Russisches Erdöl: Warum Orbáns Heuchelei-Vorwurf gegen Polen die ganze EU trifft
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- Die EU weiter als viertgrößter Abnehmer
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Ungarn und Polen im Streit wegen importiertem Öl aus Russland. Die Frage ist: Ist Polen wirklich "sauber"? Und was ist mit der EU? Ein Überblick.
Am Wochenende kam es zu einem diplomatischen Streit zwischen Polen und Ungarn. Warschau kritisierte Budapest wegen dessen Haltung zu Russland. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán attackierte daraufhin Polen.
Die Polen verfolgen die scheinheiligste und heuchlerischste Politik in ganz Europa. Sie belehren uns moralisch, kritisieren uns für unsere wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland, und gleichzeitig machen sie Geschäfte mit den Russen und kaufen indirekt Öl und betreiben damit die polnische Wirtschaft.
Polen importierte weiter Öl
Der polnische Außenminister Władysław Teofil Bartoszewski wies den Vorwurf zurück:
Wir machen keine Geschäfte mit Russland, im Gegensatz zu Premierminister Orbán, der sich am Rande der internationalen Gesellschaft befindet – sowohl in der Europäischen Union als auch in der Nato.
Es stimmt sicherlich, dass Polen sich Schritt für Schritt unabhängig von russischen Ölimporten gemacht hat. Im Jahr 2022 importierte Polen 11,5 Millionen Tonnen russisches Rohöl (Export Blend Crude Oil).
Das waren etwa 3,5 Millionen Tonnen weniger als im Vorjahr. Der Anteil des russischen Rohöls an der Versorgung betrug im Jahr 2022 42 Prozent gegenüber 61 Prozent 2021. Die Raffinerien im Land bezogen trotzdem wie zuvor hauptsächlich Öl aus Russland.
Die Geschäfte mit dem russischen Öl
Doch davon will man wegkommen. Die Regierung in Warschau erklärte im selben Jahr, dass man sich bemühen werde, die Ölimporte aus Russland im nächsten Jahr gänzlich einzustellen. Letzte Lieferverträge mit Russland sind zum Jahreswechsel 2023/2024 ausgelaufen. Und die polnische Regierung hat nicht vor, neue Verträge zu unterzeichnen.
Trotzdem: Anfang 2023 deckte Polen weiter rund zehn Prozent des eigenen Ölbedarfs durch Importe aus Russland, anders als versprochen. Im ganzen Jahr waren es laut Statistica insgesamt noch über eine Million Tonnen Öl, die aus Russland stammten.
Auch wenn direkte Ölimporte aus Russland nach Polen nun vollständig auslaufen bzw. ausgelaufen sind, gibt es bis heute eine Verbindung Polens zu russischem Öl und möglicherweise indirekte Einfuhren.
So meldete Reuters Ende letzten Jahres, dass Tschechien seine Importe von russischem Öl erhöht hat. Der Anteil an den Gesamteinfuhren stieg auf 65 Prozent im ersten Halbjahr 2023 (2022: 56 Prozent; 2021 49 Prozent). Der einzige Raffineriebetreiber in Tschechien ist Orlen Unipetrol, ein Unternehmen, das zum polnischen Ölkonzern Orlen gehört, woran der polnische Staat als Hauptaktionär 49,9 Prozent der Anteile hält.
Polen macht also weiter Geschäfte mit russischem Öl.
Die Saudi-Connection
Es gibt noch eine weitere Verbindung Polens zu russischem Öl. Im Rahmen der Diversifikationsstrategie von Orlen, um russische Importe zu ersetzen, griff man auf Saudi-Arabien zurück.
Der wichtigste Partner des Unternehmens ist nun Saudi Aramco, der größte Ölproduzent der Welt. Mit dem saudischen Staatskonzern unterzeichnete man ein Abkommen, das unter anderem die polnische Ölversorgung für rund 45 Prozent der Gesamtnachfrage aller Raffinerien gewährleistet.
Gleichzeitig steigerte Saudi-Arabien seine Importe an verbilligtem russischem Schweröl – im Juni 2023 sogar auf eine Rekordmenge um das fast Zehnfache im Vergleich zum Vorjahr. Dieses russische Öl kann nun benutzt werden, damit Saudi-Arabien seine eigenen Fördermengen an Rohöl für die Stromerzeugung in Kraftwerken einsparen und derart die eigenen Rohölbestände trotz der Produktionskürzungen der OPEC+, um die Preise hochzuhalten, gewinnbringend exportieren kann.
Analysten haben darauf hingewiesen, dass die Golf-Monarchie durch die russischen Ölimporte den Anreiz erhalten hat, den Export der eigenen Rohöl-Bestände zu steigern, wovon Polen letztlich profitiert.
Ohne russisches Flüssiggas läuft der Verkehr nicht
Ferner ist Polen weiterhin ein großer, wenn nicht der größte Abnehmer von Flüssiggas (LPG) aus Russland in die EU. Im Jahr 2022 gab man 710 Millionen Euro für russisches Flüssiggas aus, das sind fast zwei Drittel der 1,1 Milliarden Euro, die die EU-Länder insgesamt aufwendeten.
Der Anteil des russischen Flüssiggases an den Gesamtlieferungen nach Polen lag früher bei etwa 75 Prozent und befindet sich, trotz aller Versuche, sich unabhängig zu machen, immer noch (Stand 2023) bei 49 Prozent. Flüssiggas, das nicht unter die EU-Sanktionen fällt, wird in Polen vor allem für den Antrieb von Autos verwendet.