Rückkehr zur Wehrpflicht: Eltern im Konflikt

Soldat mit Aussicht

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Debatte läuft auf Zuspruch hinaus? Interessant wird sein, wie sich Eltern zur Frage der Wiedereinführung der Wehrpflicht stellen, wenn es konkret wird. Wie ein Aha-Erlebnis aussieht.

Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) ist für eine Rückkehr zur Wehrpflicht in Deutschland, wie er vor Studenten der Johns-Hopkins-Universität in Washington erklärte, wenn auch mit einiger Vorsicht, nicht allzu verbindlich.

"Ich bin der Überzeugung, dass Deutschland eine Art (!) Wehrpflicht benötigt", zitiert ihn die NZZ. In einem Punkt wurde er deutlich: Die Entscheidung, die Wehrpflicht auszusetzen, – die der damalige Verteidigungsminister der CSU, Karl-Theodor zu Guttenberg, am 26. Mai 2010 in einer Grundsatzrede ankündigte und im Bundestag auf Mehrheiten traf –, hält Pistorius "für einen Fehler".

Die CDU ist mittlerweile zeitengewendet für eine Rücknahme dieses Schrittes, der 2011 mit ihrer Unterstützung durchgesetzt wurde.

Wir werden die Aussetzung der Wehrpflicht schrittweise zurücknehmen und die Wehrpflicht in ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr überführen. Bis zu dieser Umsetzung fordern wir zur Stärkung der personellen Einsatzbereitschaft der Bundeswehr die Einführung einer Kontingentwehrpflicht.

36. CDU-Parteitag

Verteidigungsminister Boris Pistorius mache bei der Wiedereinführung einer Wehrpflicht in Deutschland Tempo, hieß es Anfang März beim Spiegel.

Er soll nach Informationen des Nachrichtenmagazins sein Haus angewiesen haben, "Optionen für ein deutsches Wehrdienstmodell vorzulegen, das bedrohungsangepasst auch kurzfristig skalierbar einen Beitrag zur gesamtstaatlichen Resilienz liefert".

Die Position von Scholz und der Bewegungsspielraum

Pistorius' Vorschlag stößt jedoch in seiner eigenen Partei, der SPD, auf Kritik. Bundeskanzler Olaf Scholz sprach sich während seines Besuchs in Schweden gegen eine Rückkehr zur Wehrpflicht in ihrer alten Form aus. Er betonte, dass die Wehrpflichtarmee heute nicht mehr funktioniere.

Er wies auf den damaligen Umfang der Bundeswehr mit mehr Soldaten, Kasernen und Infrastruktur hin und stellte klar, dass eine Wiederherstellung dieser Strukturen weder benötigt noch geplant sei.

Wer genau liest, sieht, dass hier Bewegungsspielraum offengelassen wird: "eine Art Wehrpflicht" (Pistorius) und "keine Rückkehr zur alten Form" (Scholz). Das schwedische Modell gibt möglicherweise den Lückenfüller.

In dem skandinavischen Land erhalten zunächst alle jungen Frauen und Männer einen Fragebogen von der Musterungsbehörde, nur ein Teil wird zur Musterung eingeladen. Ein ausgewählter Kreis erhält dann Angebote für einen Dienst.

Unter-30-Jährige äußern sich dagegen

Nimmt man die Stimmung des MDR-Meinungsbarometers als Orientierung, so sprachen sich zwar zwei Drittel der Befragten Anfang Mai für eine Wiedereinführung der Wehrpflicht aus. Aber zugleich fällt auf, dass zwei Drittel in der Altersgruppe der Unter-30-Jährigen die Rückkehr ablehnten.

Interessant wird sein, wie sich Eltern, die in der Tradition des Pazifismus aufgewachsen sind, zur Frage der Wiedereinführung der Wehrpflicht stellen, wenn die Sache konkret wird.

Das Aha-Erlebnis mit Joschka

Zur Frage "Meine Kinder im Krieg?" hatte kürzlich der Chefreporter der Taz, Peter Unfried ein Aha-Erlebnis, das er in einem Beitrag kundtat. Dort erzählt er von einer Begegnung mit dem ehemaligen Außenminister Joschka Fischer an einem lauschigen Abend im Wonnemonat Mai in Berlin.

Ich halte es ganz und gar nicht für Militarismus oder Kriegsgeilheit, wenn man in der Lage ist, andere vom Morden und Vergewaltigen abzuhalten, weil sie wissen, dass man sich wehren kann.

Aber eines ist für mich der furchtbarste Gedanke, und das sagte ich dem Weltpolitiker auch: "Ich verstehe das alles, aber es ist für mich unvorstellbar, dass meine Kinder in einen Krieg ziehen müssen." Er sah mich mit seinem Joschka-Fischer-Blick an. Dann sagte er, fast wie nebenbei: "Das werden Ihre Kinder entscheiden." Das war der Moment, in dem ich etwas Entscheidendes kapierte.

Peter Unfried, Taz

Unfried verstand, dass er nun in einer anderen Welt lebt.

Bis dahin hatte ich gedacht, dass meine Kinder in meiner Welt leben. Durch Fischers fünf Worte habe ich verstanden, dass ich längst in der Welt meiner Kinder lebe.

Was das konkret, in puncto Wiedereinführung der Wehrpflicht heißt, lässt der Taz-Autor offen. Aber er lässt anklingen, dass man es in der "realen Welt der Kinder" - die notabene von Erwachsenen gemacht ist, samt Feindbilder - mit einer neuen Härte zu tun hat und dass der Umgang in einer Orientierung zu suchen ist, die Richtung Kriegstüchtigkeit tendiert.

Kein Pazifismus mehr? Oder nur mehr aus Sentimentalität, der sich laut James Joyce dadurch auszeichnet, dass er keine Verantwortung für seine Gefühle übernimmt?

Es fühlt sich falsch an. Hilft aber nichts: Wir können die Zukunft nicht einfach ablehnen, wir werden erst handlungsfähig, wenn wir in die reale Welt unserer Kinder wechseln. Je schneller wir einen konstruktiven Umgang mit der ungewohnten Härte dort finden, desto größer ist ihre Chance, lange und einigermaßen glücklich zu leben.

Peter Unfried, taz

Joschka Fischer hatte es seiner Zeit vermutlich leichter.