Ruiniert das Ölembargo Russland?
Das von der EU beschlossene Öl-Embargo wird Russlands Wirtschaft treffen, aber nicht zerstören. Das liegt mehr an Umgehungsmöglichkeiten als an Ausnahmen für bestimmte Staaten
Wie hart trifft Russland das von der EU beschlossene Öl-Embargo mit Ausnahmen? In der westlichen wie in der russischen Politik und Presse sind die Meinungen hierzu uneinheitlich. CDU-Politiker Röttgen spricht am gleichen Tag im Spiegel von einem "weitgehend wirkungslosen" Embargo, während die ARD-tagesschau von möglichen russischen Einnahmeverlusten in Höhe von mehr als 120 Milliarden Euro pro Jahr berichtet. Der Wirtschaftsdienst Bloomberg spricht von jährlich 25 Milliarden US-Dollar, die russische Zeitung Kommersant von 30 bis 50 Millionen.
Bei der Welt ist wegen der Ausnahmen in Bezug auf die Druschba-Pipeline sogar von einem "Öl-Embargo light" die Rede, der russische Duma-Sprecher Wolodin forderte im Vorfeld des Embargos die EU trotzig auf, doch auch gleich auf Gaslieferungen zu verzichten – wissend, dass genau das kurzfristig nicht möglich ist.
Die vielen unterschiedlichen Bewertungen haben ihre Ursache darin, dass zahlreiche Faktoren auf die Exporteinnahmen aus dem Ölgeschäft Russlands einwirken und je nach dem eigenen Gusto und der entsprechenden Berechnung kann man sowohl die Darstellung untermauern, Russland werde durch das Embargo fast ruiniert als auch, das Embargo schade Russland nur in einem verkraftbaren Umfang.
Faktoren für ernsthaften Schaden für Russland
Der Seetransport für Öl in die EU, der innerhalb eines Jahres nach der Embargo-Entscheidung vollständig verboten sein soll, machen 75 Prozent der russischen Ölexporte nach Europa aus. Die wichtige Druschba-Pipeline ist zwar vom Embargo ausgenommen, aber von den beiden Seitenzweigen wird der nördlich in Richtung Polen und Deutschland aufgrund des Embargos nicht mehr genutzt werden, was beide Staaten schon erklärt haben. EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen spricht von einem Anteil von 90 Prozent der Moskauer Öllieferungen in Richtung EU, der unterbunden wird.
Zu beachten ist, dass für Russland insgesamt entgegen der landläufigen Meinung in Deutschland Öleinnahmen wichtiger sind als die von Erdgas. Gemäß der offiziellen Statistikbehörde Rosstat entfielen 2021 22,4 Prozent der russischen Exporteinnahmen auf Öl, 11,3 Prozent auf Gas.
Die Hälfte der russischen Ölexporte entfielen vor dem Krieg auf Europa, ein knappes Drittel auf China und ein Prozent auf Indien. Der Gesamtanteil der EU-Staaten, die sich Ausnahmen für das Embargo gesichert haben - Ungarn, Tschechien, Bulgarien und die Slowakei - am Gesamtexport nach Europa beträgt unter 8 Prozent. So bleiben über 40 Prozent Exportausfall übrig.
Neben den Öl- und Gasriesen sind im russischen Ölgeschäft auch noch zahlreiche mittelgroße Unternehmen tätig, die im Verband Assoneft zusammengeschlossen sind und zu 90 % für den Inlandsmarkt fördern. Das klingt zunächst nach einer weitgehenden Unabhängigkeit von den Turbulenzen im Welthandel.
Doch die Unternehmen zahlen Steuern für ihre Produktion nach dem Weltmarktpreis, gibt die Verbandspräsidenten Elena Korsun gegenüber der Zeitung Kommersant an und haben ihre Produktion wegen horrender Steuerforderungen des russischen Fiskus gedrosselt. Der Verkaufspreis im Inland hält mit dem Auslandspreis nicht mit und als Folge davon produzieren die Inlandsfirmen jetzt mit Minus. Auch verfügen die Firmen nicht über eigene Raffinerien und Korsun berichtet davon, dass ihr Öl durch die sinkende Nachfrage nach Ölprodukten nicht raffiniert wird.
Nicht wie üblich abgesetztes Rohöl könnten kleinere Firmen vor allem über Tanker exportieren - ein Weg, der durch Sanktionen in Zukunft versperrt sein wird. Nicht nur durch den Lieferstopp - auch ein Stopp der Versicherung russischer Tanker durch westliche Firmen ist Teil des letzten Sanktionspakets.
Dennoch ist 2022 mit einer Zunahme der Abhängigkeit Russlands von Rohstoffexporten zu rechnen, da andere Exporteinnahmen durch den starken Rückgang des allgemeinen Handels mit dem Westen im Sinken betroffen sind. Massive Einnahmeausfälle schlagen deswegen voll durch.
