Spanien entlässt berühmten Patienten, um diplomatische Krise zu entschärfen
Nach einer Vernehmung in Logroño wurde Polisario-Chef Brahim Ghali nach Algerien ausgeflogen. Seine Covid-19-Behandlung in Spanien hatte das Königreich Marokko erzürnt
Im Krankenwagen wurde der Generalsekretär der Westsahara-Befreiungsfront Polisario, Brahim Ghali, am Dienstag aus einem Krankenhaus im spanischen Logroño zum Flughafen in Pamplona gebracht. Am frühen Mittwochmorgen wurde Ghali nach Algerien ausgeflogen.
Spanien will so die diplomatische Krise mit Marokko entschärfen, die zusehends für Spannungen gesorgt hatte. Das autoritäre Königreich hatte Spanien gedroht, weil der 71-jährige Polisario-Chef und Präsident der Demokratischen Arabischen Republik Sahara (DARS) wegen einer Covid-19-Erkrankung sechs Wochen in Spanien behandelt worden war.
Der spanische Verkehrsminister José Luis Ábalos, enger Vertrauter von Regierungschef Pedro Sánchez, hatte am Dienstagabend Ghalis Abreise angekündigt. Die "humanitäre Aktion ist nicht mehr nötig", sagte er vor Fernsehkameras. Ábalos verwies auch darauf, dass Ghali zuvor per Videokonferenz vom Ermittlungsrichter Santiago Pedraz vernommen worden war. Der Ermittlungsrichter am Nationalen Gerichtshof in Madrid wollte den Polisario-Chef aber weder inhaftieren, noch ihm den Pass entziehen. Die Ankläger hätten "nicht einmal Indizien geliefert", die auf Delikte hinweisen, hieß es.
Angezeigt worden war Ghali wegen des Vorwurfs der Folter beziehungsweise "Verbrechen gegen die Menschlichkeit". Schon in einem vorherigen Beschluss hatte Pedraz festgestellt, dass eine Inhaftierung völlig überzogen sei und derzeit nur die Anschuldigungen gegen ihn untersucht würden. Unter anderem hatte der "Polisario-Dissident" Fabel Breica erklärt, 2019 von Polisario-Mitgliedern bedroht und gefoltert worden zu sein - mit dem Ziel, ihn dazu zu bringen, eines der Wüstenlager zu verlassen. Die Verteidigung sprach dagegen von "politischen" Anschuldigungen, um Ghali und die Polisario zu diskreditieren.
Die Zuspitzung des Konflikts im vergangenen Herbst
Anders als im Fall Ghali hat der Madrider Gerichtshof schon Verantwortliche aus Marokko wegen Völkermordes in der Westsahara angeklagt und internationale Haftbefehle gegen sie ausgestellt. Aus offizieller marokkanischer Sicht ist die demokratisch-sozialistische Polisario eine Terrororganisation. Ghali war nach ihrer Gründung 1973 bis 1974 der erste Generalsekretär und führt sie seit 2016 erneut an. Der Konflikt mit Marokko, das große Teile der Westsahara völkerrechtswidrig besetzt hält, wurde im vergangenen Herbst massiv zugespitzt. Marokko habe "die Schlacht begonnen und den Krieg entfacht", hatte Ghali im November 2020 angesichts einer Militäroperation Marokkos in der entmilitarisierten Zone gesagt. Seine Organisation hatte daraufhin den bewaffneten Kampf wieder aufgenommen.
Fast 30 Jahre lang hatten die Saharauis zuvor in den besetzten Gebieten und den Flüchtlingslagern in der Wüste auf die Umsetzung des Waffenstillstandsabkommens von 1991 gewartet. Marokko hintertrieb das vereinbarte Unabhängigkeitsreferendum unter UNO-Aufsicht ständig, mit dem der letzte Kolonialkonflikt in Afrika beigelegt werden sollte.
Nachdem der damalige US-Präsident Donald Trump entgegen den UNO-Resolutionen die Souveränität Marokkos über die rohstoffreiche Westsahara im Herbst 2020 anerkannt hatte, spürt Marokko Rückenwind und will andere Länder zur Anerkennung bringen. Es benutzt dabei auch seinen Grenzverkehr als Druckmittel. Kürzlich erst öffnete es seine Grenze zur spanischen Exklave Ceuta. Mehr als 8.000 Menschen - zumeist Marokkaner - begaben sich daraufhin nach Ceuta. Es war offensichtlich ein Entgegenkommen Spaniens, plötzlich Ermittlungen gegen Ghali wiederaufzunehmen. Man gab der Erpressung nach und Marokko schloss die Grenze in Ceuta wieder.
Grenzverkehr als Druckmittel
Die Frage ist, wie Marokko nun darauf reagiert, dass aus seinen Träumen nichts wird, Ghalis habhaft zu werden. Bisher gibt es keine offizielle Reaktion aus Rabat. Es ist aber nicht auszuschließen, dass es erneut zu einer Grenzöffnung kommt. Wie auch die Neue Zürcher Zeitung kürzlich schrieb, nutzt der autokratische König Mohammed VI. Migranten und Flüchtlinge gerne "als Waffe", wenn er sich, wie im Jahr 2014, "nicht respektvoll behandelt fühlt".
Es bleibt abzuwarten, ob er erneut die Grenze zu einer der Exklaven öffnet oder wegschaut, wenn Auswanderer aus Marokko oder Flüchtlinge aus Afrika in größerer Zahl mit Booten die Meerenge bei Gibraltar überwinden wollen. Dass Spanien sich nun nicht am US-geführten Militärmanöver "African Lion 2021" beteiligt, dürfte Mohammed nicht gefallen. Offiziell gibt Madrid Budgetprobleme an. Real, so meint auch die regierungsnahe spanische Tageszeitung El País, solle die "Besetzung der Westsahara nicht legitimiert" werden. Die USA haben derweil dementiert, dass sich das Manöver auch auf die besetzte Westsahara erstreckt, was Marokko zuvor behauptet hatte.
Teilnehmen werden am bisher größten US-Manöver in Marokko, Tunesien und dem Senegal Soldaten aus den USA, Marokko, Senegal, Tunesien, Großbritannien, Brasilien, Kanada und den Niederlanden.
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