Russischer Links-Aktivist mit großen Plänen

Seite 2: Udalzow, der Taktiker

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Der 40-jährige Udalzow hat einen langen politischen Weg hinter sich. 1998 leitete er die stalinistische "Avantgarde Roter Jugend". 2005 beteiligte er sich an der Gründung der Linken Front, einem Sammelbecken von Linken außerhalb der KPRF. Im gleichen Jahr kandidierte Udalzow in Moskau für die KPRF. 2006 arbeitet Udalzow kurze Zeit mit dem vom Schachweltmeister Garri Kasparow gegründeten Anti-Putin-Bündnis "Anderes Russland" zusammen.

Während der Protestbewegung gegen Wahlfälschungen 2011/12, an der sich neben Linken auch Liberale und Nationalisten beteiligten, wurde Udalzow dann durch seine scharfen Reden und einige spektakuläre Straßenaktionen zum Russland-weit bekannten Politiker. Bereits in einem Telepolis-Interview von 2012 ("Der Putin-Clan schöpft die ganze Sahne ab") sah sich Udalzow als Vereiniger der linken Kräfte und gleichzeitig als Taktierer, der Bündnisse von Linken, Liberalen und Nationalisten schmiedet. Diese Taktik will der Aktivist beibehalten, wie er am Donnerstag erklärte.

Udalzow spricht von Provokateuren in den eigenen Reihen

Doch ob es weiter Bündnisse mit Liberalen und Nationalisten gibt, ist gar nicht sicher, denn Udalzow gibt sich jetzt selbstbewusster. Er will sich nicht mehr von anderen für Kämpfe hinter den Kulissen missbrauchen lassen, wie er auf der Pressekonferenz am Donnerstag erklärte.

Das erste Mal kritisierte er auch öffentlich einige seine Mitstreiter aus der Zeit der Protestbewegung. Diese hätten sich bei der Demonstration am 6. Mai 2012 "provokatorisch" verhalten. Der nach Kiew emigrierte Linksfront-Politiker Ilja Ponomarjow habe am 6. Mai 2012 dazu aufgerufen, die Reihen der Polizei zu durchbrechen. "Ich fand das merkwürdig. Warum hat er das gemacht?", fragte Udalzow .

Der Blogger Aleksej Nawalny habe vorgeschlagen, sich vor dem Kino Udarnik hinzusetzen. Er - Udalzow - habe es nicht geschafft Nawalny von diesem Vorschlag, "der nur zu Repression führen würde", abzubringen. "War das Kurzsichtigkeit oder eine Provokation? Ich weiß es nicht", sagte der Aktivist. Ein Molotow-Cocktail sei von einem Unbekannten geworfen worden. Das sei sicher auch "eine Provokation" gewesen. Vieles müsse noch aufgeklärt werden.

Auf die öffentliche Kritik von Udalzow reagierte der Blogger Aleksej Navalny umgehend. Navalny riet Udalzow in einem Video-Stream (ab Minute 19:03), bei der "Wahl seiner Kuratoren" vorsichtig zu sein. Diese Bemerkung zielte auf Violetta Wolkowa, die Rechtsanwältin von Udalzow. Die Anwältin hatte schon vor der Freilassung von Udalzow in einer Fernseh-Talkshow erklärt (ab Minute 2:29) , ihr Mandant sitze deshalb in Haft, weil Mitstreiter wie Navalny sich "provokatorisch verhalten hätten".

Auf Nachfragen von Journalisten erklärte Udalzow auf der Pressekonferenz, er habe keine Kritik an der Vereinigung der Krim mit Russland und an der Unterstützung der selbsternannten Volksrepubliken im Donbass durch Russland. Man müsse nicht gegen die Vereinigung der Krim mit Russland sein, "nur weil Putin dafür ist". Die Menschen auf der Krim hätten für die Vereinigung gestimmt.

Trotz langer Haft mit Humor

Seinen Humor hatte der Links-Aktivist trotz langer Haft im Arbeitslager 400 Kilometer südöstlich von Moskau im Gebiet nicht verloren. Die Luft im Gebiet Tambow sei sehr gut, sagte der frisch aus der Haft Entlassene. Als er nach Moskau gekommen sei, habe er "sofort etwas im Hals gespürt".

Natürlich seien vier Jahre Haft "vier verlorene Jahre", sagte der Aktivist. Aber immerhin habe er im Lager gelernt, Arbeitskleidung zu nähen und in der Lagerbibliothek habe er viele gute Bücher gefunden, auch linke Literatur. Er habe viel gelesen und sogar einen Diskussionskreis über linke Literatur aufgebaut. Um sich fit zu halten, habe er viel Sport getrieben.

Irgendwelche Folter und andere Qualen habe er im Gefängnis nicht erlebt. Die Situation in russischen Gefängnissen habe sich etwas verbessert. Von den Mitgefangenen sei er "insgesamt gut" behandelt worden. "Wer für seine Überzeugungen einsitzt, wird dort geachtet", sagt der Links-Aktivist. Auch die Gefängnisverwaltung habe sich korrekt verhalten. Aber vor allem zu Beginn der Haftzeit sei er sehr streng kontrolliert worden.

"Ein Gefängnis mit null Sternen"

Zugang zum Internet gab es am Anfang der Haftzeit überhaupt nicht, später manchmal über andere Mitgefangene. Offiziell sei Internet und Telefonieren verboten gewesen.

Wir befanden uns im Gefängnis mit Null Sternen. Man hat uns dreimal am Tag zu Essen gegeben und nicht geschlagen.

Sergej Udalzow

Derartige humoristische Bemerkungen streute Udalzow immer wieder ein, so als wollte er sagen, meine Lebenslust habe ich trotz Gefängnis nicht verloren.