Rollt oder rollt er nicht, der WSIS-Rubel?
Auf dem Vorbereitungstreffen für den Weltgipfel der Informationsgesellschaft wurde eine prinzipielle Zustimmung für den "Digitalen Solidaritätsfonds" erzielt
Nach monatelangen Ringen vor und hinter den Kulissen sowie einem letzten Verhandlungsmarathon in Genf bei der 2. Vorbereitungskonferenz (PrepCom2) zum Weltgipfel der Informationsgesellschaft (WSIS) konnte der ghanesische Kommunikationsminister Albert Kan-Dapaa gestern Nacht in der für Finanzen zuständigen Arbeitsgruppe 2 die prinzipielle Zustimmung der Geberländer zur Schaffung eines "Digital Solidarity Fonds" (DSF) einstreichen. Mit dem Segen der USA, der EU, Kanada, der Schweiz und Japan soll am 14. März 2004 der DSF um 11.00 morgens im Hotel "Intercontinental" zu Genf das Licht der Welt erblicken.
Schuldenerlass und Tobin-Steuer?
Als Ende des vergangenen Jahres der Tsunami durch den Indischen Ozean raste, entstand, zumindest für den Moment, ein neues globales Bewusstein der Zusammengehörigkeit und Verletzlichkeit auf unserem Planeten. Seither haben in unterschiedlichen Zusammenhängen der deutsche Bundeskanzler Schröder, der französische Präsident Chirac und der britischen Schatzkanzler Brown eine neue Diskussion über globale Finanzierungsmechanismen angestoßen. Vom Schuldenerlass bis zur Besteuerung von Flugbenzin und internationalen Finanztransfers reicht die Palette der meist noch sehr unausgegorenen Vorschläge (Die Tsunami-Nationen, das Schuldenmoratorium und die Tobin Tax).
Insofern ist es kein Wunder, dass die kontroverse Frage eines speziellen Fonds zur Überwindung der digitalen Spaltung in der Welt, über die auf dem ersten "Weltgipfel zur Informationsgesellschaft" (WSIS I) im Dezember 2003 in Genf keine Einigung erreicht wurde, heute in einem neuen Licht erscheint (Nach Mitternacht ging es nur noch ums Geld). Der Gipfel hatte damals entschieden, die Klärung dieser Frage einer Task Force on Financial Mechanisms (TFFM) zu übereignen, deren primäres Mandat jedoch darin bestand, erst einmal die existierenden Finanzierungsmechanismen dahingehend zu durchforsten, wie sie für die Finanzierung des großen WSIS-Planes, bis zum Jahr 2015 die halbe Welt Online zu bringen, genutzt werden könnten.
Der Bericht der Task Force löste aber bei den Vätern der Idee eines digitalen Solidaritätsfonds, allen voran Senegals Präsident Wada, wenig Jubel aus, da er nicht, wie eigentlich erwartet, neue Mechanismen vorschlug, sondern darauf orientiert ist, vorrangig die lokalen Rahmenbedingungen in den Entwicklungsländern selbst so zu verändern, damit sie attraktiv für private Investitionen werden.
Fonds Ja, Verpflichtung Nein
Damit gaben sich jedoch vor allem die afrikanischen Regierungen nicht zufrieden. Auf ihrer regionalen WSIS-Vorbereitungskonferenz Ende Januar 2005 in Accra einigten sie sich darauf, trotz der anhalten Widerstandes der Geberländer in die Offensive zu gehen und die DSF-Frage neu aufzuwerfen. Der politische Preis, den man jedoch für den jetzt erreichten Kompromiss bezahlt hat, ist ziemlich hoch. Der "Digital Solidarity Fonds", der nun am 14. März 2005 gegründet werden soll, ist ein freiwilliger Fonds. Verpflichtungen von UN-Mitgliedsstaaten, etwas einzuzahlen, gibt es nicht. Man setzt auf die Kraft der Post-Tsunami-Einsichten und auf eine sich selbst verstärkende Dynamik, die dann ausgelöst werden kann, wenn die "digitalen Möglichkeiten", die die neuen Märkte potentiell bieten, sichtbar werden.
