Russland will seinen Kampf gegen den Terrorismus im Stil von Bush ausweiten

Putin und Bush: Brüder im Geiste des Antiterrorkrieges

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Putin und Bush - von Scharon nicht zu sprechen - konnten ihre Macht dank des von ihnen ausgerufenen Kampfs gegen den Terrorismus ausbauen. Man könnte gar böswillig von einer Achse der Terrorgewinnler sprechen. Während Bush 2000 nur knapp und durch Gerichtsentscheid zum Präsident der USA wurde und seine Macht erst mit den Terroranschlägen und dem anschließenden Krieg gegen den Terrorismus sichern und ausbauen konnte, kam Putin 1999 nach bislang ungeklärten Anschlägen auf Wohnhäuser und mit dem zweiten "Antiterror"-Krieg gegen Tschetschenien an die Macht. Wer von beiden welche Strategie kopiert, ist kaum zu entscheiden, rhetorisch und praktisch hat die russische Regierung nach der Geiselnahme in Moskau jedenfalls die von Bush vorgegebene und - wie die Wahlen gezeigt haben - offenbar erfolgversprechende Marschrichtung eingeschlagen. Jetzt will Russland auch im Stil der USA im Ausland gegen Terroristen und Staaten vorgehen, die Terroristen beherbergen.

Doch die Präsidenten der einst sich im Kalten Krieg bekämpfenden Imperien haben noch mehr gemeinsam als nur den Kampf gegen den Terrorismus und den Glauben an militärische Lösungen. Die Feinde - oder die Bösen - beider Präsidenten sind muslimische Terroristen, die noch dazu in engen Verbindungen untereinander stehen. Schließlich hat die Sowjetunion mit der Besetzung Afghanistans und dem langen blutigen Krieg der Dschihad-Mentalität, den muslimischen Extremisten, den Taliban und auch Usamas al-Qaida mit zur Entstehung und Ausbreitung verholfen. Der amerikanischen Politik hingegen waren die fundamentalistischen Mudschaheddin-Kämpfer bis hin zu den Taliban und al-Qaida ganz recht, solange sie gegen die Sowjetunion, das damalige Reich des Bösen, kämpften. Die Politik der USA im Nahen Osten, die Verbindung mit autoritären Staaten wie dem Irak oder Saudi-Arabien, die Stationierung von Truppen und der Golfkrieg haben das Ressentiment gegen die USA mit gefördert. Nach der "Befreiung" Afghanistans von den Russen hatte sich der Dschihad, also das Gemenge von Autonomieanspruch und kulturell-religiöser Befreiung, auch in die sowjetischen Regionen verlagert, in denen Muslims lebten.

Die russische Geburtshilfe für die Entstehung des tschetschenischen Dschihad

Tschetschenien, das Russland nach dem Zerfall der Sowjetunion nicht in die Autonomie entlassen wollte, unter anderem weil das Land den Zugang zum Erdöl am Kaspischen Meer ermöglicht, war als Land des Widerstands gegen Moskau schon seit Jahrhunderten prädestiniert. Erst im 19. Jahrhundert von Russland in einem jahrzehntelangen Krieg erobert und unterworfen, blieb die Opposition auch unter dem Sowjetregime weiter bestehen. Stalin ließ dann 1944 die Tschetschenen und andere kaukasische Völker nach Sibirien deportieren. Erst in den 50er Jahren durften sie wieder zurückkehren. Den Zerfall der Sowjetunion wollten auch die Tschetschenen ausnutzen und so erklärte 1990 die Tschetscheno-Inguschische Autonome Sozialistische Sowjetrepublik (ASSR) den Austritt aus der UdSSR. 1991 übernahm der Volkskongress der Tschetschenen unter dem ehemaligen sowjetischen General Dudajew die Macht, der auch bei den Präsidentschaftswahlen gewann.

