Russische Studenten in Deutschland – ein "Fehler"?

Blick auf auf das Hauptgebäude der Humboldt-Universität Berlin. Foto: Christian Wolf (www.c-w-design.de) / CC-BY-SA-3.0-DE

Angebot nur aus Versehen: Wie die pauschale Blockade von Austauschprogrammen mit Russland begründet wird – und warum sie dem Kreml hilft.

Die Hochschule Offenburg hatte bis zum russischen Einmarsch in die Ukraine ein Partnerinstitut in Nordrussland. Wie die Süddeutsche Zeitung berichtet, wurde kürzlich aus Versehen vier Studenten von dort ein Austauschangebot gemacht, obwohl das entsprechende Programm mit dem Kriegsbeginn auf Eis gelegt worden war. Als der "Fehler" bemerkt wurde, zog man das Angebot zurück, die vier russischen Studenten dürfen nicht nach Offenburg kommen.

Deutscher Austauschstopp zu Kriegsbeginn

Unmittelbar nach Kriegsbeginn stoppte der Deutsche Akademische Auslandsdienst (DAAD) die Förderung jedes Studienaustauschs, die deutsch-russischen Hochschulpartnerschaften wurden eingefroren, das heißt auf unbestimmte Zeit abgebrochen. Beim DAAD hieß es damals dazu:

Wir wissen, dass dieser Schritt auch Ungerechtigkeiten schafft und zahlreiche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Studierende trifft, die sich für friedliche und rechtsstaatliche Verhältnisse sowie gutnachbarschaftliche Beziehungen einsetzen.

Uns ist bewusst, dass viele unserer russischen Freundinnen und Freunde und unsere russischen Partnerinstitutionen den Feldzug gegen die Ukraine aus tiefstem Herzen ablehnen. Gleichzeitig halten wir es angesichts des Kriegs für unumgänglich, die Förderung von Austauschbeziehungen mit Russland kritisch zu überdenken.


Stellungnahme des DAAD vom 25. Februar 2022

Das Überdenken hat inzwischen zu einem Stopp des studentischen Austauschs geführt. Nicht ohne Mitwirkung des DAAD, der nur zwei Monate später von den deutschen Hochschulen "erwartete", ihre Programme auszusetzen. Diese Erwartung erfüllten die deutschen Hochschulen.

Auch der allgemeine Jugendaustausch funktioniert nur noch eingeschränkt, wie die Stiftung Deutsch-Russischer Jugendaustausch feststellt. Dabei liegt der DAAD durchaus richtig mit der Einschätzung, dass gerade im studentischen und wissenschaftlichen Bereich in Russland die Ablehnung des Ukraine-Feldzugs von Kriegsbeginn an sehr ausgeprägt war – bis zu bekannten Mitgliedern der renommierten Russischen Akademie der Wissenschaften.

Russische Akademiker und junge Menschen sind kritischer – mit Grund

Dass gerade unter wissenschaftlichen Akademikern und in der russischen Jugend die Ablehnung der zunehmend aggressiven Außenpolitik des Kreml groß ist, kommt nicht von ungefähr. Russische Akademiker, junge Erwachsene und Jugendliche kennen das Ausland, auch den Westen, überdurchschnittlich oft aus eigener Anschauung.

Wer von den Jüngeren solche Angebote nicht wahrnehmen kann, ist dennoch online geprägt von einer noch internationalen Netzkultur. Reaktionäre Parolen von einer in sich gekehrten, in die Vergangenheit orientierten und abgeschlossenen "Russischen Welt" verfangen dadurch seltener. Bis heute positioniert sich die Altersgruppe der 18- bis 25-Jährigen in Umfragen in Russland regelmäßig am kritischsten.

Dem Kreml ist das durchaus ein Dorn im Auge. Mehrere unliebsame Führungspersonen der Russischen Akademie der Wissenschaften wurde ausgetauscht, Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene werden in Schulen und an Universitäten mit ideologischem Unterricht beschallt. Das russische Internet ist zunehmend Beschränkungen unterworfen, die vor allem Wege ins Ausland betreffen.

Ein mögliches Gegengewicht könnte darin bestehen, es den jungen Russinnen und Russen weiter zu ermöglichen, sich das "unfreundliche Ausland" selbst anzuschauen. Dort festzustellen, wie Einstellungen und Menschen wirklich sind, weit weg von den Stereotypen regierungsnaher russische Medien. Diese generelle Aufgabe jedes Austauschs wäre gerade in einer Zeit wachsender Feindseligkeiten sehr wichtig.

Es würde von weltoffenen jungen Russen angenommen werden, die die einzig mögliche Basis für ein "anderes Russland" in der Zukunft wären. Eines, das mit der EU eben nicht nur feindselig und von Waffen strotzend koexistieren würde. Wer in Russland die Ideologie von der "Russischen Welt" bereits verinnerlicht hat, ist kaum am Austausch mit westlichen Ländern interessiert.

Unfreiwillige Hilfe für den Kreml

Die unbefristete Aussetzung jedes Austauschs auch von deutscher Seite schneidet diese jungen Russen von Europa seit nun eineinhalb Jahren ab, schließt sie aus und isoliert sie im eigenen Land in einem feindseligen und national aufgeladenen Klima. Dieses wird in ihrer Enttäuschung, ja Desillusionierung auf sie abfärben.

Damit wird auch dem Kreml dabei geholfen, im in Richtung Westen isolierten Land bei den kritischen Bevölkerungsgruppen die Oberhoheit zu stärken. Zusätzlich unterstützt die Eiszeit, ebenso wie pauschale Reisebeschränkungen und Zollschikanen die Propaganda der russischen Regierung, dass sich westliche Sanktionen und Boykotte nicht gegen die Politik, sondern aufgrund einer pauschalen Russenfeindlichkeit gegen das Volk wenden.

So liegt der wahre "Fehler" beim fehlenden Austausch nicht darin, dass die Blockade für vier Studenten aus Nordrussland beinahe versehentlich durchbrochen worden wäre. Sondern in der Blockade an sich.