Baerbock-Außenministerium knickt vor Marokko-Erpressung ein
Auch um den Vorposten zur Flüchtlingsabwehr zu erhalten, schwenkt das Auswärtige Amt auf die "Trump-Linie light" ein und propagiert Autonomie statt Selbstbestimmung für die Westsahara
Das autokratische Königreich Marokko fährt seit langen Jahren einen Erpressungskurs gegenüber seinen Nachbarn und der gesamten EU, wie vor Jahren das Beispiel Schweden zeigte. Statt die Erpresser in die Schranken zu weisen, werden sie belohnt.
Es gibt deshalb für Marokko keinen Grund, diese Politik aufzugeben. Das konnte zuletzt deutlich beobachtet werden, als König Mohammed die Grenze in die spanische Exklave Ceuta im vergangenen Mai öffnete und Tausende Marokkaner - vor allem Jugendliche - nach Spanien und damit in die EU gegangen sind.
Wie der türkische Autokrat Erdogan setzt Mohammed seit Jahren Flüchtlinge und Einwanderer als Druckmittel ein, um seine Ziele durchzusetzen. In Streitfällen fährt er immer wieder Kontrollen im Land herunter, was postwendend zur verstärkten Einwanderung in die EU führt. Mit der Grenzöffnung wurde eine neue Qualität dieser Politik erreicht.
Vordergründiges Ziel dieser Erpressung war Spanien. Im Nebeneffekt zielte Rabat aber auch auf Deutschland. Spanien war offensichtlich, da die Grenzen zum Land aus Rache dafür geöffnet wurden, weil der Präsident der Demokratischen Arabischen Republik Sahara (DARS) wegen einer schweren Covid-Infektion in Spanien behandelt wurde.
Brahim Ghali, Chef der Befreiungsfront "Polisario", die für die Unabhängigkeit der von Marokko völkerrechtswidrig besetzten Westsahara kämpft, wurde dann aus Spanien nach dem Vorgang in Ceuta dann schnell ausgeflogen. Die sozialdemokratische Regierung setzte sogar ihre Außenministerin ab, da Arancha González Laya offensichtlich nicht bereit war, der marokkanischen Erpressung nachzugeben.
Die marokkanische Politik richtete sich vor allem aber auch gegen Deutschland, denn zur Bundesrepublik hatte das autokratische Königreich schon vor knapp einem Jahr diplomatische Beziehungen weitgehend abgebrochen. Zum Entsetzen Marokkos war die Merkel-Regierung nicht auf die Linie des ehemaligen US-Präsidenten Trump eingeschwenkt.
Denn der hatte kurz vor seinem unrühmlichen Abgang gegen alle UN-Resolutionen noch schnell die Souveränität Marokkos über die Westsahara anerkannt und hatte damit den wieder aufgeflammten Krieg weiter angefacht. Merkel wollte nicht mitgehen. Die alte Bundesregierung hatte auf Basis der UN-Resolutionen auf einen "gerechten, praktikablen, dauerhaften und für alle Seiten akzeptablen Lösung des Konflikts" unter "Achtung des Humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte" gepocht.
Telepolis hatte berichtet, dass sich im vergangenen März die Wut von Mohammed noch gesteigert hatte, als die Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken-Abgeordnete Sevim Dagdelen ihre Besorgnis darüber zum Ausdruck gebracht hatte, dass Berichte über "administrative Benachteiligung bis hin zu strafrechtlicher Verfolgung von Personen" zur Kenntnis genommen worden seien, die sich "gegen den marokkanischen Souveränitätsanspruch" auf die Westsahara aussprechen. So wurde die harte Repression gegen Sahrauris in den besetzten Gebieten diplomatisch verklärt kritisiert.
Deutsche Position zum Konflikt in der Westsahara "aktualisiert"
Nun kritisiert die Obfrau der Linksfraktion im Auswärtigen Ausschuss, Dagdelen, dass ein von den Grünen geführtes Außenministerium von der bisherigen Linie abweicht. Denn, so hatten regierungsnahe marokkanische Medien mit großer Freude berichtet, das Auswärtige Amt (AA) hat nun seine Position zu Marokko insbesondere zum Konflikt in der Westsahara "aktualisiert", wie die Maghreb-Post zu den Veränderungen bemerkt hat, die am 13. Januar mit den Basisinformationen zu Marokko auf den Webseiten des AA veröffentlicht wurden.
