Rückzieher zum Mars: Wie Elon Musk den Twitter-Deal platzen lässt

Elon Musk wollte immer schon hoch hinaus. Im Zweifel steht er über dem unterkomplexen Geschwätz beim Kurznachrichtendienst Twitter. Symbolbild: SpaceX / CC0 1.0

Tesla-Boss will Kurznachrichtendienst nun doch nicht mehr übernehmen und lässt sich dafür verklagen. Spekuliert wird über Geldsorgen, Preispokerei und einen bösen Kifferscherz.

Wer Großes vorhat, muss bisweilen Kleines sausen lassen. Verglichen mit der Besiedlung des Mars sind irdische Unternehmungen – selbst so schillernde wie Twitter – bloß eine Petitesse. Warum also unnötig Kraft vergeuden? Womöglich geht so ja die Denke von Elon Musk.

Einen Tag, nachdem der Multimilliardär den eigentlich schon sicher geglaubten Kauf des Kurznachrichtendienstes hat platzen lassen, verlor er am zurückliegenden Wochenende auf einer Technologiekonferenz in Sun Valley, Idaho, kaum ein Wort dazu, aber umso mehr über seine Pläne, den rostroten Planten zu erobern.

Wollen wir dem Mann mit den durchgeknallten Ideen nur die besten Absichten unterstellen. Der Mars mag weit weg sein, aber nah ist die Klimakatastrophe beziehungsweise längst da. Wenn die Zeit für die Menschheit ohnehin schon knapp bemessen ist, sollte man den Countdown nicht noch damit beschleunigen, aberwitzige Mengen an Energie für Null-und-Nichtig-Plappereien via Internet zu verpulvern.

Nur "Cannabis-Witz"?

Die Frage muss gestellt werden: War Musks Verheißung, Twitter zu einer Trutzburg der Meinungsfreiheit zu machen, nur Gerede? Wollte er sich Twitter nie unter den Nagel reißen, sondern dem Kurznachrichtendienst nur den Todesstoß verpassen – der Rettung der Welt wegen?

Auf alle Fälle hat die Aktie des Tech-Konzerns arg Federn gelassen, seit die Gerüchteküche zu brodeln anfing, das im April eingefädelte Geschäft könnte am Ende doch vor die Wand fahren. Zwischen Anfang Mai bis heute gab der Kurs um gut ein Viertel nach.

Und wo wir schon am Spekulieren sind: Die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) verwies dieser Tage auf "findige Kommentatoren" in den USA, die hinter dem 44-Milliarden-Dollar-Deal einen "Cannabis-Witz" vermuten. So enthalte das Übernahmeangebot von 54,20 Dollar pro Aktie den amerikanischen Slangcode für Marihuana 420.

Also hat Musk, der bekennende Kiffer, nur Spaß gemacht. Man stelle sich den 51-Jährigen mit Tüte im Mundwinkel und kichernd hinterm Laptop vor, wie er durch ein paar Klicks und dumme Sprüche die globale Wirtschaft zum Beben bringt. So wie damals vor vier Jahren, als er per Tweet ankündigte, Tesla von der Börse zu nehmen – für 420 Dollar pro Anteilsschein.

Shortseller schießt gegen Tesla

Wie sein neuester Coup hatte auch dieser Vorgang ein juristisches Nachspiel, bei dem sich der Konzernboss des Vorwurfs der Marktmanipulation ausgesetzt sah. Allerdings steht aktuell deutlich mehr auf dem Spiel. Zu Wochenanfang reichte der Onlinedienst mit Sitz in San Francisco Klage im US-Bundesstaat Delaware ein. Wie Verwaltungsratschef Bret Taylor am Dienstag mitteilte, wolle man Musk per Gericht dazu zwingen, den Aufkauf doch zu vollziehen.

Der markiert zwar den Rechtschaffenden, hat aber einen giftigen Gegner auf den Plan gerufen. Am Mittwoch gab der Shortseller Hindenburg Research bekannt, durch Besitz einer "signifikanten Long-Position" auf Twitter zu wetten, woraufhin dessen Kurs prompt einen Satz nach oben machte. Der Leerverkäufer hatte in der Vergangenheit schon den Elektro-LKW-Hersteller Nicola sowie das E-Auto-Startup Lordstown Motors in Nöte gebracht.

