Russland-Sanktionen rücken auf den Prüfstand

Seite 2: Trotz erneuter Verlängerung der Sanktionen bröckelt die Unterstützung

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Klar ist, dass die Vorstöße keine Auswirkungen auf den Sanktionsbeschluss hatten. Denn die Strafmaßnahmen gegen Russland sind erneut um ein halbes Jahr bis Ende Januar 2017 verlängert worden. Man zeigte in Europa in der Frage sogar weiter Einigkeit, die aber war nur noch vordergründig. Die Verlängerung sei nach einer erneuten Bewertung der Umsetzung der Minsker Vereinbarungen für einen Frieden in der Ukraine erfolgt, wurde der Schritt begründet. In einer Twitter-Mitteilung auf Russisch hieß es ausdrücklich, die Sanktionen blieben in Kraft, weil "die Minsker Abkommen nicht vollständig umgesetzt" seien. Ob diese Position aber noch lange aufrechterhalten werden kann, darf stark bezweifelt werden.

Nicht nur Steinmeier spricht sich für eine Veränderung der Positionen aus. Sein französischer Amtskollege schlug zum Beispiel schon vor, Russland als "Zeichen der Ermutigung" eine schrittweise Lockerung der Sanktionen in Aussicht zu stellen, wenn es zu Fortschritten bei der Umsetzung der Minsker Vereinbarungen komme. Auch Italien, Griechenland, Zypern und Ungarn haben zudem längst dafür geworben, die kostspielige Sanktionspolitik zu überdenken. Zuletzt wurden auch Stimmen in Tschechien lauter. Angesichts eines Besuchs der Bundeskanzlerin Angela Merkel kritisierte Präsident Miloš Zeman gerade, dass die Strafmaßnahmen den tschechischen Landwirten schadeten: "Wenn die Politiker unserer Landwirtschaft schon helfen möchten, dann halte ich für notwendig, dass sich die Tschechische Republik den Ländern anschließt, die für eine Aufhebung der Sanktionen sind."

Da nach dem Putsch in der Türkei nun Russland versucht, sein Einflussgebiet auf die Türkei auszudehnen und auch an dieser Stelle einen Spaltungskeil in die Nato treiben will (Konfrontation Nato und Russland in Incirlik), wird gerade auch Steinmeier wieder verstärkt aktiv. Er versucht auf der einen Seite ein Abgleiten der Türkei zu verhindern, setzt aber gleichzeitig weiter auf einen Annäherungskurs zu Russland. In seiner Rede zur Eröffnung der Botschafterkonferenz 2016 sagte er am Montag:

Es ist kein Geheimnis, dass die Türkei kein einfacher Partner ist, dass wir manche Entwicklungen, auch nach dem glücklicherweise gescheiterten Putsch, kritisch bewerten. Aber wahr ist auch, dass eine menschenwürdige Sicherung der EU-Außengrenzen ohne eine enge Zusammenarbeit mit der Türkei schwer vorstellbar ist. Das deutsch-türkische Verhältnis hat eine einzigartige Dimension durch Millionen Menschen türkischer Herkunft, die heute in Deutschland ihre Heimat haben. Aber es ist in unserem eigenen Interesse, dieses Verhältnis auch in Zukunft in eine starke EU-Türkei-Beziehung einzubetten.

Frank-Walter Steinmeier

Um den Spagat zu Russland hinzubekommen, sprach er auch den Konflikt in der Ostukraine an, wo "die vereinbarte Waffenruhe" sehr brüchig sei "und so viele Menschen wie seit vielen Monaten nicht mehr" sterben würden. Diesen Konflikt reihte er in eine "Gleichzeitigkeit der Krisen" mit einer "explosiven Dynamik" ein, die "uns atemlos und bisweilen fast ratlos macht - Syrien, Libyen, Irak, Jemen, Ukraine, um nur die drängendsten zu nennen".

