Run auf Algerien-Gas in Europa?

Seite 2: Kluge Gas-Politik Italiens

Vermutlich bezieht sie sich dabei vor allem (oder vielleicht sogar nur) auf den umstrittenen EU-Außenbeauftragten Josep Borrell. Der hat bekanntlich die Doppelmoral gepachtet, tritt die Souveränität der Westsahara mit Füßen, die er in der Ukraine mit Waffengewalt verteidigen will.

Als das Gericht der Europäischen Union (EuG) in Luxemburg ein kolonialistische bilaterales Abkommen zwischen Marokko und der EU im vergangenen Herbst für nichtig erklärte, hatte der spanische Sozialdemokrat Borrell nichts Besseres zu tun, als gemeinsam mit der Besatzungsmacht Marokko anzukündigen, dass man alles tun werde, um das Urteil auszuhebeln.

Wie absurd die Behauptungen von Calviño sind, die jeder Grundlage entbehren, macht ausgerechnet der konservative italienische Regierungschef Mario Draghi vor. Der italienische Premierminister und sein Außenminister Luigi Di Maio waren schon im April zu Besuch in Algerien, um Abkommen über Gaslieferungen zu unterzeichnen.

Ausgerechnet Di Maio stellte fest, dass das Abkommen es Italien ermöglichen werde, auf eventuelle "russische Erpressungen in Bezug auf Gas" zu reagieren. Was denn nun. Ist jetzt Algerien ein Helfer Russlands oder ein Helfer gegen russische Erpressungen?

Tatsächlich hat Draghi die tollpatschige Politik Spaniens für sich genutzt, um privilegierter Partner Algeriens zu werden und seinerseits immer mehr Gas zu Vorzugspreisen über das Mittelmeer zu erhalten, statt sehr dreckiges und sehr teures US-Fracking-Gas zu ordern. Zwar kam schon zuvor fast ein Drittel des italienischen Gases aus Algerien, aber die Transmed-Pipeline war nicht ausgelastet, die Algerien über Tunesien mit Italien verbindet.

Statt bisher 21 Milliarden Kubikmeter sollen alsbald bis zu 11 Milliarden Kubikmeter zusätzliches Gas aus Algerien pro Jahr nach Italien fließen. Algerien wäre damit Hauptlieferant. Da Algerien die spanische Politik ablehnt, ist klar, dass eine EU-Einkaufsgemeinschaft nicht möglich ist, man wie oben beschrieben keinen gemeinsamen Einkauf will, da das Gas dann für Italien nämlich wieder teurer werden würde.

Italien hält angesichts von jahrzehntelangen Erfahrungen von den Aussagen wenig, die auch aus der Nato kommen, wonach Algerien ein unsicherer Lieferant sei und in einem vertraulichen Nato-Bericht sogar als "Sicherheitsrisiko für Europa" eingestuft wird.

Dabei übernimmt die Nato schlicht die absurde spanische Sicht der Dinge, statt sich an den Tatsachen zu orientieren. Italien baut derweil seine Beziehungen zu dem angeblichen Sicherheitsrisiko aus. Ende Mai wurde eine neue Vereinbarung unterzeichnet.

Der italienische Energiekonzern Eni und die algerische Ölgesellschaft Sonatrach wollen demnach die Entwicklung von Gasfeldern und grünem Wasserstoff in Algerien vorantreiben und die Gasexporte nach Italien weiter steigern.

"Das Memorandum stellt einen weiteren Schritt zur Stärkung der Zusammenarbeit zwischen Italien und Algerien im Energiebereich dar und steht im Einklang mit Enis Strategie der Diversifizierung der Energiequellen in Richtung Dekarbonisierung", schrieb Eni in einer Mitteilung.

Die erwarteten Gasfördermengen belaufen sich auf drei Milliarden Kubikmeter (bcm) pro Jahr und werden die Exportkapazität Algeriens nach Italien über die Transmed‑Pipeline erhöhen, so Eni. Ausgerechnet nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine hatten Eni und Sonatrach, schon wie zuvor angesprochen, vereinbart, die Durchflussmenge der Transmed‑Pipeline bis 2023‑24 auf 9 bis 11 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr zu erhöhen. Das Memorandum sieht auch ein Pilotprojekt für grünen Wasserstoff in Bir Rebaa Nord in der algerischen Wüste vor.

Angebote aus Algerien an Deutschland

Obwohl die Bundesregierung längst auch den spanischen Weg zur Westsahara-Frage eingeschlagen und "völkerrechtliche Prinzipen" für eine obskure Wasserstoff-Strategie verkauft, wie Telepolis mehrfach aufgezeigt hat, bietet sich Algerien auch Deutschland als Gas-Lieferant an. Das erklärte der algerischen Energieminister Mohamed Arkab im Interview mit dem Spiegel.

Er stellt aber klar, dass Deutschland auch ins Land investieren müsse: "Wenn Deutschland von uns Gas kaufen möchte, dann erschließt neue Vorkommen mit uns zusammen", erklärt er mit Blick auf Italien.

Wie die Italiener mit dem Konzern ENI. Wir haben ein ehrgeiziges Programm zum Ausbau der Produktion im Öl‑ und Gassektor bis 2026, im Umfang von 39 Milliarden US‑Dollar. Der staatliche Energiekonzern Sonatrach wird den Großteil aufbringen, für den Rest suchen wir Partner. Wir hoffen, dass die Europäer ihren Kurs nicht ändern und uns mit den Investitionen allein lassen werden. Lange hat Europa den Umweltschutz hochgehalten und nicht zwischen Öl und Gas unterschieden. Das hat dazu geführt, dass nicht investiert wurde.

Mohamed Arkab

Man habe internationale Standards für Vertragsabschlüsse, Produktionsaufteilung und Risikoverträge in neue Gesetze aufgenommen. "Früher mussten Investoren über verschiedene staatliche Stellen gehen, und es war ein bisschen undurchsichtig." Jetzt hätten sie einen klaren Ansprechpartner und vereinfachte Abläufe, verweist er auf den Deal mit ENI.

Wenn sich also das Baerbock-Außenministerium nicht ideologisch verbeißt, man Spanien zur Räson in der Westsahara-Frage ruft, dann können über die Algerier relativ schnell größere Mengen durch drei Pipelines nach Europa liefern, die bisher entweder komplett ungenutzt sind oder längst nicht an den Kapazitätsgrenzen angelangt sind.

Wenn man Spanien auch noch klarmacht, dass es endlich die MidCat-Pipeline nach Frankreich zu Ende baut, dann würde das Gas auch nach Deutschland fließen. Das Projekt wurde, ebenfalls aus politischen Gründen in Madrid gecancelt, weil man nicht in Katalonien investieren will.