Verwiesen wird im Artikel auch auf die bisher "belasteten Beziehungen" und dass sich in der Frage, dass der Posten des Botschafters in Rabat seit fast einem Jahr verwaist ist, eine Lösung abzeichnet.
Die neue Außenministerin Annalena Baerbock versuche nun, die "Beziehungen zu Marokko neu zu interpretieren". Denn in den neuen Basisinformationen des AA wird ausgeführt, dass das autokratische Königreich angeblich "in der letzten Dekade umfangreiche Reformen" umgesetzt habe. Das nordafrikanische Land sei "sowohl politisch als auch kulturell und wirtschaftlich ein wichtiges Bindeglied zwischen Nord und Süd".
Das Land ist ein zentraler Partner der Europäischen Union und Deutschlands in Nordafrika.
Auswärtiges Amt
Gegenüber Telepolis erklärte die Obfrau der Linksfraktion im Auswärtigen Ausschuss empört: "Baerbocks Außenministerium kehrt jedwede Kritik am völkerrechtswidrigen Besatzungsregime Marokkos unter den Teppich." Der neue Kurs des AA gegenüber Marokko sei "nichts als Trump-light und nutzt einzig den Profiten der Konzerne in Marokko, in der EU und Deutschlands".
Dagdelen sieht einen klaren Schwenk und die Außenexpertin befürchtet, dass "die Grünen-Außenministerin für Naturressourcen wie Fischbestände, landwirtschaftliche Produkte und nun auch grünen Wasserstoff völkerrechtliche Prinzipien und die Rechte der Sahrauis auf Selbstbestimmung verkauft".
Diese Interpretation drängt sich auf, schaut man sich an, dass auch die Bundesregierung gegen die Ohrfeige aus Luxemburg rechtlich vorgehen will und sich damit der Position des umstrittenen ehemaligen spanischen Außenministers Josep Borrell anschließt, der zwischenzeitlich in einem hoch umstrittenen Vorgang zum EU-Außenbeauftragten wurde.
Als das Gericht der Europäischen Union (EuG) die EU für ein illegales bilaterales Abkommen mit Marokko abstrafte und der Polisario Recht gab, da das Abkommen auch die völkerrechtswidrig besetzte Westsahara einschloss, forderte Borrell keineswegs von Marokko, die Besatzung endlich aufzugeben.
Borrell hatte vielmehr nichts anderes zu tun, als gemeinsam mit dem marokkanische Außenminister Nasser Bourita vor die Presse zu treten, um – sinngemäß – zu erklären, dass man schon irgendwie Möglichkeiten finde, um das Urteil zu umgehen oder auszuhebeln. Man wolle sicherstellen, dass das rechtliche Rahmenwerk erhalten bleibe, das die Stabilität und Fortdauer der Handelsbeziehungen garantiere, erklärte Borrell.
Wir sind weiterhin voll und ganz bereit, die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und dem Königreich Marokko in einem Klima der Gelassenheit und des Engagements fortzusetzen.
Josep Borrell
In diesem Sinne stimmt es auch, wenn das Außenministerium auf Telepolis-Anfrage erklärt:
Unsere Haltung stand und steht im Einklang mit der Position der Europäischen Union und den Vereinten Nationen. Auswärtiges Amt
Dass die neue Politik des AA im Einklang mit der UN steht, ist allerdings zu bezweifeln. Zwar verweist das AA auch weiterhin auf die Resolution 2602 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen (UN), doch auch in dieser letzten Resolution wird von keinem Autonomieplan gesprochen, sondern weiterhin in der "Selbstbestimmung des Volkes von Westsahara" die Grundlage für eine "annehmbare politische Lösung" gesehen.
Schließlich geht es um die Entkolonisierung der letzten Kolonie Afrikas. Es ist deshalb auch die UN-Mission (Minurso), die das Referendum über die Unabhängigkeit der Westsahara überwachen soll, das die Grundlage für eine Waffenruhe 1991 zwischen der Westsahara-Befreiungsfront "Polisario" und Marokko war.
