"Völkerrechtliche Prinzipien werden billig für grünen Wasserstoff verkauft"

Sahrauis. Archivfoto (2005): Saharauiak/CC BY-SA 2.0

Wertegeleitete Außenpolitik? Die Bundesregierung ist auf dem Weg, die illegale Besatzung der Westsahara durch Marokko faktisch anzuerkennen. Das hat Konsequenzen für die Energieversorgung

Schon zum Jahreswechsel zeichnete sich der Kurswechsel der neuen Bundesregierung gegenüber Marokko und der besetzten Westsahara ab, wie Telepolis berichtete.

Um die diplomatischen Beziehungen zum autokratischen Königreich nach einer Verstimmung wieder auf gutes Gleis zu bringen, wurde ein "Schmusekurs" eingeschlagen. Marokko hatte den Botschafter aus Berlin zurückgezogen, da die Merkel-Regierung auf die Erpressungsversuche nicht einging und sich in der Frage der Anerkennung der marokkanischen Souveränität über die Westsahara quergestellt hatte.

Berlin hatte stets auf die Resolutionen der Vereinten Nationen (UN) verwiesen und sich besorgt über die Menschenrechtslage in den besetzten Gebieten gezeigt. Dann kam der Regierungswechsel.

Dass das Baerbock-Ministerium auf Schmusekurs zu Marokko geht, ist kein Zufall. Der neue Kurs zeigt sich derweil immer deutlicher - etwa in Antworten auf eine kleine Anfrage der Abgeordneten Sevim Dagdelen und der Fraktion Die Linke, die Telepolis vorliegt. Die beschäftigt sich mit der illegalen Okkupation der Westsahara durch Marokko im Jahr 1975 auch unter dem Gesichtspunkt der Ressourcen- und Energiefrage.

Aus den Antworten kann geschlossen werden, dass sich auch Berlin auf eine faktische Anerkennung der Souveränität Marokkos über die Westsahara zubewegt und das Selbstbestimmungsrecht der Sahrauis gegenüber wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen zu opfern bereit ist.

Die "letzte Kolonie Afrikas" und die europäische Energieversorgung

Schon der ehemalige US-Präsident Donald Trump hatte kurz vor seinem unrühmlichen Abgang gegen alle Resolutionen der Vereinten Nationen (UN) und auch des Sicherheitsrats noch schnell die Souveränität Marokkos über die Westsahara anerkannt. Er hatte damit den Krieg weiter angefacht, der nach fast 30 Jahren marokkanischer Provokationen wieder aufgeflammt war.

Die Sozialdemokraten (PSOE) in Spanien zogen kürzlich nach und haben damit Probleme der Gasversorgung Europas weiter zugespitzt. Längst fließt weniger Gas aus Algerien nach Spanien. Zuletzt hatte die Schutzmacht der Sahrauis damit gedroht, Spanien ganz den Gashahn abzudrehen, da das Land eine Pipeline nutzen will, um seinerseits den Widersacher Marokko zu beliefern.

Die UN sieht eine Entkolonisierung der Region vor, die als "letzte Kolonie Afrikas" gilt, doch seit dem Waffenstillstandsabkommen im Jahr 1991 zwischen Marokko und der Befreiungsfront "Frente Polisario" ist es der internationalen Gemeinschaft und der UN-Mission zur Beobachtung eines Referendums über die Unabhängigkeit (Minurso) nicht gelungen, das Referendum auch umzusetzen.

Von Marokko wurde das Referendum stets systematisch hintertrieben. Und so war zum Jahreswechsel auffällig, dass auch das Baerbock-Außenministerium plötzlich in den Basisinformationen zu Marokko erklärt hatte, dass dessen "Autonomie-Plan" einen "wichtigen Beitrag" darstelle. Gegenüber Telepolis hatte das Ministerium bestätigt, dass der Plan "einen wichtigen Beitrag leisten kann, um einer Lösung näherzukommen".

