Russland: Zwischen Westen und Osten

Schwierige Zeiten für die Beziehungen zwischen Europa und Russland. Die Haltung der Russen hat sich geändert. Wird Russland die europäische Familie verlassen?

Die Beziehungen zwischen Russland und Europa durchlaufen derzeit schwierige Zeiten. Der Krieg in der Ukraine hat die politischen und wirtschaftlichen Bindungen gekappt. Zar Peter der Große machte Russland zu einem europäischen Land. Im Volksmund heißt es, er habe "den Russen ein Fenster nach Europa geöffnet". Heute scherzen viele, dass Wladimir Putin "dieses Fenster geschlossen hat". Für immer?

In den vergangenen Jahrhunderten hat sich das zaristische bzw. sowjetische Russland bei seinen internen Reformen stets von den europäischen Erfahrungen leiten lassen. Ziel dieser Reformen war die Angleichung an den europäischen Lebensstandard anhand verschiedener Indikatoren.

Um Erfahrungen auszutauschen, gingen die Kinder der russischen Aristokratie zum Studium nach Europa. Am Hof des russischen Zaren gab es immer hochrangige europäische Berater und Beamte, meistens Deutsche. Die russische Führung begrüßte selbst zu Sowjetzeiten die Investitionen aus dem Westen. Das Gleiche konnten wir vor dem Krieg in der Ukraine im modernen Russland beobachten.

Wladimir Putin betrachtete Russland zu Beginn seiner Regierungszeit ebenfalls als Teil des politischen und wirtschaftlichen Raums Europas, wie er in seiner Rede im Bundestag am 1. Oktober 2001 öffentlich in deutscher Sprache erklärte:

Was die europäische Integration betrifft, so unterstützen wir nicht einfach nur diese Prozesse, sondern sehen sie mit Hoffnung. Wir tun das als ein Volk, das gute Lehren aus dem Kalten Krieg und aus der verderblichen Okkupationsideologie gezogen hat.

Darüber hinaus hat Wladimir Putin erklärt, dass Russland ein vollwertiges Mitglied der Nato werden könnte.

Die USA werden für alles verantwortlich gemacht

Im Februar 2007 erfuhr die ganze Welt, dass sich die Pläne der russischen Führung geändert hatten. Auf einer Sicherheitskonferenz in München erklärte Putin, Russland betrachte die Nato-Osterweiterung als Bedrohung für seine Sicherheit und akzeptiere die Durchsetzung eines unipolaren Weltmodells unter Führung der USA nicht.

Handelte es sich um eine politische Manipulation von Fakten, um für Russland einen besseren und respektierteren Platz auf der internationalen Bühne zu erreichen? Oder glaubte Putin wirklich, dass die USA versuchen, Russland ihre eigenen Spielregeln aufzuzwingen? Wir wissen es nicht.

Aber am 21. Februar 2022, einige Tage vor dem Krieg, erklärte er erneut, dass alle Versuche, freundschaftliche nachbarschaftliche Beziehungen zu Europa und den USA aufzubauen, vom Letzteren blockiert wurden, weil "sie ein so großes unabhängiges Land wie Russland nicht brauchen."

Der Fokus in der modernen russischen Politik auf eine US-amerikanische Einmischung in die Angelegenheiten anderer Länder ist ein Erbe aus der Sowjetzeit. Die Misserfolge der Wirtschaftspolitik konnten immer auf die Machenschaften des Feindes geschoben werden, den die sowjetische Propaganda in den USA sah.

Die derzeitige Führungsspitze Russlands war in der Kommunistischen Partei oder diente beim KGB. Um eine politische Karriere zu machen, haben sie sich natürlich öffentlich zu den Werten des Kommunismus bekannt und den Aussagen der sowjetischen Propaganda zugestimmt, weil sie von der Partei und den Geheimdiensten geformt wurden. Dies konnte ihre Weltanschauung nicht unberührt lassen.

Während der Perestroika gelang es Michail Gorbatschow, das Vertrauen der sowjetischen Bürger in Europa und vor allem in die USA zurückzugewinnen. Doch der Zusammenbruch der UdSSR und die anschließende schwierige wirtschaftliche Lage in Russland ließen Kräfte entstehen, die eine Revanche für die Niederlage im Kalten Krieg forderten.

Es ist wichtig zu erwähnen, dass die Russen trotz ihrer antiamerikanischen Einstellung nicht Ressentiments gegen Europa empfinden. Denis Volkov, Direktor des unabhängigen soziologischen Dienstes Levada, führt das im Gespräch mit dem Autor auf die Tatsache zurück, dass die Russen die Politik der europäischen Länder gegenüber Russland nicht als unabhängig betrachten:

Für die Mehrheit der Bürger scheint Europa abhängig und nicht unabhängig zu sein. Es ist abhängig von den USA. Auf die Frage "Nennen Sie das wichtigste Nato-Land" nannten die Befragten die USA. Auf die Frage "Welches ist das wichtigste Land, das die Politik der Europäischen Union bestimmt?" lautete die häufigste Antwort gleichwohl die USA, dann Deutschland und Frankreich.