Obwohl Telepolis auf diesen Widerspruch ausdrücklich hingewiesen hat, will man in Berlin keinen politischen Schwenk sehen. Man erklärt widersprüchlich: "Deutschland unterstützt weiterhin die Suche nach einer gerechten, dauerhaften und für alle Seiten akzeptablen politischen Lösung, wie es das Mandat der Vereinten Nationen vorsieht." Doch dass wird sofort wieder relativiert, wenn angefügt wird:
"Der von Marokko 2007 vorgeschlagene Autonomieplan kann einen wichtigen Beitrag leisten, um einer Lösung näherzukommen."
Die Obfrau der Linksfraktion im Auswärtigen Ausschuss erklärt dazu: "Der von Marokko 2007 vorgeschlagene Plan für die Westsahara, der ausschließlich eine Autonomie innerhalb Marokkos zulässt, ist kein Beitrag im Sinne der UN-Entschließungen zur Beendigung der illegalen Okkupation der Westsahara."
Schaut man sich die Entwicklung des einseitig von Marokko eingebrachten Autonomieplans an, kann man wahrlich nicht erkennen, wie der zu einer Lösung des Konflikts beigetragen hätte. Vielmehr hat er bisher das Gegenteil bewirkt.
Dass ihm nicht klar widersprochen wurde, bestärkte Marokko im Kurs, das im Waffenstillstandsabkommen vereinbarte Referendum weiter zu verhindern. Provokationen, wie auch Militäreinsätze gegen protestierende Zivilisten in der entmilitarisierten Zone, führten schließlich im Herbst 2020 zur Aufkündigung der Waffenruhe durch die Polisario.
Marokko provoziert auch Algerien
Der Krieg droht längst auch zu einem regionalen Konflikt zu werden, denn Marokko provoziert auch Algerien immer stärker, auf dessen Gebiet auch Flüchtlingslager der Sahrauis liegen. Es benennt das Land als "wahre Konfliktpartei".
Der marokkanische Außenminister meint, dass Algerien "das täglich beweist". Statt zu verhandeln, wurden auch zwischen diesen beiden Ländern in Nordafrika die diplomatischen Beziehungen wegen des Westsahara-Konflikts abgebrochen. Kürzlich stellte Algerien dann Gaslieferung an Marokko ein. Das war allerdings kein Willkürakt, sondern ein Vertrag war nach 25 Jahren ausgelaufen und angesichts des Konflikts nicht verlängert worden ist.
Durch diese Pipeline fließt seither auch kein Gas mehr nach Spanien und Portugal, womit die Energieknappheit in Europa verschärft wurde, was die Preise weiter nach oben treibt.
Im Außenministerium in Berlin ist man trotz (oder wegen) der Erpressung offensichtlich bemüht, die diplomatischen Beziehungen zu Marokko schnellstmöglich wieder zu normalisieren, die Anerkennung des Autonomieplans will Baerbock dazu offensichtlich als Türöffner nutzen. Letztlich ist auch darin ein Kotau vor Interessen der USA und Frankreich zu sehen. Mit beiden Ländern hat Marokko schon Verträge über die Untersuchung und Verwertung von Ölvorkommen in der Westsahara unterzeichnet.
So teilte das AA auf Telepolis-Anfrage auch mit, es läge "im Interesse Deutschlands wie Marokkos, die bis vor Kurzem sehr breiten und guten diplomatischen Beziehungen fortzuführen." Das AA begrüßt daher auch, dass es jetzt Schritte zu einer Beendigung der diplomatischen Krise gibt.
Aus unserer Sicht können gegenseitige Erwartungen am besten im Dialog geklärt werden und der würde durch eine schnelle Erteilung eines Agréments für den designierten deutschen Botschafter intensiviert werden.
Auswärtiges Amt
Die Außenexpertin der Linken Dagdelen kritisiert diese Politik allerdings gegenüber Telepolis scharf:
Statt das Königreich in Rabat zum Schaden der Sahrauis zu hofieren und König Mohammed VI. in Berlin demnächst auch ein Staatsbankett auszurichten, ist die Ampel-Regierung aufgerufen, sich bilateral wie auf EU-Ebene aktiv dafür einzusetzen, dass Marokko nicht länger das UN-Referendum über die Zukunft der Westsahara blockiert, dass auch die Möglichkeit der Selbstbestimmung der Sahrauis vorsieht.
Sevim Dagdelen