Obwohl noch kein Geld vorhanden ist, hat man schon relative klare Vorstellungen, wie man es ausgeben will. 60 Prozent der DSF-Einlagen sollen in die am wenigsten entwickelten Länder gehen, 10 Prozent sind für lokale Gemeinschaftsprojekte in entwickelten Ländern, der Rest für die sogenannten "Länder im Übergang" reserviert. Damit will man deutlich machen, dass dies kein Hilfsfonds für Afrika, sondern ein globaler Fonds zur Finanzierung der weltweiten und universellen "Digital Solidarity Agenda" ist. Nicht mehr als 6 % soll die Verwaltung der Ressourcen schlucken. Am Management des DSF sollen sowohl Regierungen als auch der private Sektor und die Zivilgesellschaft beteiligt werden. Alles soll transparent, offen und demokratisch zugehen.
Ob der Papiertiger durch lautes und hörbares Fauchen jedoch potentielle staatliche oder private Geldgeber aus dem Norden aufschreckt und gebebereit machen wird, steht in den Sternen, selbst wenn man den eingangs erwähnten guten Willen der Herren Schröder, Chirac und Brown unterstellt.
Vision oder Halluzination?
Man ist selbst in Genf bei der PrepCom2 schnell wieder auf dem nüchternen Boden der Tatsachen, wenn man sich die Verhandlungen zu den anderen 26 Paragraphen des der Finanzierungsfrage gewidmeten Dokuments anschaut, das auf dem 2. Weltgipfel in Tunis im November 2005 verabschiedet werden soll. Dort liegt, wie im Bericht der TFFM empfohlen, das Schwergewicht wieder darauf, dass zunächst die politisch-rechtlichen Rahmenbedingungen in den Nehmerländern so gestaltet werden müssen, dass sie für private Investitionen attraktiv sind. Staatliches Geld aus dem Norden soll demnach primär in "Human Capacity Building" fließen, was die Beratung und Ausbildung von Regierungen und Parlamentariern umfasst, um eine entsprechende nationale und lokale Politik und Gesetzgebung anzuschieben.
Formulierungen, die Entwicklungsländer vorschlagen, demzufolge eine totale Liberalisierung kein Garant ist, die erwünschten sozialen Effekte zu erzielen, werden dabei mit viel Geschick und Filibustern immer wieder aus dem Dokumentenentwurf herausdiskutiert. Da hilft auch nicht der Verweis darauf, dass in den reichen Ländern des Nordens der Aufbau der grundlegenden Telekommunikationsinfrastruktur ja auch mit Steuergeldern finanziert wurde.
Verschwunden ist auch sofort der Vorschlag der Zivilgesellschaft, eine Art digitale Tobin-Steuer für kommerzielle Domain Namen einzuführen. Zäh ist das Ringen um die Idee, aus erlassenen Schulden einen lokalen Fonds zu bilden, mit dem ICT Projekte vor Ort gefördert werden könnten. Auch die immer wieder erhobene Forderung aus dem Süden, die Zugangskosten für die vom Norden gemanagten Backbone-Netze zu reduzieren, haben es schwer, da die Nord-Regierungen hier keine Verpflichtungen für den unabhängigen privaten Sektor eingehen wollen und können. Insofern bleibt es bei dem alten Ringelspiel, und man wird wohl kaum nach dem Tunis-Gipfel eine Geldwelle über den Süden rollen sehen.
Bei einem Workshop in der kanadischen Botschaft in Genf zum Thema "WTO und WSIS" goß Carlos Alberto Primo Braga, der erste Direktor des Information for Development Program (InfoDev) der Weltbank, Wasser in den WSIS-Wein. Er sehe nicht, dass wir am Vorabend einer Wende bei der Finanzierung stehen. Alles nette Absichtserklärungen, sagte der Finanz-Profi und fügte hinzu: "Visionen ohne juristische Implementierung sind wie Halluzinationen."
Wolfgang Kleinwächter ist Professor für internationale Kommunikationspolitik an der Universität Aarhus. In der Telepolis-Reihe ist sein Buch über den Weltgipfel zur Informationsgesellschaft und die damit verbundenen Themen erschienen: Macht und Geld im Cyberspace. Wie der Weltgipfel zur Informationsgesellschaft die Weichen für die Zukunft stellt.