Nun nimmt er es sogar mit dem Platzhirsch auf, der selbst arg in der Bredouille steckt. Wie viele andere in der Branche hat auch Tesla mit heftigen Verlusten zu kämpfen. Seit April büßte der Konzern mehr als ein Viertel seines Börsenwerts ein. Das Handelsblatt stimmte Ende Mai den Abgesang auf ein Geschäftsmodell ein, bei dem irgendwie der Lack ab ist. Demnach lässt sich mit der E-Mobility nur noch Geld verdienen, indem man auf ihren Absturz spekuliert. Allein durch die Abwertung des Marktführers hätten Profianleger in diesem Jahr über zehn Milliarden Dollar eingestrichen.

Um fast 100 Milliarden Euro ärmer

Damit kommt man der Wahrheit, warum Musk Twitter den Rücken kehrt, wohl schon näher. Ihm könnte dafür schlicht das Geld ausgegangen sein, zumal die 44-Milliarden-Dollar-Offerte nach Ansicht von Analysten deutlich überhöht gewesen war. Aktuell ist Twitter nur rund 30 Milliarden Dollar wert.

Eigentlich wollte der Technik-Zampano die Übernahme mit Krediten finanzieren, unter anderem abgesichert mit Tesla-Papieren. Wegen der Kurseinbrüche hätte er wahrscheinlich weitere Garantien liefern müssen, die ihm mutmaßlich fehlen oder einfach zu teuer sind. Weil große Teile seines Privatvermögens in Aktienpaketen verpackt sind, war Musks Monsterbesitz zuletzt auf 192 Milliarden Dollar gesunken. Im April, als er den Twitter-Erwerb anbahnte, soll er noch 288 Milliarden Dollar schwer gewesen sein.

Da stellen sich freilich Zukunftssorgen ein und mithin Gedanken, wie man glimpflich aus der Nummer rauskommt. Die von dem Tech-Unternehmer vorgebrachten Gründe, von dem Geschäft zurückzutreten, könnten dann auch bloß billige Ausreden sein. Er behauptet, das Twitter-Management habe ihm das wahre Ausmaß an Spam- und Fakeaccounts verschleiert. Es beziffert die toten oder von Bots besetzten Konten mit weniger als fünf Prozent der täglich aktiven Nutzer. Laut Tesla-Boss Musk soll sich die Größenordnung im Bereich des Fünffachen bewegen.

Außergerichtliche Einigung möglich

Wäre dem so, ließen sich mit dem Dienst erheblich weniger Werbeeinnahmen generieren, was dem Neubesitzer die Tour böse vermasseln würde. Andererseits kann es um die Güte eines Geschäftsmanns nicht gut bestellt sein, der solche Risiken nicht vor der Unterschrift ausräumt.

Und konkret belegen kann Musk seine Anschuldigungen offenbar auch nicht. Ebenso wacklig erscheint seine Argumentation, bei Twitter seien seit April wichtige Mitarbeiter von der Fahne gegangen, womit die Verpflichtung, die Geschäfte geregelt weiterführen zu können, verletzt werde.

Bleibt die Frage, wie die Sache ausgeht. Obsiegt in dem Rechtsstreit der Kläger, könnte Musk eine Strafzahlung von einer Milliarde Euro blühen. Das sehen die Verträge für den Fall vor, dass das Geschäft widerrechtlich abgeblasen wurde. Das wäre für Musk verkraftbar wie auch die absehbar ausufernden Kosten des Verfahrens, das sich über Jahre hinziehen kann. Twitter dagegen könnte finanziell der Atem ausgehen und bei einer Niederlage dem Ruin geweiht sein. Welcher Investor wollte einem Laden aus der Patsche helfen, den der reichste Mann der Welt derart abserviert hat.

Denkbar erscheint bei dieser Konstellation auch eine außergerichtliche Einigung. So könnte Twitter die Entschädigungssumme im Falle des endgültigen Musk-Abschieds hochtreiben oder dieser den Kaufpreis bei einem Rückzug vom Rückzug drücken. Wer weiß? Vielleicht zwitschert Elon dann ja noch zu Lebzeiten vom Mars. Das kickt dann so richtig.