Boris Jelzin begann seinen Konfrontationskurs, verhängte unter anderem eine Wirtschaftsblockade, während sich innenpolitische Konflikte in Tschetschenien zuspitzten und Moskau die Opposition unterstützte, die großteils aus der ehemaligen Nomenklatur erwachsen ist. Mit russischer militärischer Unterstützung wurde schließlich 1994 noch der letzte vergeblich Putschversuch ausgeführt, bis dann 1994 Tschetschenien vom russischen Militär besetzt und im folgenden Krieg weitläufig zerstört wurde. Nach der russischen Propaganda wurde der Krieg damals wie jetzt gegen die Terroristen und die kriminellen Banden geführt. Aber es zeigte sich, dass große Teile des Volkes hinter den Autonomiebestrebungen stehen.

Trotz des massiven Militäraufgebots, mehr als 80.000 Toten, zerstörten Städten und einem verwüsteten Land, dessen Bevölkerung durch Tod und Flucht halbiert wurde, war Tschetschenien nicht zu "befrieden". 1995 kam es zu einer ersten Massengeiselnahme von tschetschenischen Rebellen in Südrussland, im Jahr darauf zu einer weiteren Besetzung eines Krankenhauses und schließlich eines Dorfes. 1996 schloss, nachdem Dudajew durch einen gezielten Raketenanschlag getötet wurde, General Alexander Lebed mit dem tschetschenischen Generalstabschef Aslan Maschadow einen Friedensvertrag. Maschadow wurde 1997 bei freien Wahlen unter internationaler Beobachtung zum Präsidenten gewählt. Der kränkelnde Jelzin, der wenig Glück mit den von ihm eingesetzten Regierungen hatte, hielt daran fest, dass Tschetschenien ein Teil Russlands bleiben müsse. In den Medien wurden die Konflikte im verarmten Tschetschenien und die Angst vor tschetschenischen Verbrecherbanden und dem zunehmenden muslimischen Fundamentalismus geschürt.

Putin und das 11/9-Trauma Russlands

1999 ereignete sich das 11/9-Trauma Russlands. Der zweite Krieg gegen Tschetschenien wurde offiziell als Reaktion auf eine Aktion tschetschenischer Rebellen in der Nachbarrepublik Dagestan im August 1999 gestartet. Sie hatten dort Ortschaften besetzt und wollten einen unabhängigen islamischen Staat ausrufen. Zur Legitimierung hatten aber Terroranschläge wesentlich beigetragen. Bei Bombenanschlägen auf russische Wohnhäuser, zwei davon auch in Moskau, sterben mehr als 300 Menschen. Verantwortlich dafür gemacht wurden tschetschenische Terroristen, einen Beweis blieb man dafür aber schuldig. Vermutungen und Gerüchte kursierten, dass der russische Geheimdienst FSB, dessen Direktor seit 1998 Putin war, seine Finger mit im Spiel haben könnte.

Grosny nach der Bombardierung 1999

Ende September jedenfalls fällt die Ernennung von Putin zum Regierungschef unter der Präsidentschaft Jelzins mit dem Beginn des Krieges zusammen. Putin gab sich damals wie heute als Hardliner - und hatte damit Erfolg. Ende 1999 wurde er nach dem Rücktritt Jelzins zum Präsidenten (und blieb gleichzeitig Regierungschef). Im März 2000 wird er zum Präsidenten gewählt, nachdem für diesen Anlass mit der Hilfe des Jelzin-Vertrauten Beresowski eine eigene Partei für ihn geschaffen worden war. Der Abbau der Pressefreiheit war neben der Fortführung des Kriegs gegen den Terrorismus eine der entscheidenden "Leistungen" von Putin.