Faktoren gegen ernsthaften Schaden für Russland
Da das Embargo nicht sofort, sondern zeitversetzt in Kraft tritt, wird man in Russland die Folgen der neuen Sanktion erst nach und nach merken. Das gibt der russischen Regierung natürlich auch Zeit Gegenmaßnahmen zu ergreifen, um die Folgen des allmählichen Lieferstopps abzufedern.
Zugute kommt den Russen dabei der sehr hohe Ölpreis, der auch bei Ankündigung des Sanktionspakets nochmals um mehr als sieben Prozent stieg. Das Abflauen der Coronapandemie in China wird diesen Preistrend nochmals befeuern, der natürlich auch bedeutet, dass Russland für weniger Öl mehr Geld bekommt.
Moskau arbeitet natürlich daran, die nicht mehr nach Europa gelieferten Ölmengen stattdessen nach Asien zu verkaufen, wo die wichtigsten potentiellen Kunden China und Indien sind. Tatsächlich hat sich das Liefervolumen nach Indien, das bisher sehr niedrig war, seit Kriegsbeginn mehr als verdoppelt, auch bei den unabhängigen Importeueren in China gab es bereits Steigerungen der Abnahme.
Insgesamt schätzen Analysten der Fachleute von Rystad Energy gegenüber Reuters, dass Russland für etwa ein Drittel der nicht mehr nach Europa verkaufen Ölmenge einen Ersatzabnehmer in Asien finden wird. Dass es nicht mehr wird, liegt an bestehenden Lieferverträgen asiatischer Kunden mit den OPEC-Staaten im Nahen Osten, fehlender Pipelinekapazität und den Problemen, Tanker zu versichern.
Weiterhin ist noch unklar, in welcher Höhe asiatische Kunden wegen der Kenntnis, dass sie nun die einzige Exportmöglichkeit für Russland sind, Rabatte beim zusätzlichen Ölkauf aus Sibirien durchdrücken.
Der Verkauf nach Asien ist jedoch nicht die einzige Möglichkeit der russischen Seite, das nun beschlossene Embargo zu umgehen. Ein anderer ist, Rohöl an Zwischenhändler zu veräußern, die die Herkunft etwa durch Vermischung verschleiern, bevor sie es weiter verkaufen. Dass das keine Theorie ist, beweisen derartige Aktionen des britischen Ölmultis Shell, der 49 Prozent russischen und 51 Prozent anderen Diesel zu nichtsanktioniertem Kraftstoff gemischt hat. Russische Tanker arbeiten laut Bloomberg zur Sanktionsumgehung auch verstärkt damit, ihre Ortungsgeräte auf See abzuschalten.
Eine letzte mögliche abmildernde Auswirkung des Ölembargos zumindest auf den Wohlstandsverlust der Russen selbst ist bedingt durch den Inlandsmarkt für Benzin. Die Moskauer Zeitung Nesawisimaja Gaseta schreibt, es sei möglich, dass für die Russen der Benzinpreis fällt, da nicht mehr exportierbares Öl zwangsweise vor Ort in Russland angeboten wird. Der Angebotsüberhang senke also den Preis.
Eine solche Entwicklung hat auch bereits begonnen - im letzten Monat gab es an den russischen Tankstellen bereits einen leichten Preisrückgang von etwa einem Prozent, obwohl der Liter Superbenzin bereits günstiger als einen Euro ist. Gegen einen stärkeren Preisverfall spricht jedoch, dass man davon ausgehen muss, dass Ölförderer ihre Produktion drosseln. Finanzminister Silujanow geht davon aus, dass es 2022 einen Produktionsrückgang von 17 Prozent bei der Ölförderung geben wird.
Fazit
Die Möglichkeiten zur Abmilderung des Embargos werden nicht dazu führen, dass Russland die Folgen komplett kompensieren kann, auch wenn russische Propagandameldungen das unterschwellig suggerieren. Seriöse russische Presse erzeugt diesen falschen Eindruck nicht.
Es wird jedoch eine Verminderung des vom Westen gewünschten Effekts der Sanktionen geben und mit einem so hohen Einnahmeausfall, dass der Krieg in der Ukraine kurzfristig nicht mehr finanziert werden kann, ist nicht zu rechnen. Zu erwähnen ist hierbei, dass Russland aus "guten Zeiten" über beträchtliche Reserven verfügt.
Will man Russland finanziell mehr schaden, liefe das auf ein Gasembargo heraus, da hier die Umleitungsmöglichkeiten für den Produzenten geringer sind. Höher ist beim Gas jedoch der Eigenschaden der europäischen Verbraucher, da sie bei Gasimport von Russland wesentlich abhängiger sind, als beim Öl und Ersatzlieferanten kurzfristig nicht zu beschaffen sind.