Russland – ein imperialistisches Land?

Welche Rolle spielt Russland im Ringen um eine Weltordnung, die nicht länger vom Westen bestimmt ist? Symbolbild: Oleg Shakurov auf Pixabay (Public Domain)

Je nach Analyse hängt es maßgeblich vom Kapitalexport ab, ob ein kapitalistisches Land schon ins imperialistische Stadium eingetreten ist. Doch so einfach ist es nicht. Ein Kommentar

Der Krieg in der Ukraine war gerade einen Tag alt, da wusste die Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ), der Jugendverband der DKP, bereits über seine Ursachen Bescheid. In einer Erklärung vom 25. Februar 2022 heißt es:

Dabei steht außer Frage, dass Russland ein imperialistisches Land ist. (…) Die kapitalistischen Großmächte kämpfen wirtschaftlich, diplomatisch, politisch und eben auch militärisch um Einflussgebiete, Zugang zu Rohstoffen und Absatzmärkten. Die kapitalistische Konkurrenz findet ihre logische Fortsetzung im imperialistischen Krieg.

Der Krieg ist die Fortsetzung der kapitalistischen Politik mit anderen, eben militärischen, Mitteln. Die Nato ist das aktuell aggressivste Bündnis imperialistischer Staaten, allen voran den USA und u.a. Deutschland in Europa. Seit über 30 Jahren betreiben (sie) dabei eine besonders aggressive Expansionspolitik, auch in Richtung Osteuropa.

SDAJ-Erklärung vom 25. Februar 2022

Die Nato ist demnach nur „das aktuell aggressivste Bündnis imperialistischer Staaten“ in einem Konflikt zwischen imperialistischen Mächten. So ähnlich sieht es auch die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) sowie die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD).

Für beide Parteien gilt zudem, dass auch die Volksrepublik China ein kapitalistischer und imperialistischer Staat ist. Die MLPD hat für Russland und China dafür den Begriff „neuimperialistiche Staaten“ erfunden.

Konkurrenz imperialistischer Staaten?

Auch Loren Ballhorn, Chefredakteur des Onlinemagazins Jacobin, ein Organ, das der Linkspartei nahesteht, sieht als Ursache des Krieges die Konkurrenz imperialistischer Staaten:

"Die Aussage, dass die Welt vom US-Imperialismus dominiert wird, bedeutete nie 'Amerika schlecht, Russland und China gut'. Seit seinen Ursprüngen im klassischen Marxismus des frühen 20. Jahrhunderts hat der Begriff des Imperialismus stets bezeichnet, wie die größten und mächtigsten kapitalistischen Staaten mit allen Mitteln versuchen, ihren Einfluss auf externe Märkte und natürliche Ressourcen zu sichern, was oft in Krieg und Kolonisierung mündet.

Es lässt sich darüber streiten, ob Russland – ein Land mit 144 Millionen Einwohnern, aber einem BIP ähnlich dem von Spanien – wirklich als einer der mächtigsten kapitalistischen Staaten angesehen werden kann. Aber Putins Bestreben, die russische Hegemonie über sein nahes Ausland wiederherzustellen, weist wenn auch nicht klassisch imperialistische, so doch in jedem Fall imperiale Züge auf.

Das ändert nichts an der Tatsache, dass die USA mit ihren fast 750 Militärbasen in achtzig Ländern die bei Weitem führende imperialistische Supermacht sind und dies auch in den kommenden Jahren bleiben werden, selbst wenn China, Indien und in gewissem Maße auch Russland allmählich zu eigenständigen (sub-)imperialistischen Mächten aufsteigen."

Loren Ballhorn, Chefredakteur des Onlinemagazins Jacobin

Auch der frühere Bundestagsabgeordnete der Partei Die Linke, Paul Schäfer, spricht in einem Beitrag auf dem online-Portal Links bewegt vom „imperialistischen Charakter des Putin-Regimes“.

Die Debatte darüber wird auch in der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) geführt. Deren Wochenzeitung Unsere Zeit (UZ) veröffentlichte hierzu in Auszügen ein Referat des Parteivorsitzenden Patrik Köbele. Darin heißt es:

"Es besteht unter uns Einigkeit, dass die Russische Föderation ein kapitalistisches Land ist. (…) Diskussionen gibt es unter uns, ob sich die Russische Föderation bereits im imperialistischen Stadium der Entwicklung des Kapitalismus befindet.

Ihr wisst, dass Lenin fünf Merkmale für die Charakterisierung des Imperialismus benennt, von denen drei sich auf die Entwicklung der nationalen Ökonomie und zwei auf die Entwicklung internationaler Verhältnisse beziehen.

Wenn wir die ersten drei Merkmale auf Russland anwenden, dann ist das erste – 'Konzentration der Produktion und des Kapitals und Bildung von Monopolen, von denen jeweils einige wenige ganze Industriezweige beherrschen' – in Russland sicherlich gegeben. Es spricht viel dafür, dass das zweite – 'die Verschmelzung der Monopole in der Industrie und im Bankwesen zum Finanzkapital' – ebenfalls gegeben ist. (…)

Das dritte Charakteristikum, dass 'der Kapitalexport gegenüber dem Warenexport vorrangige Bedeutung gewinnt', scheint mir in Russland nicht erfüllt zu sein. Die Kapitalabflüsse aus Russland gehen zu großen Teilen in Steuerparadiese wie Zypern, die Schweiz oder Luxemburg.

Diese dienen nicht dazu, sich direkt in andere Kapitalien einzukaufen, wie es aus meiner Sicht beim von Lenin genannten Kapitalexport gemeint ist. Eines von drei Kriterien ist meines Erachtens nicht erfüllt. Ich neige deshalb zur Position, dass es sich bei Russland um ein kapitalistisches Land handelt, welches das imperialistische Stadium noch nicht erreicht hat.“

Patrik Köbele, Vorsitzender der DKP

Geht man also von den Prämissen Köbeles aus, so hängt die Bewertung Russlands als imperialistisches Land allein davon ab, wie man den Kapitalexport des Landes einschätzt. Zielt er auf den Erwerb ausländischer Unternehmen, so würde die Bewertung in Richtung Imperialismus kippen.

Dann wäre Russland Teil jener „Räuberbande“, wie Lenin die um die Beute sich raufenden imperialistischen Mächte des ersten Weltkrieges bezeichnet hatte. Tatsächlich haben russische Unternehmen zahlreiche Betriebe im Ausland aufgekauft, so etwa Gazprom Energieunternehmen in Deutschland. Ist also deshalb Russland ein imperialistisches Land? Und überhaupt: Ab welcher Summe getätigter Auslandsinvestitionen ist ein Land imperialistisch?

Um die Verwirrung noch zu steigern, fügte Köbele seinen zitierten Ausführungen folgende Bemerkung an:

„Aber: Diese Frage (ob Russland imperialistisch ist oder nicht, A.W.) ist nicht entscheidend, wenn es um die Beurteilung des jetzigen Krieges geht. Warum nicht? Seit Ende des Ersten Weltkriegs wissen wir, dass imperialistische Nationen abgehängt oder durch andere imperialistische Nationen unterdrückt werden können.“

Demnach ist Russland also sehr wohl ein imperialistisches Land, aber eben nur „abgehängt“ oder „durch andere imperialistische Nationen unterdrückt“.

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