Mit dem 11.9. kam es dann mit Bush zu einem Schulterschluss, der trotz abweichender Haltungen in der Irak-Frage und trotz des bekannten brutalen Vorgehens der russischen Verbände noch heute anhält (Schulterschluss mit Putin). Man erkannte, dass tschetschenische Rebellen mit al-Qaida in Verbindung stehen und es sich also um den gleichen Feind des internationalen, primär muslimischen Terrorismus handelt, auch wenn dieser von beiden Seiten genährt wurde. Die Befreiung der Geiseln aus dem Moskauer Theater, die 120 Geiseln das Leben gekostet hat, die Verschärfung des Kriegs in Tschetschenien sowie die weitere Einschränkung der Pressefreiheit wird von Bush, der angeblich die Werte und das Leben der freien Welt verteidigt, in dem das Leben jedes Einzelnen wichtig ist, mit keinem Wort kritisiert. Dafür hielt sich auch Putin bei vielen der im Rahmen des Antiterrorkrieges ausgeführten Aktionen durch die USA zurück.

Ansätze der neuen Sicherheitsstrategie

Was immer Terroranschläge wie die spektakuläre Massengeiselnahme in dem Theater Moskaus bezwecken wollen, so besteht der erste "Erfolg" meist in einer Verschärfung der Verfolgung und der Sicherheitspolitik. Terror löst Angst in der Bevölkerung aus, wenn er sich zufällig gegen Menschen richtet. Das stützt diejenigen, die an der Macht sind und versprechen, für Sicherheit durch Aufrüstung und Krieg zu sorgen. Feinde dienen der Machterhaltung, vor allem wenn der Kampf gegen sie dem Schema Wir gegen die Anderen und Gut gegen Böse folgt. Ganz entscheidend dabei ist, wie die Medien die Meinung durch Berichterstattung lenken. Hier hatte Bush meist Glück weil der von ihm angesprochene Patriotismus und Militarismus auch die "freien", aber quoten- und werbeabhängigen Medien erfasst hat, auch wenn die Regierung stark auf Propaganda setzt, während Putin jede Kritik durch Zensurmaßnahmen ausschalten will (Der Mediencoup im Theater).

Nach der von der russischen Regierung als notwendig und erfolgreich gerechtfertigten Erstürmung des Theaters durch den Einsatz eines tödlich wirkenden Betäubungsgases, wurde gleich ein verschärftes Zensurgesetz in der Duma durchgepeitscht und nach dem Vorbild der USA eine Transformation der Sicherheitskräfte mit einem höheren Budget angekündigt. Putin fordert einen "völlig neuen Ansatz" im Kampf gegen den Terrorismus. Nötig seien "schnelles Handeln, verbesserte Zusammenarbeit und eine vorzeitige Reaktion".

Der Verteidigungsminister Iwanow, der mit dem Umbau der Streitkräfte, der Geheimdienste und der Sicherheitskräfte zur Bekämpfung des Terrorismus beauftragt wurde, kündigte gleich schon einmal an, dass man in Zukunft auch schnell Angriffe außerhalb des Landes ausführen möchte. Genau wie Bush geht es um Angriffe auf mutmaßliche Terroristenlager oder andere Orte, an denen sich Terroristen aufhalten - und eben in Ländern, die Terroristen beherbergen. Afghanistan oder Jemen dürfte in diesem Fall erst einmal Georgien oder auch Aserbaidschan sein.

Putin hatte schon damit gedroht, auf Terroranschläge mitunter auch mit Massenvernichtungswaffen zu antworten. Allerdings ist dies nach dem Erfolg des Einsatzes des chemischen Gases mit über 100 Toten eine Drohung, die bereits realisiert wurde, auch wenn es sich nicht direkt um ein ausgewiesenes und vom Abkommen zum Verbot von Chemiewaffen verpöntes Giftgas gehandelt hat (Das Gespenst aus der Flasche befreit?). Russland aber verfügt über ein gewaltiges Arsenal an chemischen, biologischen und nuklearen Waffen. Wegen Geldproblemen ist beispielsweise die Vernichtung der chemischen Waffen - man geht von über 40.000 Tonnen aus - ins Stocken geraten. Russland hatte sich 1997 mit der Ratifizierung des Abkommen über das Verbot von chemischen Waffen verpflichtet, alle Bestände bis 2007 zu vernichten. Während die USA im nächsten Jahr über 2000 Tonnen an Giftgasen wie Sarin oder VX verbrennen will, gab Russland Anfang Oktober bekannt, erst 2012 das Ziel erreichen zu können, was allerdings mehrere Milliarden Dollar kosten würde. Mehrere westliche Industrieländer, darunter auch Deutschland, haben sich verpflichtet, in den nächsten zehn Jahren die Vernichtung der chemischen, biologischen und nuklearen Waffen mit 20 Milliarden Dollar zu unterstützen.

