"Rooter", Sokal und die fabelhafte Welt der Kybernetik
Ein Computerprogramm zum automatischen Erstellen eines wissenschaftlichen Textes
Was bedarf es, um auf einen wissenschaftlichen Fachkongress eingeladen zu werden? Gute Ideen? Eigene Forschungsergebnisse? Ein Studium? Weit gefehlt! Dank einem neuen Computerprogramm ist es ausreichend, den eigenen Namen buchstabieren zu können.
Das zeigte sich im Vorfeld der World Multi-Conference on Systemics, Cybernetics and Informatics, die Anfang Juli in Orlando, Florida stattfinden soll. Jeremy Stribling und zwei weitere Informatikstudenten am Massachusetts Institute of Technology (MIT) schrieben ein Computerprogramm, das selbständig ein Konferenzpapier nach allen Regeln der Kunst erstellt: Mit effektvollem Titel, Kurzzusammenfassung, Gliederung, methodischen Anmerkungen, Diagrammen, Literaturverweisen und einem Literaturverzeichnis. Nur der Inhalt selbst, der zielt nach Angaben der Autoren auf "maximale Erheiterung" und nur bedingt auf Kohärenz.
Eines ihrer computergenerierten Erzeugnisse mit dem Titel Rooter: A Methodology for the Typical Unification of Access Points and Redundancy ging an die Organisatoren der Konferenz und Ende März landete dann eine Email mit der Einladung zum Vortrag im elektronischen Briefkasten der Studenten. Ihr Papier wurde akzeptiert, auch wenn bis zu diesem Zeitpunkt noch keiner der drei zufällig (per Computer!) ausgewählten Gutachter sein Urteil über den Beitrag abgeliefert hatte. Mittlerweile weist eine Sonderseite auf der Homepage des Kongresses darauf hin, dass immerhin einer von "mehreren" zufallsgenerierten Konferenzbeiträgen von einem der Gutachter entlarvt werden konnte.
Gab es so etwas nicht schon einmal? 1996 löste Alan Sokal, Physik-Professor an der New York University , eine mehrere Jahre andauernde Debatte um Fälschungen und Hochstapelei in der Wissenschaft aus (Ende der Wissenschaft?). Er hatte einen Nonsense-Aufsatz mit dem Titel "Transgressing the Boundaries: Toward a Transformative Hermeneutics of Quantum Gravity" an die Redaktion des renommierten Journals "Social Text" geschickt und dieser wurde prompt publiziert. Seine Ausführungen über die Auswirkungen der Quantentheorie auf die Geisteswissenschaften im Allgemeinen und die Gemeinsamkeiten von Jacques Derrida und Albert Einstein im Besonderen entsprachen dem postmodernen Duktus wie er damals en vogue war. Als Sokal kurz darauf das Zustandekommen dieser Satire ausführlich schilderte, saß der Schock in der Fachwelt tief.
Aber die Technik hat seitdem einige Fortschritte gemacht. Musste sich Sokal noch Wort für Wort seine "Mischung aus Wahrheiten, Halbwahrheiten, Viertelwahrheiten, Unwahrheiten, logischen Fehlschlüssen und syntaktisch korrekten Sätzen ohne jegliche Bedeutung" aus den Fingern saugen, so genügt heute die Eingabe der Autorennamen - mit dem letzten Programmupdate dürfen diese sogar Umlaute enthalten - und der Computer spuckt wenige Sekunden später ein formvollendetes vierseitiges Konferenzpapier aus.
Von den Kybernetikern selbst wird die "Stribling-Affäre" allerdings gelassen aufgenommen, lassen sich an ihr doch einige der Grundüberzeugungen dieses Forschungsfeldes demonstrieren. Ranulph Glanville, Architekt und Kybernetiker, fühlt sich an seine Lehrer Heinz von Foerster und Gordon Pask erinnert, die immer wieder betonten, die Bedeutung einer Aussage werde nicht vom Sprecher, sondern von den Zuhörern bestimmt. Er stellt darüber hinaus fest, dass das Problem nicht darin liegt, dass einer Maschine auf einmal (fälschlicherweise) Intelligenz zugeschrieben wird. Die eigentlich faszinierende Frage beginnt für Glanville erst im Anschluss daran:
Ich sehe kein Problem damit, dass eine Maschine für intelligent gehalten wird. Wo bleiben die Kommentare über den Wert des Papiers anstatt nur über die Methode des Verfassens oder die Autorschaft?
Der Blick des Kybernetikers richtet sich also nicht auf die Möglichkeiten, ähnliche Fälschungen zu erkennen und zu unterbinden, sondern darauf, was aus solchen Vorkommnissen gelernt werden kann - über unsere Wahrnehmungs- und Urteilsmuster, aber auch über mögliche Potentiale, die in solchen Computererzeugnissen liegen könnten. Zudem steht mindestens seit 1950, dem Erscheinungsjahr von Alan Turings bahnbrechendem Aufsatz "Computing Machinery and Intelligence", die Frage nach der Kommunikation mit intelligenten Maschinen ganz oben auf der kybernetischen Forschungsagenda. Ranulph Glanville beschreibt auf einer Kybernetik-Mailinglist, wie er schon seit langem Aufsätze und auch Konferenzpapiere arbeitsteilig mit seinem Rechner entwirft:
Ich verwende schon seit einigen Jahren den "Summariser", um Zusammenfassungen für Manuskripte zu erstellen. Ich tue dies aus zwei Gründen. Erstens, um eine andere Perspektive auf das von mir geschriebene Material zu bekommen. Zweitens, weil ich glaube, dass ich meine Texte mit meinem Computer in Zusammenarbeit erstelle - und einige dieser Texte handeln genau davon, wie wir Computer verwenden können und in welcher Beziehung wir zu ihnen stehen.
Spinnt man diesen Faden weiter, so erscheint es auch nicht abwegig, dass im Jahr 2005 ein Computer unter Mithilfe von Menschen ein Manuskript entwirft.
Der ursprüngliche Plan der MIT-Studenten, auf der Konferenz mit ernster Miene den Beitrag ihres Computerprogramms zu verlesen, schlug jedoch allem Anschein nach fehl. Zwar spendeten bislang 171 Besucher ihrer Internetseite fast 2.400 US-Dollar, um ihnen den Konferenzbesuch zu finanzieren, aber der Veranstalter hatte sie letzte Woche kurzerhand ausgeladen:
Da Sie auf Ihrer Internetseite bekannt geben, dass das Papier eine Fälschung ist, denken wir, dass wir Ihre Anmeldung nicht akzeptieren sollten.