Rüsten gegen Russland: Widerstand an der Heimatfront nimmt zu
SPD-Fraktion von 100-Milliarden-Euro-Ankündigung des Bundeskanzlers überrascht. Nun formiert sich Protest. Nur an einer Stelle herrscht Enthusiasmus
In der SPD-Bundestagsfraktion und in sozialpolitischen Organisationen formiert sich Widerstand gegen die Ankündigung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), ein Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro für die Aus- und Aufrüstung der Bundeswehr einzurichten. Offen unterstützt wird das Vorhaben bisher nur von der FDP und dem liberalen Finanzminister Christian Lindner.
Scholz hatte den massiven Sonderetat am Sonntag in seiner Rede bei der Sondersitzung im Bundestag zum russischen Angriff auf die Ukraine angekündigt. Damit überraschte er anscheinend nicht nur die im Bundestag vertretenen Fraktionen – einschließlich seiner eigenen Genossinnen und Genossen –, sondern auch einige seiner Kabinettsmitglieder.
Krieg im Donbass (12 Bilder)
In der SPD jedenfalls, so hieß es aus Fraktionskreisen, habe über die überraschende und vorab nicht zur Debatte gestellte Ankündigung Scholz‘, großer Unmut geherrscht. SPD-Redner Rolf Mützenich jedenfalls habe eilig Änderungen im Manuskript seiner Rede vorgenommen und auch die Ankündigungen von Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/ Die Grünen) über 15 Millionen Euro humanitärer Hilfe habe kaum mehr zur Milliardenankündigung wenige Minuten zuvor gepasst. Scholz, so machte ein Running-Gag in der SPD -Fraktion die Runde, habe offenbar mal wieder nach dem Prinzip OWD gehandelt: "Olaf will das".
Nun werden die Kritiker konkreter. In einer Erklärung der parlamentarischen Linken in der Bundestagsfraktion und außerparlamentarischer Verbände heißt es heute:
Wir lehnen das von Bundeskanzler Scholz am Sonntag vorgeschlagene Sondervermögen für Aufrüstung in Höhe von 100 Milliarden Euro und dauerhafte Rüstungsausgaben von über zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts ab.
Die Entscheidung des Bundeskanzlers sei "ein beispielloser Paradigmenwechsel", dem sich die Unterzeichner "vehement entgegenstellen". Stattdessen solle darüber diskutiert werden, wie man den Menschen in der Ukraine schnellstmöglich helfen könne.
Getragen wird die Erklärung von Forum Demokratische Linke in der SPD, der Sozialistischen Jugend Deutschlands – Die Falken, dem Institut Solidarische Moderne, dem globalisierungskritischen Netzwerk Attac, dem Bundesjugendwerk der Arbeiterwohlfahrt, der Naturfreundejugend Deutschlands und weiterer Verbünde sowie Einzelpersonen.
Rüstungskonzerne zu Produktionssteigerung bereit
Freude über die Ankündigung des Bundeskanzlers hingegen herrscht an anderer Stelle: Die führenden deutschen Rüstungskonzerne erklärten sich umgehend zu einer Ausweitung ihrer Produktion bereit. Angesichts der neuen Milliardenausgaben für die Armee könne die Produktion kurzfristig erhöht und auch auf Dauer erweitert werden, schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung heute unter Berufung auf eine eigene Umfrage unter den großen deutschen Herstellern. Das Blatt hatte nach eigenen Angaben bei Airbus, Rheinmetall, KMW, Thyssen-Krupp Marine Systems, Hensoldt sowie Heckler & Koch angefragt.
Erwogen wird demnach die Umstellung auf Mehrschichtbetrieb ebenso wie neue Verträge mit externen Partnern. Bereit sind die Waffenschmieden, so heißt es in der FAZ zu einer engen Zusammenarbeit mit dem Verteidigungsministerium in Berlin.
"Sollte es in Zukunft noch größeren Bedarf unserer Streitkräfte und in den Armeen anderer Nato-Länder geben, sind wir in der Lage, mit geeigneten Partnern in Deutschland und Europa Kooperationen einzugehen", hieß es laut FAZ in einer Stellungnahme des Rüstungskonzerns Heckler & Koch.
Scholz hatte in seiner Rede am Sonntagvormittag als Reaktion auf den russischen Einfall in die Ukraine eine massive Aufstockung der Rüstungsausgaben angekündigt. Im aktuellen Bundeshaushalt soll zu diesem Zweck einmalig ein Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro geschaffen werden. Insgesamt will Deutschland laut Scholz nun Jahr für Jahr mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Verteidigung investieren.
Damit würde eine langjährige Forderung der USA und der Nato übererfüllt, der sich selbst die unionsgeführte Bundesregierung in den vergangenen Jahren verweigert hat.