Obgleich also das Geld zur Vernichtung fehlt, soll mit dem Umbau der Streitkräfte die Entwicklung von Präzisionswaffen mit "großer Vernichtungskraft" beschleunigt werden, erklärte Iwanow in einem Interview: "Das mag alles verwundern. Aber es wurde uns praktisch ein Krieg erklärt. Er hat keine Fronten und keine Grenzen und auch keinen sichtbaren Feind. Aber es ist ein Krieg."

Bei Antiterror-Maßnahmen sollen, wie dies bereits in Tschetschenien geschieht, Einheiten der Streitkräfte mit solchen der Geheimdienste und der Sicherheitskräfte kooperieren. Der Geheimdienst soll trotz der Beteiligung des Militärs weiterhin für die Terrorbekämpfung zuständig sein. Was den Einsatz der russischen Streitkräfte im Ausland angeht, so blieb Iwanow noch bei einer vagen Drohung. Das hinge vom Grad der Beteiligung anderer Staaten an Terrorakten gegen Russland ab. Damit wird nur zur offiziellen Strategie, was bereits in den letzten Jahren vereinzelt mit Luftangriffen auf Stützpunkte muslimischer Rebellen in Georgien oder zuvor in Kirgisien ausgeführt worden ist. Ein Konzept für die neue Sicherheitsstrategie soll in den nächsten Wochen vorgelegt werden. Insgesamt, so Iwanow, werden "unsere bilateralen Beziehungen mit anderen Ländern in der Zukunft darauf basieren, wie das andere Land auf den Terrorismus reagiert."

Währenddessen hat Iwanow einen Rückzug von Truppen aus Tschetschenien abgelehnt. Er würde erst möglich sein, wenn die Terroristen gefasst seien. Putin spricht von "chirurgischen" Eingreifen, mit denen die russischen Truppen in Reaktion auf die Geiselnahme in Tschetschenien vorginge. Dabei werden wieder ganze Siedlungen blockiert und durchsucht. Berichtet wird vom häufigen brutale Vorgehen der Truppen auch gegen die Zivilbevölkerung, von Plünderungen und Morde. Wie gewohnt also - und keineswegs ein Verhalten, das den Terrorismus eindämmen könnte (Das russische Militär verübt in Tschetschenien Genozid). Auch Stanislaw Iljasow, der Ministerpräsident der von Moskau eingesetzten Regierung, und Achmad Kadyrow, ebenfalls von Moskau als Regierungschef ernannt, kritisierten das Vorgehen der Militärs.

Zuhause forderte Abdul-Kakim Sultygow, der Gesandte für Menschenrechte in Tschetschenien des Kreml, russische Bürgerrechtsorganisationen dazu auf, eine geplante Konferenz über eine friedliche Lösung nicht an diesem Wochenende in Moskau stattfinden zu lassen. Damit - wie gesagt: mit der Suche nach einer friedlichen Lösung - würde man nur den Forderungen der Terroristen nachgeben. Verhandlungen, wie sie von den Veranstaltern der Konferenz wie Sergej Kowaljow, Präsident des Instituts für Menschenrechte und ehemaliger Menschenrechtsbeauftragter der Duma, Oleg Orlow von Memorial oder Lew Ponomaryow von der Allrussischen Bewegung "Für Menschenrechte" gefordert werden, dürfen nicht stattfinden. Die Konferenz, so der Gesandte für Menschenrechte, ziele darauf, "ein Bild des internationalen Terrorismus mit einem menschlichen Gesicht" zu formen, was offenbar nicht sein darf.