Russischer Drang zu weltpolitischer Größe? Oder Russland als Failing State?
Seite 2: In der Bundesrepublik: Ein unfertiges Russlandbild
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Die Russlandpolitik der Bundesrepublik bewegt sich seit dem Ukraine-Konflikt auf Bahnen, die sie nicht selbst gewählt hat, die im Wesentlichen durch US-amerikanische geopolitische Konzepte bestimmt sind. Die so entstehenden politischen und wirtschaftlichen Nachteile und Risiken sind massiv. Eben dies hat deutsche "Altpolitiker" ganz unterschiedlicher Herkunft dazu bewogen, öffentlich Verständnis für russische Interessen einzufordern. Die derzeit in Berlin Regierenden jedoch haben höchstens in der Tonart ihrer öffentlichen Auftritte einen gewissen Spielraum, sich anders als Washington darzustellen.
In den deutschen Leitmedien wird die unangenehme Realität des Verzichtes auf eine halbwegs selbständige deutsche Russlandpolitik verdeckt durch ein propagandistisches Dauerfeuer auf den "Brandstifter Putin" als den angeblich einzig Schuldigen an der Misere, und feuilletonistisch dient dem die Identifizierung einer "russischen Seele" im Hintergrund, der es ein für allemal an jeder Bereitschaft fehle, abendländische oder transatlantische Weltanschauungen anzuerkennen.
Ein westlicher Feldzug gegen russische Staatlichkeit findet statt, deutlich wahrnehmbar seit Beginn des Jahres 2014, nicht als umfassende militärische Operation, sondern in einer Mischform von wirtschaftlicher Kriegsführung, stellvertretenden Kämpfen in der Ukraine, strategischem Vorrücken der NATO und aufwändigen propagandistischen Anstrengungen. Die regierende russische Politik, autoritär und alles andere als dem Pazifismus zugeneigt, hat sich ihrerseits auf diese Art der geopolitischen Auseinandersetzung eingelassen, sie agiert in denselben Denkmustern, wenn auch aus einer defensiven weltpolitischen Position heraus. Und ideologisch wird Zuflucht gesucht in russischen nationalen Traditionen - Ende offen.
Die deutsche Regierungspolitik hat sich dem westlichen Russlandfeldzug eingeordnet, keineswegs antreibend, eher bedenkenträgerisch. Draufgängertum äußert sich in der Publizistik der Bundesrepublik, in den etablierten Medien. Misstrauen gegenüber dem Feldzug gen Osten besteht jedoch in weiten Teilen der deutschen Bevölkerung. Das Feindbild "Der aggressive Russe" oder das vom teuflischen Kremlherrn hat 2014 keine Dominanz im Alltagsbewusstsein der Deutschen.
An den Konsequenzen der jetzt herrschenden westlichen Russlandpolitik ändert das nichts. Aber die deutsche Suche nach der "russischen Seele" und ihren politischen Auswirkungen wird anhalten, strittig in ihren Wahrnehmungen, mit Differenzen zwischen den Sichtweisen von "oben" und von "unten", jeweils mit Rückgriffen auf historische Erfahrungen.
Teil 2: Vom Ersten Weltkrieg über den "Kampf gegen Versailles" bis 1933