Weil Russland in fast allen Konflikten eine eigene Rolle spielt, erklärte er: "Wir können uns ein unübersehbar schwieriger gewordenes Russland nicht einfach weiter weg wünschen." Man müsse "vielmehr einen Weg finden, um aus einer Phase der Konfrontation und der wachsenden Spannungen wieder zu einem belastbaren Verständnis gemeinsamer Sicherheit zu gelangen." Denn aus der Geschichte sei bekannt, dass sich die "eigene Sicherheit auf Dauer nicht ohne oder gegen die regionalen Nachbarn organisieren lässt. In dieser Welt "gefährlicher und komplexer Konfliktlagen", sei diese Erfahrung heute aktueller denn je. Und um jeden Zweifel zu zerstreuen, sprach er sich eindeutig für eine "Deeskalations- und Vermittlungsbemühungen in der Ostukraine und gegenüber Russland" aus. Und wie ist das mit Sanktionen zu vereinbaren, die sich gleichzeitig auch dem eigenen Land und dem eigenen Wirtschaftsraum schaden? Interessant ist, dass er das Wort Sanktionen in seiner Rede nicht in den Mund genommen hat. Nach seiner Vorarbeit war praktisch für alle Zuhörer klar, dass sie integraler Bestandteil seiner Vorstöße sind. Auch im Sinne der Wirtschaftsförderung will sich der Sozialdemokrat offensichtlich schrittweise wie sein sozialistischer Kollege in Frankreich von Strafmaßnahmen verabschieden. Wie in der Frage des Freihandelsabkommens TTIP werden Handlungs- und Argumentationsparallelen deutlicher, da nun französische und deutsche Sozialdemokraten im Einklang die Verhandlungen mit den USA als gescheitert einstufen.

Steinmeiers Botschaft zu den Sanktionen kam jedenfalls bei Merkel an. Denn die Bundeskanzlerin erklärte am Dienstag auf einer CDU-Wahlveranstaltung in Schwerin plötzlich mit Blick auf das Minsker Abkommen: "In dem Moment, wo wir Fortschritte bei Minsk haben, werden wir die Sanktionen lockern." Auch sie habe "das allergrößte Interesse, dass wir mit den Sanktionen aufhören können", denn dies sei sowohl in russischem als auch deutschem Interesse. Damit rückt auch Merkel deutlich von der Doktrin ab, dass die Vereinbarungen zunächst "vollständig" umgesetzt werden müssten.

Rüstungskontrolle zur Vermeidung der Eskalationsspirale

In Russland werden jedenfalls die Bemühungen des deutschen Außenministers zur Kenntnis genommen. Das gilt auch für dessen neuesten Vorstoß zur Rüstungskontrolle, mit dem er einen neuen Rüstungswettlauf abwenden will. In einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) beklagte er gerade, dass zwar ein "über Jahrzehnte mühsam aufgebautes Vertrauen" angesichts des russischen Vorgehens dahin sei, doch zugleich müsse das "Interesse einen, jede weitere Drehung der Eskalationsspirale zu vermeiden".

Er geht damit auf einen russischen Vorschlag ein und wolle das Land beim Wort nehmen. Ein Neustart der Rüstungskontrolle sei ein "bewährtes Mittel für Transparenz, Risikovermeidung und Vertrauensbildung", schreibt er. Es könne ein konkretes Kooperationsangebot für alle sein, die "für Europas Sicherheit Verantwortung tragen wollen". Und letztlich zielt auch dieser Vorstoß auf die Ostukraine ab. Nach Ansicht von Steinmeier müsse die Kontrolle eine echte Verifikation erlauben, und auch in Gebieten möglich sein, deren territorialer Status umstritten ist.

Die Reaktionen aus Russland darauf sind unterschiedlich. Der Direktor des Zentrums für Waffenhandelsanalysen und Mitglied des Gesellschaftsrates beim Verteidigungsministerium meint, Moskau solle die Initiativen des Bundesaußenminister gründlich prüfen und sich vergewissern, dass die Sicherheit und das Kräftegleichgewicht garantiert werde: "Russland wäre zu einem solchen Abkommen bereit", sagte Igor Korotschenko. Gleichberechtigung sei allerdings eine Bedingung. Sicherheit müsse für alle gleich sein und auch die Nato-Truppen müssten reduziert werden, "die derzeit vier Mal so groß wie die russischen Streitkräfte sind".

Ablehnend reagierte dagegen Wladimir Komojedow. Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses in der Staatsduma zeigt sich zwar gesprächsbereit, sprach sich aber gegen "Kontrolle" aus. Er zweifelt daran, dass sich die Gegenseite an Absprachen halten wird. Er erinnerte an die Zeit, als die sowjetischen Truppen aus Europa abgezogen wurden. Damals sei versprochen worden, dass es keine Nato-Osterweiterung geben werde. "Wurde dieses Versprechen aber gehalten?" Jetzt bekäme man erneut "verschiedene Märchen" erzählt, "um uns auf die Knie zu zwingen und zu kontrollieren", fügte er an. "Wir werden unsere Streitkräfte so entwickeln, wie es für den Schutz unserer Interessen bzw. der Interessen unserer Verbündeten und Partner in jeder Region der Welt nötig ist."