Der Autonomie-Plan und das Problem "Selbstbestimmung"

In den Antworten auf die kleine Anfrage ist von "kann" nun keine Rede mehr. Es wird noch positiver vom "Autonomie-Plan" als einem wichtigen Beitrag" gesprochen, "um in der Westsaharafrage voranzukommen". Natürlich wird auch hier wieder die Floskel angehängt: "Deutschland unterstützt die Suche nach einer gerechten, dauerhaften und für alle Seiten akzeptablen politischen Lösung im Rahmen der Vereinten Nationen", wenngleich längst ein ganz anderer Kurs eingeschlagen wurde.

Den Plan hatte Marokko im Jahr 2007 vorgelegt. Aber ein Referendum über die Unabhängigkeit ist darin nicht mehr vorgesehen: Die Ausübung des Selbstbestimmungsrecht der Sahrauis soll damit ausgehebelt werden. Dabei hat auch Marokko den UN-Sozialpakt ratifiziert. Der definiert das Selbstbestimmungsrecht als ein Grundrecht. Gleich in Artikel 1 heißt es:

Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung. Kraft dieses Rechts entscheiden sie frei über ihren politischen Status und gestalten in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung.

UN-Sozialpakt

Für Marokko ist Papier geduldig und ebenso für die Bundesregierung. Denn während Berlin sich in immer klarerer Sprache auf den Autonomie-Plan bezieht, geht die deutsche Regierung stiefmütterlich damit um, dass die Polisario auf dem Selbstbestimmungsrecht und dem Unabhängigkeitsreferendum besteht.

Dass die Polisario 2007 erneut das Referendum auf die Tagesordnung setzte, wird von der Bundesregierung in den Antworten kaum noch gewürdigt. Die antwortet lapidar nur: "Der Inhalt des durch Polisario unterbreiteten Vorschlags ist unter https://digitallibrary.un.org/record/597426 öffentlich einsehbar."

Der Vorschlag sei vom Sicherheitsrat "zur Kenntnis" genommen worden. Der Nachfrage, ob die Bundesregierung auch im Vorschlag der Polisario einen "wichtigen Beitrag" sieht, wird ausgewichen: "Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat den von Polisario im Jahr 2007 eingebrachten Vorschlag zur Kenntnis genommen."

Sie drückt sich auch um eine Antwort darauf, ob "Marokko den unter seiner Kontrolle stehenden Teil der Westsahara annektiert und besetzt hat". Lapidar wird erklärt: "Der endgültige völkerrechtliche Status der Westsahara ist ungeklärt."

Ausgewichen wird dabei, dass völkerrechtlich längst geklärt ist, dass es sich bei der Westsahara um eine illegale Okkupation durch Marokko und einen Verstoß gegen das Gewaltverbot handelt.

So ist dann auch kein Wunder mehr, dass auf die Frage danach, ob die illegale Besatzung von maßgeblicher Relevanz für die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Marokko ist, faktisch mit Nein geantwortet wird: "Es liegt aus Sicht der Bundesregierung im beiderseitigen Interesse, die historisch engen und guten bilateralen Beziehungen weiter zu beleben und zu vertiefen."

Menschenrechtsbasierte Außenpolitik?

Damit ist der Gegensatz zur Ukraine-Politik mehr als deutlich. Dort wird die Verteidigung des Selbstbestimmungsrecht sogar mit Waffenlieferungen von der Bundesregierung unterstützt und von menschenrechtsbasierten Außenpolitik gesprochen. Sevim Dagdelen, Obfrau für "Die Linke" im Auswärtigen Ausschuss erklärt deshalb gegenüber Telepolis:

Die faktische Ignoranz der Bundesregierung gegenüber der fortwährenden Besatzung der Westsahara durch Marokko spricht der selbsterklärten menschenrechtsbasierten Außenpolitik Hohn.

Tatsächlich leiste die Ampel-Regierung dem Völkerrecht wahrlich einen Bärendienst, "wenn sie die Besatzungsmacht Marokko mit Wirtschaftsabkommen und einer Privilegierten Partnerschaft zum Schaden der Sahrauis hofieren und damit die Blockade des lange vereinbarten UN-Referendums über die Zukunft der Westsahara honorieren".