von einem deutschen Kommandanten des deutschen Reiches berichtete, der 1915 an der Vertreibung der Christen aus der Türkei beteiligt war. Und jetzt vertreibe die Türkei wieder die Christen. Diesmal aus ihrer syrischen Heimat, in der sie Zuflucht gefunden hatten. Wieder mit der Unterstützung der Deutschen. Was sollte ich diesem alten Mann entgegnen? Er hat recht.
Ich besuche Ain Diwar, ein großes Dorf an der Grenze zur Türkei im letzten Zipfel im Dreiländereck. Die Bürgermeisterin erzählt, dass ihr Vater von den Türken erschossen worden sei, weil er sich weigerte, für die Türkei zu spionieren, als sie 2 Monate alt war. In dieser Gegend war die Grenze früher sehr durchlässig, sodass die Verwandten sich gegenseitig zu Hochzeiten oder Beerdigungen besuchen konnten.
Heute blicken sie auf eine geschlossene Mauer. Keine Maus kommt durch diese Betonwand, die der Berliner Mauer sehr ähnelt. "Für die Türkei gibt es keine Grenze oder Mauer", sagt die Bürgermeisterin. "Sie kommen und morden, wann sie wollen". In der Mauer sind in bestimmten Abschnitten, auf syrischer Seite nicht sichtbar, Tore eingebaut, durch die das türkische Militär mit Panzern auf syrisches Gebiet fahren kann wann sie will.
Die Bürgermeisterin und der Bürgermeister des Dorfes, beide sehr einfache Menschen, fragen mich: Warum glaubt ihr Deutschen dem Erdogan, wir seien Terroristen? Sind wir Terroristen, weil wir Bürgermeister unseres Dorfes sind? Sind die Bauern hier, die ihre Felder nicht mehr bestellen können, weil sie sonst erschossen werden, Terroristen?
Sind die Kinder, die nicht mehr am Fluss spielen oder angeln können, Terroristen? Nein, ich sehe hier keine Terroristen. Die Antwort auf ihre Frage, warum die Deutschen Erdogan glauben, bleibe ich schuldig.