Russland und die Ukraine: Über Selbstbestimmung und Annexion

Seite 2: Mit Prinzipien aus dem römischen Recht gebrochen

Dieser Position liegt ein altes Prinzip der territorialen Besitzstandsgarantie und Souveränität aus dem römischen Recht2 zugrunde. Als die spanischen Kolonien in Südamerika schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ihre Unabhängigkeit erkämpft hatten, spielte das Prinzip eine Rolle, um Grenzauseinandersetzungen friedlich zu regeln. Ethnische Interessen und das Selbstbestimmungsrecht mussten hinter dem Ziel, Grenzstreitigkeiten nicht in Gewalt ausarten zu lassen und den Zerfall von Staaten zu verhindern, zurücktreten.

Auch die OAU nahm den territorialen Status quo, wie er durch die Kolonialmächte vorgegeben war, in Kauf, um voraussehbare gewaltsame Auseinandersetzungen zu verhindern. Das Uti-possidetis-Prinzip erwuchs zu einer allgemeinen Regel, die durch die Garantie der territorialen Unversehrtheit in Art. 2 Z. 4 UN-Charta völkerrechtliche Verbindlichkeit erhielt.

Kurz gesagt, schob sich das Prinzip der territorialen Integrität und Souveränität vor das Recht auf Selbstbestimmung und begrenzte es auf Formen der Autonomie und Selbstverwaltung in den staatlichen Grenzen unter Ausschluss der einseitigen Sezession.

Die Auflösung der Sowjetunion in neue, unabhängige Staaten etwa folgte diesem Prinzip der Grenzwahrung. Nur in Situationen, in denen die Rechte eines Volkes dauerhaft und schwerwiegend verletzt werden und ein Autonomiestatus verweigert wird, einem Volk der Verbleib im Staat also nicht mehr zumutbar ist, wird allgemein anerkannt, dass das Selbstbestimmungsrecht auch als Recht auf Sezession wieder auflebt.

Die Unabhängigkeitserklärungen der Oblaste sowie deren Anerkennung durch die russische Regierung und die anschließenden Referenden waren auf jeden Fall verfassungswidrig. Sie widersprachen der territorialen Integrität, die in Artikel 17 der ukrainischen Verfassung von 1996 kodifiziert ist. Daran ändert auch nichts die Tatsache, dass der Donbass faktisch im Krieg mit Kiew lag.

Schon vier Jahre zuvor hatte Russland, gemeinsam mit den USA, Großbritannien und anderen Staaten, der Ukraine im sogenannten Budapester Memorandum von 1994 die Achtung ihrer Souveränität und Garantie ihrer territorialen Integrität sowie politischen und wirtschaftlichen Unabhängigkeit zugesichert. Dies war die Gegenleistung für den Verzicht der Ukraine auf Nuklearwaffen.

Zudem enthält die ukrainische Verfassung keine Ermächtigung für ein Referendum mit derart umfassenden und für das Territorium der Ukraine einschneidenden Folgen, lediglich regionale Fragen können gem. Art. 138 Gegenstand eines Referendums sein.

Russland selbst hat 1995 die Unabhängigkeitserklärung Tschetscheniens und das entsprechende Referendum als ungültig zurückgewiesen und war mit Waffengewalt gegen die Separatisten vorgegangen. Auch die Unabhängigkeitsbestrebungen der Katalanen von Spanien scheitern immer wieder an den juristischen Hürden. Wie bekannt, hat das Verfassungsgericht in Madrid das für den 9. November 2014 geplante Referendum in Katalonien für eine Trennung von Spanien und die Bildung eines unabhängigen Staates wegen Verletzung der spanischen Verfassung zurückgewiesen.3

Die Entscheidung hat sich u.a. auf den Grundsatz gestützt, dass eine Sezession nur dann anerkannt werden kann, wenn ihr die Entscheidung des ganzen Volkes und nicht nur des sezessionswilligen Teiles zugrunde liegt. Beispiele dafür sind die Auflösung der Tschechoslowakei 1992/93 und die Trennung Süd-Sudans vom Sudan 2011.

Die Frage allerdings, ob eine verfassungswidrige Sezessionserklärung auch völkerrechtswidrig ist, wird mitunter verneint. Das stärkste Argument, auf das sich seinerzeit das Krim-Parlament in seiner Entscheidung vom 11. März 2014 und auch Präsident Putin gestützt haben, ist die Berufung auf das Gutachten des Internationalen Gerichtshofes (IGH) in Den Haag, welches er zur einseitigen Unabhängigkeitserklärung des Kosovo erstellt hat.4

Er kam zu der Schlussfolgerung, dass "die Annahme der Unabhängigkeitserklärung vom 17. Februar 2008 allgemeines Internationales Recht nicht verletzt hat, weil das Internationale Recht kein 'Verbot einer Unabhängigkeitserklärung' enthält". Das Gutachten erhielt vier Gegenstimmen und ist nicht bindend und nach wie vor umstritten.

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